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Digitalisierung: Warum Informatikunterricht als Pflichtfach nicht reicht

Digitalisierung: Warum Informatikunterricht als Pflichtfach nicht reicht
Foto:  dpa

Die Schule wird digital: Niedersachsens Direktoren wollen Informatik als Pflichtfach. Das ist gut, reicht aber noch lange nicht. Denn alle Schulfächer müssen Informatik sein. Ein Kommentar.


Fernsehen schauen wir bei Netflix. Essen bestellen wir bei Pizza.de. Musik streamen wir bei Spotify und Freunde und Familie sind längst allesamt bei WhatsApp erreichbar. Recherche für Uni und Job machen wir im Bett auf dem Laptop. Wir unterschreiben Online-Petitionen, posten Selfies auf Instagram und kaufen Tickets für Konzerte und Öffis online – gut, dass man einfach mit PayPal bezahlen kann.

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Unser Alltag findet längst mitten in der Digitalisierung statt. Jeden Tag wächst die Zahl der Internetnutzer weltweit um eine Million Menschen. Das bedeutet: Es gibt mehr Nutzer, die allein in diesem Jahr das Internet für sich neu entdeckt haben, als es Bürger in Deutschland gibt. Das ist das Ergebnis des diesjährigen Global Digital Report von der Agentur We Are Social und der Social-Media-Plattform Hootsuite. Demnach sind mittlerweile 57 Prozent der Weltbevölkerung im Schnitt 6,5 Stunden am Tag online – in Deutschland sogar 96 Prozent.

Digitalisierung ist nicht optional – sondern Pflicht

Was diese Zahlen verdeutlichen, kommt nur langsam in unserer Politik und unseren Schulen an: Digitalisierung ist nicht optional. Sie ist Pflicht, wenn wir mit unserer Umwelt und der Gesellschaft, in der wir leben, Schritt halten wollen. Infolgedessen wurde der DigitalPakt Schule ins Leben gerufen, der am vergangenen Freitag endgültig vom Bundesrat auf den Weg geschickt wurde. Bund und Länder wollen über einen Zeitraum von fünf Jahren insgesamt 5 Milliarden Euro investieren, um Deutschlands Schulen mit digitaler Technik zu versorgen. Ein guter Anfang – aber er reicht noch lange nicht aus.

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Der DigitalPakt legt den Grundstein für eine technische Infrastruktur – doch mangelt es an Lehrern, die diese lehren oder gar nutzen können. Seit Jahren klagen Schulen über fehlendes Personal, besonders im Zusammenhang mit dem Ruf nach Informatikunterricht. Und nicht selten sind es die Schüler aus der ersten Reihe, die immer noch dem Lehrer beim Bedienen des Smart Boards helfen müssen. Wer soll da einen realitätsnahen, modernen Informatikunterricht anbieten?

Digitalisierung ist überall – also müssen alle Fächer Informatik beinhalten

Das Problem ist, dass selbst ein solcher Informatikunterricht als Pflichtfach nicht die volle Bandbreite der Digitalisierung unterrichten kann, weil sie viel zu breit gefächert ist. Tatsächlich müssen wir alle Unterrichtsfächer überdenken, wenn es unser Ziel ist, dass die Schule den Menschen auf sein späteres Leben in der Gesellschaft vorbereiten soll – denn die ist bereits vollständig durchdigitalisiert.

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So müssen wir uns im Politik-Unterricht mit der Rechtsprechung im Internet und Online-Petitionen beschäftigen und die wirtschaftlichen Aspekte von Online-Handel und Kryptowährungen wie Bitcoins analysieren. Im Deutsch-Unterricht könnte man die digitale Sprache in Blogs, sozialen Medien und den modernen Mischformen des Online-Journalismus analysieren. Mathematik und Programmieren gehen seit jeher Hand in Hand – ein idealer Rahmen zum Erklären von Algorithmen und der Funktionsweise von künstlicher Intelligenz. Letztere wirft – ebenso wie das Phänomen der Filterblase – auch interessante Fragen für den Philosophie-Unterricht auf. Die komplexen technischen Entwicklungen in der Biotechnik wären dagegen in den naturwissenschaftlichen Fächern gut aufgehoben.

