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Quiet Quitting: Was ist an den Vorwürfen der faulen Gen Z dran?

Quiet Quitting: Was ist an den Vorwürfen der faulen Gen Z dran?
Foto: Unsplash/Nastuh Abootalebi

Dienst nach Vorschrift statt Überstunden: Der Begriff Quiet Quitting macht seit einigen Monaten die Runde. So mancher Chef wirft vor allem der Generation Z fehlende Arbeitsmoral vor. Ob das stimmt, erklärt Arbeitswissenschaftler Axel Haunschild.


Quiet Quitting – der Begriff hat in den vergangenen Monaten in Deutschland und den USA einen Hype erfahren. Das Internet ist voll mit Geschichten zum Thema. Besonders populär ist ein Tiktok-Video, in dem ein Amerikaner in nur 17 Sekunden den Arbeitsmarkt auf links zu drehen scheint. „Du erfüllst immer noch deine Pflichten, aber du folgst nicht mehr der Mentalität der Hustle Culture, dass dein Job dein Leben sein muss“, sagt der 20-Jährige Zaid Khan da. Was viele daraus ableiten: Quiet Quitting sei Dienst nach Vorschrift und belege die mangelnde Arbeitsmoral junger Menschen.

@zaidleppelin On quiet quitting #workreform ♬ original sound – ruby

Schwer greifbarer Trend

Seither widmeten sich etliche Berichte dem Trend. Wirklich zu fassen bekommen sie ihn nicht. Das liegt auch daran, dass Quiet Quitting wissenschaftlich bisher kaum erforscht ist. In der Arbeitspraxis allerdings ist es schon länger angekommen. „Das Phänomen Quiet Quitting ist ein Zeichen der Zeit“, erklärt Axel Haunschild. Er ist Professor im Fachbereich Interdisziplinäre Arbeitswissenschaft an der Leibniz Universität Hannover. Quiet Quitting reihe sich ein in die Diskussion, wie Angestellte Leben und Arbeit miteinander in Einklang bringen können.

Axel Haunschild, Professor im Fachbereich Interdisziplinäre Arbeitswissenschaft. Foto: privat

Schon im Jahr 2020 lag Deutschland bei der geleisteten Arbeitszeit deutlich unter dem europäischen Durchschnitt. Laut dem Better Life Index der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Europa (OECD) arbeiteten nur 4 Prozent der Beschäftigten mehr als 50 Stunden pro Woche. Im OECD-Schnitt sind es 10 Prozent. Bei der Work-Life-Balance schneidet Deutschland mit 8 von 10 Punkten gut ab. Mit dem Quiet Quitting signalisieren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer allerdings: Da geht noch mehr.

Quiet Quitting: Widersprüchliche Vorwürfe

Wenn man genauer hinschaut, sind die generellen Annahmen zum Thema Quiet Quitting widersprüchlich oder werfen Fragen auf:

  1. Quiet Quitting ist einerseits ganz neu – aber doch eigentlich auch nur eine moderne Bezeichnung für den Dienst nach Vorschrift. Das ist eine Bewegung, die genauso alt ist, wie sie klingt: Schon 1962 nannte die damalige Bundesregierung den Dienst nach Vorschrift eine getarnte Arbeitskampfmaßnahme.
  2. Quiet Quitting lässt sich bestimmten Generationen oder Altersgruppen zuordnen. Andere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bleiben von dem Trend unberührt. Stimmt das?
  3. Quiet Quitting stellt den Arbeitsmarkt auf den Kopf. Wie genau, ist größtenteils unklar.

These 1: Quiet Quitting ist einerseits ganz neu – aber doch eigentlich auch nur eine moderne Bezeichnung für den Dienst nach Vorschrift.

„Deutschlandfunk Kultur“ berichtet, ähnlich wie viele andere Medien auch: „Quiet Quitting, zu Deutsch ’stille Kündigung‘, bedeutet Dienst nach Vorschrift.“ Laut Haunschild werde das dem Quiet Quitting nicht gerecht. Denn: „Als Arbeitgeber möchte ich lieber einen Quiet Quitter im Unternehmen haben als einen, der Dienst nach Vorschrift betreibt.“ Zwar folgten Quiet Quitter einem klaren zeitlichen Rahmen. Es werde nur so viel gearbeitet, wie im Vertrag vereinbart. So weit, so klar. Anders als beim Dienst nach Vorschrift aber müsse der Einsatz für das Unternehmen darunter nicht unbedingt leiden. „Die Frage beim Dienst nach Vorschrift ist: Wie weit kann ich gehen, bis ich sanktioniert werde?“, sagt Haunschild. Langfristig schreckten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dabei nicht davor zurück, das Unternehmen zum Stillstand zu bringen.

