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Quarterlife Crisis: Junge Menschen in der Krise

Quarterlife Crisis: Junge Menschen in der Krise
Foto: Unsplash/Heike Trautmann

Sie gehen zielstrebig durchs Studium, einen klaren Plan für die Zukunft im Kopf – doch dann fallen sie in ein Loch. Fast die Hälfte aller jungen Erwachsenen kämpft nach dem Abschluss mit einer Identitätskrise. Ein Psychologe gibt Tipps gegen die Quarterlife Crisis.


So richtig weiß Torben gar nicht, wo er anfangen soll, als er von den Erfahrungen der vergangenen Monaten erzählen will. Zu viele einzelne Aspekte ließen sich aufgreifen, und alle haben mit einer festen Identitätskrise zu tun. „Es geht dabei auf jeden Fall um die großen Fragen“, sagt er, „es geht um Erwartungen an sich selbst und Vorstellungen vom Leben.“

Phänomen Quarterlife Crisis: Was ist das?

Nein, Torben ist nicht im typischen Alter einer Midlife Crisis, die vielen ein Begriff ist. Er erlebt stattdessen eine Quarterlife Crisis, eine Sinnkrise von Studierenden in den Mittzwanzigern, speziell wenn der Übergang vom Abschluss zum festen Arbeitsleben bevorsteht. Und damit steht der nicht allein da. Fast die Hälfte aller jungen Erwachsenen kämpft laut einer Umfrage des Marktforschungsinstituts smart insights aus dem Jahr 2020 nach dem Studium mit einer Identitätskrise.

Eine medizinische Diagnose sei das Phänomen der Quarterlife Crisis nicht, stellt Wilfried Schumann klar. Er leitet den Psychologischen Beratungsservices von Universität und Studentenwerk Oldenburg (PBS). Trotzdem verberge sich eine feste Bedeutung hinter der Bezeichnung. Gemeint ist „eine dieser Klippen“ im Leben von jungen Menschen, die mit großen Veränderungen zu kämpfen haben.

Foto: privat

Wilfried Schumann ist Diplom-Psychologe. Er leitet an der Universität Oldenburg den Psychologischen Beratungsservice (PBS).

Zweifel trotz festen Plänen

Da passt Torben perfekt ins Bild: Er ist 25, als er sein Lehramtsstudium abschließt – und er hat Pläne. Nach einem Praktikum im Ausland soll es für ihn mit einer Promotion weitergehen. Die Idee entwickelt er schon einige Zeit vor dem Studienabschluss. Der weitere Weg ist also vorgezeichnet – und Torben fühlt sich wohl mit der Vorstellung. „Es war ganz klar mein Plan A.“

Doch schon nach kurzer Zeit zweifelt er an seinem neuen Berufsweg der Promotion. Erst arbeitet er schlicht zu viel und hat kaum Freizeit – etwas, das er so im Studium nicht kannte. Schnell kommen außerdem grundsätzlichere Dinge hinzu: „Irgendwann habe ich mir die Frage nach der Perspektive gestellt“, erzählt er. Erst nach einiger Zeit habe sich ein Reflexionsprozess eingestellt, unter anderem darüber, wie der Weg zum Erwachsenwerden gelingen kann. Viele Aspekte des festen Berufslebens habe er zu Studienzeiten schlicht noch nicht wahrgenommen, sagt Torben. Dazu gehört, dass er sich im Berufsalltag auf festere Strukturen als im Studium einstellen muss – und dass eine kurzfristige Veränderung in der Arbeitswelt schwieriger ist als in der Ausbildung.

Gefährlicher Blick zurück

Anders als vorige Generationen haben junge Erwachsene heutzutage eine Vielzahl an Möglichkeiten, wie das Leben nach dem Studium weitergehen kann. „Grundsätzlich ist diese Vielzahl an Optionen etwas Tolles, hat aber natürlich zur Folge, dass es Entscheidungsprobleme gibt“, sagt PBS-Leiter Schumann. Verbunden sei dies mit einem stetigen Blick in den Rückspiegel.

Damit hat auch Torben in seinem neuen Job schnell zu kämpfen. Die Fragen nach der Zukunft werden massiv davon beeinflusst, dass er die Vergangenheit hinterfragt. „Hab ich aus der Zeit, über die ich frei verfügen konnte, genug gemacht?“, sei eine Unsicherheit gewesen, die ständig in seinem Kopf schwirrte. Er merkt, dass ein großer Anteil dieses schlechten Gefühls eine Folge seiner Social-Media-Nutzung und damit einhergehender Vergleiche mit anderen ist. Rund um die Uhr wird er dort mit falschen Realitäten konfrontiert, die er zunächst nicht als solche erkennt. „Ich hatte ständig das Gefühl, dass ich das Leben in Wirklichkeit lebe, während alle anderen ihr Good Life haben“, stellt er rückblickend fest.

Foto: privat

Geholfen hat es Torben schließlich, seinen Instagram-Account zu löschen. Das sei einer von vielen Schritten zur Besserung gewesen. Ansonsten setzt er inzwischen darauf, seine Freiheiten zu genießen, Neues zu erleben – und vor allem: zu akzeptieren, dass auch falsche Entscheidungen zum Leben dazu gehören. Er ist sich aber auch bewusst, dass er die Quarterlife Crisis noch nicht überwunden hat. „Ich habe die Situation für mich vor allem erstmal entschärft.“

Tipps von der Beratungsstelle

Das gelingt jedoch nicht jedem. Bei schlimmeren Fällen kann das Phänomen zu starken Leistungsblockaden oder sogar zu einer Gefährdung des Studienabschlusses führen. Da sei psychologische Unterstützung ratsam, erklärt Schumann. Er nennt außerdem Tipps zum eigenständigen Umgang mit dem Problem. Der Boykott von Social Media könne höchstens ein Teil der Antwort sein. „Abstinenz ist nicht unbedingt der Weg“, sagt er. Eher könne den Betroffenen helfen, die nächsten Lebensschritte in kleine Abschnitte zu unterteilen. Das senke den Druck. Auch der Blick in die Vergangenheit könne unter Umständen förderlich sein. „Schließlich hat man mit dem Start ins Studium ja schon einmal eine grundlegende Veränderung bewältigt“, sagt Schumann beruhigend.

Von Jasper Bennink


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