„Sandman“: Punktgenaue Graphic-Novel-Adaption
Netflix hat eine neue Fantasy-Serie im Programm. Neil Gaimans „Sandman“ lässt Träume wahr werden – sowohl auf der Handlungsebene als auch für Fans der Graphic Novels.
Bevor der britische Fantasy-Autor Neil Gaiman Romane schrieb, arbeitete er unter anderem an Graphic Novels. Netflix hat nun seine „Sandman“-Reihe als gleichnamige Serie verfilmt. Die Geschichte handelt von Dream, Herr der Träume und damit der titelgebende Sandmann. Er ist einer der sieben Endless, anthropomorphische Manifestationen von Aspekten des Lebens. Gemeinsam mit seinen Geschwistern beeinflusst er das Leben auf der Erde.
Die Handlung beginnt, als Dream versehentlich anstelle seiner Schwester Death von Menschen gefangen genommen wird. Als er sich schließlich befreien kann, sind Jahrzehnte vergangen und einiges hat sich verändert: Seine Machtinsignien wurden ihm gestohlen, sein Traumreich liegt in Trümmern und einige personifizierte Albträume sind ausgebrochen. So beginnt eine fantastische Geschichte in düsterer Atmosphäre.
Serie kommt Graphic Novels sehr nah
Die erste Staffel der Serie folgt den ersten beiden von zehn Sammelbänden der Graphic Novels, „Präludien und Notturni“ (1989) und „Das Puppenhaus“ (1989/90). Von Beginn an ist „Sandman“ sehr nah an der Vorlage gehalten. Es sind nicht nur viele Dialogzeilen direkt übernommen worden, einige Panels aus dem Graphic Novel finden sich auch in der Serie wieder. Die Folgennamen sind Kapiteltitel – für Fans der Vorlage eine besondere Freude. Man merkt der Serie deutlich an, dass Autor Gaiman an der Produktion beteiligt war.
Leichte Veränderungen tun „Sandman“ gut
Wenn es zu minimalen Veränderungen kommt, dann bergen sie Verbesserungen – sie machen die Handlung verständlicher. Das ist vor allem wichtig, wenn man die Vorlage nicht kennt. Außerdem tut das neue Setting der Serie gut: In den Achtzigern erschienen, spielte die Handlung ursprünglich auch in dieser Zeit. Die Netflix-Serie holt Dreams Geschichte in die Gegenwart. Dass Figuren auf einmal über Internet und Handys verfügen, nutzt die Serie sinnvoll. Es wirkt, als sei das Setting von Anfang an so geplant gewesen.
Schauspieler passen zur Vorlage
Außerdem ist „Sandman“ toll besetzt, alle Schauspielerinnen und Schauspieler treffen die Persönlichkeiten ihrer Vorlagen. Das ist vor allem bei Rollen wichtig, die mit einer anderen Hautfarbe (Kyo Ra als Rose) oder einem anderen Geschlecht (Jenna Coleman als Johanna Constantine) besetzt wurden. Der Cast verschafft der Serie mühelos einen zeitgenössisch diversen Charakter. Lediglich Dream selbst ist etwas ungewohnt. Zwar verfügt er in der Serie über alle äußerlichen Merkmale aus der Vorlage – der dünne Körperbau, das verstrubbelte Haar, das Funkeln der Sterne in den Augen und die stets schwarze Kleidung –, doch Schauspieler Tom Sturridge wirkt trotzdem zu normal. In den Graphic Novels ist Dream sowohl den Menschen als auch den anderen Endless fern, was dadurch hervorgehoben wird, dass seine Sprechblasen als einzige schwarz statt weiß sind. In der Serie fallen diese Unterschiede nicht so sehr auf, wodurch Dream teilweise zu menschlich wirkt und als übernatürliches Wesen etwas schwer anzunehmen ist.
Keine Verbindung zu DC-Superhelden ersichtlich
Der größte – und wohl wichtigste – Unterschied ist die deutliche Trennung der Serie von DC Comics. Da die „Sandman“-Graphic-Novels in diesem Verlag erschienen, bewegt sich die Geschichte von Dream im gleichen Universum wie Batman und Superman. In den Graphic Novels gibt es kleine Verbindungen – diese aus der Verfilmung zu streichen war eine gute Entscheidung: Mit Superhelden hat „Sandman“ nämlich nichts zu tun. So kommt der Martian Manhunter nicht vor, Arkham Asylum wird zu einer namenlosen Klinik. Das steigert den Alleinstellungswert der Serie.
Kleinere Probleme in der ersten Hälfte
Schwierigkeiten hat „Sandman“ lediglich in der ersten Hälfte. Da „Präludien und Notturni“ größtenteils ein Vorspann der Graphic-Nove-Reihe ist, wirken auch die ersten Folgen der Serie vom Rest losgelöst. Außerdem zeigen Folge 5 und 6 eine Angewohnheit von Neil Gaiman auf, die für Nicht-Kenner seines Schaffens ungewohnt sein kann: Er schreibt häufig Zwischengeschichten, deren Verbindung zur Haupthandlung nicht direkt ersichtlich ist. Vor allem in Verfilmungen fallen sie aufgrund ihrer Länge häufig aus dem Rahmen. Obwohl – oder gerade weil – die beiden mittleren Folgen auch getreu der Vorlage sind, wirken sie wie Anthologien. Wer mit Gaiman nicht vertraut ist, sollte sich davon allerdings nicht verunsichern lassen. Wenn man es erst mal über den Anfang der Staffel hinaus geschafft hat, erwartet einen eine umso stärkere zweite Hälfte. Dann ist der unnahbare Dream nämlich nicht mehr die einzige Hauptfigur, sondern es geht um die junge Frau Rose, die ihren Bruder sucht und dabei immer wieder mit dem Reich des Traumkönigs zusammenstößt. Dieser Teil von „Sandman“ ist spannend und weitet die Welt schön aus.
Neil Gaimans Fantasy-Verfilmungen
Insgesamt trifft die Serie trotz kleiner Schwächen ins Schwarze. Das ominöse Grundgefühl der Comics ist gegeben, Gaimans schräge Twists sind so adaptiert, dass sie in dem neuen Medium gut wirken. „Sandman“ wirkt nicht so theaterhaft wie andere Verfilmungen des Autors. Wunderlich ist dennoch die Altersfreigabe ab 18 Jahren – Netflix’ „Sandman“ ist nämlich weit weniger brutal als die Vorlage, vor Gewaltszenen wird meist weggeschnitten.
„Sandman“ ist nicht das erste Werk von Gaiman, das in den vergangenen Jahren als Serie verfilmt wurde. „American Gods“ und „Good Omens“ – das sogar gerade eine zweite Staffel bekommt, obwohl die Romanhandlung abgeschlossen ist – sind bei Amazon Prime Video zu sehen. Außerdem ist eine Adaption von „Anansi Boys“ in Arbeit. Alle von Gaimans Werken bewegen sich im Genre der Urban Fantasy.
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