
Reality-TV: Warum stehen wir auf Betrug und Gewalt?

Dating und Gossip, Betrug und sogar Gewalt – die Inhalte des Trash-TV haben sich stark verändert. Medienpsychologe Jo Groebel erläutert, warum Menschen sich so sehr für Reality-TV interessieren.
Trash- oder Reality-TV macht aus, dass es kein Drehbuch und keine professionellen Schauspieler und Schauspielerinnen gibt. Die Teilnehmenden sind meist abgeschottet von der Außenwelt und kommunizieren nur untereinander oder übereinander. Gerade Shows, bei denen es um Liebe und Betrug geht, sind beliebt. Formate wie „Make Love Fake Love“, „Ex on the Beach“ oder „Temptation Island“ haben hohe Einschaltquoten – aber warum?

Menschen hätten ein hohes Interesse daran, reale Geschichten erzählt zu bekommen, sagt Medienpsychologe Jo Groebel. Dabei sei entscheidend, dass diese Geschichten auch mit tabuisierten und spannenden Themen zusammenhängen. Wichtig sei auch, dass man das Ende der Geschichte noch nicht kenne. Laut Groebel reagieren Menschen auf Skandal oder Streit physiologisch mit einer erhöhten Aufmerksamkeit. Mechanismen körperlicher Natur spielen also auch eine Rolle und verbinden Trash-TV mit einem körperlichen Nervenkitzel. Obwohl die Menschen vor dem Fernseher natürlich gar nicht selbst bedroht seien, könnten sie sich mit den Protagonistinnen und Protagonisten identifizieren, sagt er.
Das Phänomen der Karthasis, also die These, dass durch das Miterleben der Gefühle auf dem Bildschirm das selbst Erlebte abgeleitet und verarbeitet werden könne, sieht Groebel aber kritisch. „Wenn dem so wäre, dann müsste man doch eigentlich nur die brutalsten und schlimmsten Folterszenen im Gefängnis den Gefangenen zeigen, und schon sind alle Impulse abgeleitet. Das ist leider nicht so.“ Entscheidend sei allerdings, dass man sich durch die Shows mit seinen Gefühlen nicht alleine fühlt und man sich dadurch mit jemand anderem identifizieren kann.

Soziales Experiment Dschungelcamp
Die Medienwissenschaftlerin Joan Bleicher erklärt im Interview mit dem NDR an dem Beispiel Dschungelcamp, dass es vor allem um das menschliche Interesse am Leben anderer gehe. Der sogenannte Voyeurismus ist das, was durch das Schauen von Reality-TV befriedigt werde. Die Formate bilden außerdem einen Gegenpol zu fiktionalen Formaten und bieten durch ihre Nähe zur Realität eine faktische Basis, die fiktionale Formate nicht bieten können. Auch der soziale Vergleich zwischen sich und anderen Menschen spiele eine große Rolle. Es kommt zum sogenannten Abgrenzungseffekt, durch den sich Menschen über andere stellen können.
Richard Lemke, ein Medienpsychologe, sagt im Interview mit dem RND, dass es viele Motive gebe, die aus dem Bereich des Voyeurismus kommen. Ihm zufolge treibt vor allem die Sehnsucht nach Alltagsmärchen und der Wunsch nach einer heilen Welt die Zuschauerzahlen nach oben. Gerade die eigenen Werte können durch solche Shows reflektiert werden, denn je höher der eigene moralische Kompass sei, desto stärker seien auch die Reaktionen.
Wie werden Reality-TV-Shows gecastet?
Malte Kruber und Arno Scheppenheim, die Macher des Formats „Kampf der Realitystars“ erklären laut W&V, dass sich junge Menschen für Reality-TV interessierten, weil vieles nicht vorhersehbar sei. Der Cast sei ausschlaggebend für den Erfolg, es gehe um eine Mischung aller Stereo- oder Charaktertypen. Auch Groebel sagt, dass schon bei den Castings auf bestimmte Charaktertypen geachtet werde. Er erklärt, es gebe manchmal auch „einen Überraschungssieger oder auch eine Überraschungspersönlichkeit, also dass Leute, die man gar nicht auf dem Schirm hatte, plötzlich dann ganz großartig rauskommen“. Dass viele Menschen gerade für sogenannte Outcasts dann Sympathien entwickeln, sei ein Nebenprodukt des Castings.
Warum stehen Menschen aufs Betrügen?
Vor allem Shows, bei denen es ums Betrügen geht, ziehen viele Menschen an. Groebel erklärt, die Neugierde auf das Fremdgehen oder die Affäre anderer sei eines der größten Urmotive überhaupt. Sei es bei Bekannten und Freunden oder auch in der Boulevardpresse, die interessantesten Storys drehten sich um den Betrug, auch wenn dieser nicht unbedingt sexueller Natur sein muss. „Das ist ein menschliches Grundmotiv. Weil das natürlich an die Grundlagen des persönlichen Vertrauens und der persönlichen Sicherheit geht. Der Betrug, die Affäre ist die fundamentalste Verletzung dieses Prinzips.“
Ex-Bachelor meldet sich zu Wort
Ex-Bachelor Oliver Sanne beschreibt im Interview mit tvspielfilm die Reality-TV-Landschaft als moderne Gladiatorenkämpfe. Er sagt, Reality-TV sei zur Belustigung des Volkes da, kritisiert aber auch, dass die Shows immer extremer würden und es oft auch um Fremdscham und Schadenfreude gehe, die beim Zuschauenden ausgelöst werden solle. Er versteht das ganze mittlerweile sogar als mobbingähnlich und kritisiert die Dynamiken innerhalb der Shows. Dennoch verweist er auch darauf, dass das „Reality-Star“-Dasein eben auch eine ganz normale Arbeit sei. Hinter sowie vor der Kamera müsse man gewisse Sachen tun, damit die Show sich verkaufe.
Reality-Stars seien berühmt, weil sie berühmt sind, sagt Groebel. Sie hätten dafür keine intellektuellen oder kreativen Leistungen erbracht. Wobei man beachten müsse, dass die Realität auch im Reality-TV nicht getreu abgebildet wird, sondern bloß ein Ausschnitt ist, in dem die Teilnehmenden teils auch in psychologische Extremsituationen zu sehen sind. Es müsse immer ein Ausnahmezustand entstehen, um die Spannung zu erhalten.
Von Olivia Bodensiek
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