IServ-Chef: „Lehrkräfte sind nicht durch ein Programm zu ersetzen“
Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie viel in Sachen Digitalisierung noch an deutschen Schulen zu tun ist. IServ-Gründer und Geschäftsführer Jörg Ludwig berichtet im MADS-Interview von technischen Problemen beim Videokonferenzsystem und erzählt, warum er mit Schülerinnen und Schülern derzeit nicht tauschen möchte.
Herr Ludwig, auf Ihrer Internetseite fordern Sie, dass Distanzunterricht nicht zum Regelfall werden soll. Müssten Sie als Unternehmen, das Videokonferenzlösungen anbietet, nicht Verfechter des heimischen Lernens sein?
Unser Ziel ist es, die Schulen zu digitalisieren. Also die Prozesse, die man in der Schule hat, digital zu vereinfachen, nicht die Schule von Grund auf zu verändern. Lehrkräfte sind nicht durch ein Lernprogramm zu ersetzen und bleiben wesentlicher Bestandteil des Unterrichts. Ohne sie ginge ein Großteil von dem verloren, was in den Schulen wichtig ist: das Miteinander.
Zu Beginn des vergangenen Jahres gab es bei Ihren Videokonferenzen einen technischen Super-GAU. Am ersten Schultag brach das Videokonferenzsystem komplett zusammen. Wie konnte das passieren?
Im Dezember gab es von den offiziellen Stellen keine Vorwarnung. Wir haben über das Wochenende unserer Serverkapazitäten hochgefahren. In den Weihnachtsferien haben wir dann nochmals unsere Serverzahl für die Videokonferenzen auf insgesamt 5000 Einheiten erhöht. Damit wären zwei Millionen Zugriffe theoretisch kein Problem gewesen. So viele Nutzerinnen und Nutzer konnten wir im Vorfeld natürlich nicht testen. Und so ereignete es sich, dass am Montag des Schulstarts, 11. Januar 2021, eine einzelne fehlerhafte Programmzeile dafür sorgte, dass die Zuordnung neuer Videokonferenzteilnehmerinnen und -teilnehmer nicht mehr ordnungsgemäß funktionierte und die Nutzerinnen und Nutzer deshalb nicht in ihre Videokonferenzklassenräume weitergeleitet wurden. Unser Technikteam hat den Fehler zum Glück sehr schnell beheben können.
Zur Person: Jörg Ludwig programmierte in seiner Schulzeit mit anderen Schülern eine
Plattform, auf der man chatten und Mails verschicken konnte. Mit 18 Jahren gewann er für
das Projekt den dritten Preis beim Wettbewerb „Jugend forscht“. Inzwischen ist er studierter
Informatiker und die Software unter dem Namen IServ an mehr als 5000 Schulen im Einsatz.
Derzeit ist offen, ob das Homeschooling in diesem Schuljahr wieder nötig wird. Glauben Sie, dass das Distanzlernen auch in ein oder zwei Jahren noch eine Rolle spielen wird?
Während Corona hat sich die Schuldigitalisierung enorm beschleunigt. Dabei ist auch die Akzeptanz der Lehrkräfte für das Thema gewachsen. Ich glaube, da haben viele für sich einen Teil mitgenommen, der für sie gut funktioniert. Was wir seit Jahren fordern, sind digitale Endgeräte für alle. Es ergibt einfach Sinn, im Klassenraum zusammen im Gespräch zu sein und gleichzeitig das Tablet zu haben, um schnell etwas recherchieren zu können und Zugriff auf die Funktionen der digitalen Schule zu haben.
Viele Bundesländer haben inzwischen selbst Lösungen für das Distanzlernen entwickelt. Ist das aus Ihrer Sicht sinnvoll, oder hätte man da lieber auf Produkte zurückgreifen sollen,
die es schon gab?
Wir stehen von jeher in engem Kontakt zu den Schulen. Unsere Erfahrung zeigt, dass die Schulen am besten wissen, welche Art von Software sie brauchen. Und da gibt es auf dem Markt seit Jahren vielfältige und funktionierende Lösungen. Diese Erkenntnisse haben wir auch in einem offenen Brief kommuniziert. Wir halten offene Schnittstellen in alle Richtungen für den sinnvollsten Ansatz und reichen jedem gerne die Hand. Unsere Expertise teilen wir gerne im Sinne der Schulen. Unsere Forderung lautet aber auch: Bezieht uns mit ein, wir sind keine Konkurrenz, sondern ein Multiplikator.
IServ ist als Schülerprojekt gestartet, inzwischen betreuen Sie mehr als 5000 Schulen in Deutschland. Haben Sie als Jugendlicher mit dieser Entwicklung gerechnet?
Mit einem derartigen Erfolg haben wir zu Beginn überhaupt nicht gerechnet. Wir hatten eine Computer-AG in der Schule. Unser sehr engagierter Lehrer hatte damals schon die Vision, online zu lernen und zu kommunizieren. Nachdem wir bei „Jugend forscht“ teilgenommen hatten, kamen die Schulen von sich aus auf uns zu. Daraus ergab sich automatisch die Gründung der Firma.
Nicht jeder Jugendliche kann programmieren, heute nicht und damals schon gar nicht. Woher hatten Sie das Wissen?
Meine Mutter war in der IT tätig. Ich habe mithilfe einiger ihrer Fachbücher bereits in jungen Jahren die ersten Programmierversuche an unserem Heimcomputer unternommen. In der Schule hatten wir später eine Gruppe, der auch ein paar ältere Schüler mit etwas mehr Programmierwissen angehörten. Als wir wenig später den ersten Internetzugang in der Schule bekommen haben, stand uns auf einmal ein ganzes Netzwerk mit Informationen zur Verfügung.
Noch eine persönliche Frage: Wären Sie in Zeiten von Distanzlernen und Videokonferenzen gerne noch einmal Schüler – oder sind Sie eigentlich ganz zufrieden, dass es das in Ihrer Schulzeit nicht gab?
Ich beneide die Schüler, die da durchmüssen, auf keinen Fall. Für viele waren die vergangenen beiden Jahre hart, aber als Schüler steckt man da noch mal mehr drin. Genau aus diesem Grund haben wir mit IServ versucht, die Schulen zu unterstützen. Wir wissen aus Erfahrung, dass die Beschaffungsprozesse in den Schulen und bei den Schulträgern kompliziert und langwierig sind. Deswegen haben wir allen Schulen in Deutschland ein halbes Jahr IServ geschenkt, weil wir wussten, dass es Schulen gibt, die keine Lösung für das Distanzlernen haben.
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