Das alles sind natürlich nur Beispiele, die lediglich an der Oberfläche dessen kratzen, was möglich ist. Je nach Lehrkraft fließen diese Dinge sicher auch schon heute in den Unterricht ein – mal prominenter, mal am Rande. Und ein dedizierter Informatikunterricht ist ein guter und längst überfälliger Anfang. Aber wir brauchen digitalaffine Lehrkräfte in allen Fächern. Personen, die das Digitale nicht nur widerwillig akzeptieren, sondern aktiv mitgestalten wollen und diese Attitüde auch ihren Schülern vermitteln.

Wenn Eltern ihre Ängste an die Kinder weitergeben wollen

Doch hört man Bildungsexperten und Politiker über die Inhalte des Informatikunterrichts sprechen, wird das Vokabular meist defensiv: Man müsse Schüler etwa auf einen verantwortungsvollen Umgang mit sozialen Medien vorbereiten, über Gefahren aufklären, die Identifikation von unseriösen Quellen lehren, Cybermobbing vorbeugen oder – ganz allgemein – ihnen den Weg in dieser verwirrenden neuen digitalen Welt weisen. Das wirkt oft eher, als würde da eine digital überforderte Elterngeneration ihre eigenen Ängste auf die Jugend projizieren – die wiederum oftmals eher diejenige ist, die den Älteren das Digitale erklärt.

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Etwas verstaubt wirkt da auch das Eltern-Credo “Lern was Verfünftiges”, das Kinder oftmals eher davon abbringen soll, irgendetwas mit Computern zu machen – ein gravierender Trugschluss: Laut einer Studie der London School of Economics ist beinahe die Hälfte aller Berufsbilder durch die Digitalisierung in den kommenden 20 Jahren gefährdet. An ihre Stelle rücken aber neue Berufsbilder, nach denen bereits jetzt gefragt wird. In einer Welt, in der technische Infrastrukturen dramatisch an Bedeutung gewinnen, braucht es eine immense Anzahl von Menschen, die diese bauen, pflegen und weiterentwickeln.

Informatik-Berufe boomen

Laut einer Studie der Unternehmensberatung Boston Consulting Group ist das häufigste Merkmal von Vorreiter-Unternehmen, dass schon jetzt mehr als 10 Prozent ihrer Mitarbeiter Digital-Experten sind – Tendenz steigend. Mögliche Berufsbilder beschränken sich dabei nicht nur auf Elektroingenieure, Software-Entwickler und andere Programmierer. Social-Media-Manager sind die modernen Kundenbetreuer und Marktforscher. Online-Händler und Wirtschaftsmathematiker müssen sich mit den Gesetzmäßigkeiten des digitalen Marktes auskennen. Das digitale Zeitalter bedeutet nicht nur das Aussterben von Berufszweigen, sondern auch die Entstehung neuer Jobs. Jobs, auf die Schüler im besten Fall bereits vorbereitet werden.

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Aber natürlich ist nicht nur alles Pommes und Disco in der Digitalisierung. Und natürlich gibt es viele Gefahren im Internet. Aber wir müssen uns auch überlegen, welche Perspektive wir auf die Digitalisierung haben wollen: Wollen wir Angst haben und nur auf unseren Schutz bedacht sein – als passive Konsumenten eines Mediums, zu dem wir uns nicht ganz bekennen wollen? Oder wollen wir aktiv die Infrastruktur der Zukunft mitgestalten und uns bewusst digitalisieren? Denn die Möglichkeiten im Digitalen sind unendlich: zum Informieren, zum Teilhaben, zum Kontakt, zur Planung, zur Prokrastination, zur Karriere, zur Selbstverwirklichung – oder eben ganz einfach zum Spaß. Die Schüler haben das im Zweifel eh schon verstanden.

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Von Joss Doebler


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