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Durch Corona: Junge Menschen entdecken ihre Heimat neu

Durch Corona: Junge Menschen entdecken ihre Heimat neu
Foto: Unsplash.com/@jordaneil

Kein Studienreisen, Klassenfahrten oder Backpacking-Trips: Was für viele Menschen einen Teil ihrer Jugend ausmacht, ist seit einem Jahr nicht mehr möglich. Aber kann man zu Hause nicht auch Neues entdecken? 5 junge Leute erzählen, warum sie ihre Heimat nun mit anderen Augen sehen.


Der Begriff Heimat löst oftmals ein nostalgisches Gefühl aus. Zwischen den schönsten Erinnerungen aus unserer Kindheit verbergen sich aber oftmals auch Langeweile, Dorfgetratsche oder immer die gleichen Gesichter, denen man in Diskotheken seit Jahren entgegenblickt. Daher treibt es besonders junge Menschen in große Städte oder zumindest in die Ferne: Hauptsache, weg. Endlich das Gewohnte verlassen, um neue Wege zu gehen.

Die Heimat hat auch schöne Seiten

Die Corona-Pandemie lässt sich mit diesen Vorstellungen vom Weggehen oftmals nicht vereinbaren. Wer wegen weggefallener Nebenjobs plötzlich wieder zu Hause bei den Eltern sitzt, weil die Miete nicht mehr bezahlbar ist, kann ein Lied davon singen. Aber hat die Heimat nicht auch eine zweite Chance verdient? Oder hat sie nicht sogar mehr zu bieten als gedacht? MADS hat fünf junge Menschen gefragt, ob sie die schönen Seiten ihrer Heimat neu entdecken konnten.

Fabia (18) und die grüne Stadt

Quelle: privat

Ich bin 18 Jahre alt. Eigentlich findet genau jetzt meine Jugend statt. Normalerweise würden wir uns zum Feiern in Clubs treffen oder Hauspartys veranstalten. Das geht seit Corona natürlich nicht mehr. Doch nur zu Hause bleiben und unsere Zeit, die wir als Freundeskreis jetzt noch haben, verstreichen lassen? Auf keinen Fall. Also verlagerten meine Freunde und ich schon früh unsere Treffen nach draußen. Der Mittellandkanal ist unser Favorit geworden. Im Sommer kamen wir schon zum Sonnenaufgang, kühlten uns, sobald es heiß wurde, im Kanal ab und grillten später dort. Wir hatten Glück, dass der Frühling und die Wärme so früh kamen – und der Sommer so lange blieb. Jetzt bringen wir Wolldecken mit, damit wir auch noch nach der untergegangenen Sonne zusammen sein können. Ich habe erst jetzt erkannt, wie grün Hannover ist. Von der Graft über die Herrenhäuser Gärten, unseren Stadtwald oder auch das große Naturschutzgebiet. Aufgezeichnet von muh

Max (17) und die Wanderwege

Symbolfoto. Quelle: Unsplash.

Ich wohne noch immer in meiner Heimat, wollte aber versuchen, sie durch Corona neu kennenzulernen. Ich habe Outdoorsport immer relativ wenig mit dieser Gegend verbunden. Als ich aktiv mit Mountainbiking und BMX-Fahren angefangen habe, entdeckte ich, dass meine Heimat optimal dafür ist. Irgendwann kam mir die Idee, einen Bike-Park zu gestalten. So habe ich viele neue Leute kennenlernt. Das ist zu Corona-Zeiten kaum möglich, umso glücklicher bin ich also darüber. Einige von diesen Menschen zähle ich jetzt zu meinen Freunden. Außerdem habe ich das Weserbergland und seine Wanderwege ganz anders wahrgenommen. Der Vorteil, auf dem Land zu leben, ist für mich die Nähe zu den Leuten. Wir kennen einander und es gibt keine Anonymität, so wie in der Großstadt. Natürlich habe ich das meinem Hobby zu verdanken. Mir fällt es leicht, Kontakte zu knüpfen. Der Fakt, dass alles nah beieinanderliegt, hat das auch unterstützt. Aufgezeichnet von muh

Dominik (21) und das Wattenmeer

Quelle: Privat

Ich komme aus einem kleinen Dorf in Schleswig-Holstein, zwischen Schleswig und Husum. Für mein Studium bin ich nach Münster gezogen. Die Semesterferien verbringe ich selten in der Heimat, sondern nutze die Chance, um die Welt zu sehen. Das hat sich mit Corona geändert. Ich habe gezwungenermaßen die Chance, wieder mehr in der Heimat zu sein – und auch mein Pflichtpraktikum dort zu machen. Ein Erlebnis ist mir besonders im Kopf geblieben: Da die Ostsee nicht weit von mir entfernt ist, bin ich oft dort – das wollte ich ändern. Im Sommer habe ich gemeinsam mit meiner besten Freundin endlich mal in der Nordsee baden wollen. Nur ärgerlich, dass wir uns keine Gedanken über Ebbe und Flut gemacht haben. An dem Tag war leider Ebbe, wir konnten natürlich nicht baden gehen. Stattdessen nutzten wir die Gelegenheit und machten es den anderen Menschen dort nach: Wir planschten im Watt, schlitterten auf dem Bauch wie Pinguine umher, beschmierten uns und hatten den Spaß unseres Lebens. Ich werde jetzt definitiv viel mehr Dinge tun, die ich vorher noch nie gemacht habe. Und zwar hier, direkt vor meiner alten Haustür. Aufgezeichnet von muh

