Die Referendarin: Die erste Prügelei unter Schülern
Helena (25) ist eine von rund 30.000 Lehramtsanwärtern in Deutschland. Was passiert eigentlich hinter der sagenumwobenen Lehrerzimmertür? Wie ist es, Schülerinnen und Schüler zu unterrichten, die nur ein paar Jahre jünger sind als man selbst? Und wie kommt Helena mit dem Druck klar? Davon erzählt sie – unter Pseudonym – in ihrer MADS-Kolumne: die Referendarin.
Freitagmorgen, kurz vor der ersten Stunde. Nach vielen Unterrichtsbesuchen kann ich in der Doppelstunde Deutsch meines Ausbildungslehrers endlich mal wieder das Geschehen von hinten beobachten. Plötzlich werden zwei Schüler laut. Max wirft Buch und Rucksack seines Mitschülers Alex durch den Klassenraum. Alex’ Blick lässt mich erstarren. Unkontrollierte Wut. Meine Gedanken rasen. Obwohl die Jungs erst 14 Jahre alt sind, sind sie einen Kopf größer und definitiv stärker als ich.
Wie kann und darf ich noch mal eingreifen? Alex geht mit erhobener Faust auf Max zu und trifft ihn am Kopf. Als der zum Gegenangriff ansetzen will, brüllt mein Ausbildungslehrer so laut, dass alle zusammenzucken. Nach drei großen Schritten steht er zwischen den beiden und zieht sie grob an den Oberarmen auseinander. Er ist nicht größer als die Jungs, doch sie sind so überrascht, dass sie voneinander ablassen. Den Rest der Stunde recherchiere ich, wie man sich als Lehrkraft in einer solchen Situation verhält. Ich weiß, dass jeder Mensch das Recht auf Notwehr hat, wenn er angegriffen wird. Und man darf auch anderen helfen, die angegriffen werden. Lehrkräfte dürfen sogar bei einem gegenwärtigen Angriff, der nicht anders abzuwenden ist, zurückschlagen. Und es geht noch weiter: Wenn eine Lehrkraft durchgängig von einem Schüler verbal attackiert wird, darf sie die Beleidigungen mit einer Ohrfeige unterbinden, „um die schweren Ehrverletzungen gegen sie zu stoppen“, wie der Jurist und Lehrer Günther Hoegg im Buch „SchulRecht“ des Philologenverbands Niedersachsen schreibt. Wow.
Die Angst nicht richtig zu handeln
Im Nachhinein mache ich mir Vorwürfe, dass ich nicht sofort gehandelt habe. Ich hatte Angst vor der Größe und Stärke der Jungs, davor, mich strafbar zu machen, und vorm Scheitern – und damit den Respekt der anderen Jugendlichen zu verlieren. Noch schlimmer wäre es jedoch gewesen, wenn sich ein Schüler ernsthaft verletzt hätte. Nun habe ich das Verhalten meines Ausbildungslehrers als Blaupause. Er weiß genau, was er tut – oder zumindest sieht es so aus. „Jetzt brauche ich einen Schnaps“, platzt es nämlich auch aus ihm heraus, als wir das Lehrerzimmer betreten.
Gewalt an den Schulen ist die Normalität, Schülerinnen sollten lernen Koalitionen zu bilden, vor 40 Jahren nannten wir es Gang!