„Als Arbeitgeber möchte ich lieber einen Quiet Quitter im Unternehmen haben als einen, der Dienst nach Vorschrift betreibt.“

Axel Haunschild

These 2: Quiet Quitting lässt sich bestimmten Generationen oder Altersgruppen zuordnen.

Ist Quiet Quitting einfach ein Hype der jungen Generationen? Das Phänomen bestimmten Gesellschaftsgruppen zuzuschreiben führe am eigentlichen Thema vorbei, meint Haunschild. „Ich halte nicht viel davon, Quiet Quitting den Generationen Y und Z zuzuschreiben. Auch praktisch lässt sich das nicht bestätigen“, erklärt er. Vielmehr sei ein genereller Wertewandel in der Gesellschaft zu beobachten. Verschiedene Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer strebten nach einer ausgeglichenen Work-Life-Balance. „Das betrifft keineswegs nur 20-Jährige“, sagt Haunschild.

Foto: Unsplash/Carl Heyerdahl

Es stimme, dass die jüngeren Generationen anders sozialisiert seien als ältere Angestellte. Das erkläre das Aufkommen neuer Trends in der Wirtschaft allerdings nur bedingt. Vielmehr sei es die allgemeine Entwicklung des Arbeitsmarktes, die dafür sorgt, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine stärkere Position in Verhandlungen erlangen. „Man kann sich das als eine Gegenwehr von unten vorstellen“, sagt Haunschild. Das Quiet Quitting sei nur eine Möglichkeit, wie sich diese äußere. „Auch die Forderungen nach einer 32-Stunden- beziehungsweise Vier-Tage-Woche beweisen, welche Möglichkeiten Angestellte in bestimmten Branchen heute haben“, erklärt er.

These 3: Quiet Quitting stellt den Arbeitsmarkt auf den Kopf.

Die Trends zu mehr Work-Life-Balance spielen nicht in allen Wirtschaftszweigen eine gleich große Rolle. „Im Moment ist es auch einfach eine Frage danach, wer es sich erlauben kann, Quiet Quitting zu betreiben. Man muss sich das schlicht auch leisten können“, sagt Haunschild. In bestimmten Branchen, wie dem IT-Bereich, gebe es also mehr Quiet Quitter als in anderen Arbeitsfeldern. Die Nachfrage nach Angestellten sei dort schlicht höher als das Angebot. Auf prekäre Arbeitsverhältnisse oder Selbstständigkeit lasse sich das Phänomen nicht anwenden.

Foto: Unsplash/Campaign Creators

Angefragte IT-Firmen können die theoretischen Beobachtungen des Arbeitswissenschaftlers bislang nicht bestätigen. Die Bechtle AG, Deutschlands umsatzstärkster IT-Dienstleister, teilt mit: „Unsere Zahlen, Daten und Fakten sowie unsere Erfahrungen ergeben kein Bild, das die Annahmen untermauert.“ Auch die Firma Arvato Systems antwortet ähnlich: „Wir können, ehrlich gesagt, aktuell wenig zum Thema beitragen, da wir das bei Arvato Systems so nicht als Trend erleben“, teilte der Konzern mit.

Keine Auswirkungen auf Produktivität

Dennoch macht Haunschild einen Wandel in den Arbeitsbeziehungen aus – auch ohne klare wissenschaftliche Studien. Dieser müsse derweil nicht unbedingt zum Nachteil der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber ausfallen. Ob Quiet Quitting, 32-Stunden- oder 4-Tage-Woche, der Arbeitswissenschaftler stellt klar: „Die Produktivität ist dadurch nicht zwangsläufig niedriger.“ Es müsse daher auch unbedingt zu einer Einstellungswelle von neuen Beschäftigten kommen. Einen Niedergang der Wirtschaft müsse laut Haunschild mit Quiet Quittern niemand befürchten.

Von Jasper Bennink


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