Madita (24) und die Sonnenuntergänge

Quelle: privat

Meine Heimat ist schon länger nicht mehr mein Zuhause. Doch ist sie es durch Corona wieder für einige Zeit geworden. Mein Dorf in Südniedersachsen ist schlecht angebunden, ringsherum befinden sich nur weitere Dörfer mit Wiesen und Kühen. Hier kann man nichts machen. Dachte ich. Bis meine Schwester und ich anfingen, mehrmals die Woche ein Picknick an neu entdeckten Orten zu machen. Das haben wir früher nie zusammen gemacht – wie doof eigentlich. Meine Heimat hat viel mehr zu bieten als den jährlichen Karneval oder Weihnachtsmarkt, an deren Feiern wir uns am nächsten Tag nur noch blass erinnern. Mit meiner Schwester fahre ich über Feldwege, stolpere durch kniehohes Gras, trete auf Schafskot oder suche mir einen eigenen Pfad durchs Dickicht des Waldes. Immer mit dem Ziel, die beste Aussicht zu erhaschen, die Freiheit zu spüren, den Blick schweifen zu lassen. Abends werden wir belohnt. Mit Sternschnuppen, blinkenden Satelliten – und Sonnenuntergängen. So viel Zeit hatten wir lange nicht mehr zusammen. Manchmal muss man eben doch weggehen, um die Schönheit in dem Gewöhnlichen zu erkennen. muh

Johann (22): endlich im Szeneviertel gelandet

Quelle: Privat

Zwar wohne ich erst seit etwa einem halben Jahr in Dresden, aber das nach einem Gasthaus benannte Hechtviertel im Stadtbezirk Neustadt hat schon immer einen Sehnsuchtsort für mich dargestellt. Blöd nur, wenn man ausgerechnet dann in den Stadtteil seiner Träume zieht, wenn dort coronabedingt alle Kneipen, Restaurants, Kinos und Clubs verriegelt und verrammelt sind. Und auch wenn die gleichmäßige Gebäudehöhe der gründerzeitlichen Mietshäuser einen wunderbar geordneten Eindruck macht, so wirkt selbst die schönste Fassade spätestens nach dem zwanzigsten Spaziergang fad und eintönig. Momentan ist also bei uns einfach nicht viel los. Davon abgesehen treffen im Hecht aber seit jeher Gegensätze aufeinander. Aufwendig kernsanierte Gründerzeithäuser werden beispielsweise mit ausdrucksstarken Graffittis besprüht und SUV mit Farbbeuteln beworfen. Denn der Fluch von so ziemlich jedem kultigen Szeneviertel besteht darin, dass früher oder später viele gern Teil desselben sein würden.

Symbolfoto. Quelle: Unsplash.com/@yohannlibot

Eine Anekdote, die dieses Dilemma wohl wie keine zweite zum Ausdruck bringt, haben wir gerade in der WG erlebt. Ich sitze wie jeden Tag vor meinem Bildschirm und folge mit mehr oder weniger großer Aufmerksamkeit einer Vorlesung, als mein Zimmer von grellem Blaulicht durchflutet wird und kurz darauf meine beiden Mitbewohner aufgeregt durch die Tür stürmen. Sie reißen die beiden Fenster auf und beobachten gebannt, wie sich eine kleine Staffel Polizisten schützend vor ein vor meinem Fenster geparkten Vonovia-Firmenwagen positionieren. Sie wollen Demonstranten, die gegen Gentrifizierung sind, davon abhalten, es in Brand zu stecken. Meine Mitbewohnerin, Haare so rot wie ihre politische Einstellung, stellt sich ans Fenster und brüllt nach unten: „Brennt die Karre von dem Scheißverein ab!“ Woraufhin mein Mitbewohner, ein eher konservativer Wirtschaftsstudent, alarmiert entgegnet: „Halt, meine Vonovia-Aktien!“ Es ist eben auch im Szeneviertel möglich, eine Szene zu machen. joh


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Über den Autor/die Autorin:

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Unter diesem Namen sammeln wir Beiträge von Gastautorinnen und -autoren, Autorenkollektiven oder freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei MADS. Die Namen des jeweiligen Autors oder der jeweiligen Autorin stehen unter dem einzelnen Beitrag.

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