Flucht aus der Ukraine: Katia zeigt ihr neues Leben auf Tiktok
Katia und Olha sind aus der Ukraine geflohen – vor dem Krieg, aber auch vor der Homofeindlichkeit. Jetzt leben sie in Hannover und lassen Hunderttausende auf Tiktok daran teilhaben.
„Es ist ein russischer“, antwortet Ekaterina Shardyko, genannt Katia, fast schon zerknirscht auf die Frage nach ihrem Reisepass. Anders als der dunkelblaue ukrainische Pass ihrer Freundin ist ihrer weinrot. Katia erklärt, dass sie zwar auf russischem Territorium geboren sei, ihre Eltern aber ukrainischer und belarussischer Herkunft seien und sie eine lebenslange Aufenthaltsgenehmigung für die Ukraine hätten.
„Als ich sechs war, sind wir dann zu dem ukrainischen Part der Familie nach Zhmerinka gezogen“, sagt Katia. Für das Physikstudium zog sie zusammen mit ihrer Freundin Olha Pasichnyk in einen Kiewer Vorort. „Für uns war schon immer klar, dass wir nicht unser Leben lang in der Ukraine bleiben“, sagt Katja. Dass sie aber so schnell gezwungen sein würden, das Land zu verlassen, hatten sie nicht erwartet.
21. Geburtstag im Keller in der Ukraine
Vom Überfall Russlands auf die Ukraine am 24. Februar erfuhr Katia von ihrer Freundin. „Ich dachte nur: Niemals!“ Schon wenige Stunden später hätten sich Explosionen und der Luftalarm zu einer stetigen Geräuschkulisse entwickelt, berichtet das Paar. „Um uns zu schützen, sind wir in den Keller unter unserer Wohnung gegangen“, sagt Katia. „Dort haben wir drei Nächte und meinen 21. Geburtstag verbracht. Aber die Umstände waren ziemlich schlimm.“ Es sei dort extrem staubig und überfüllt gewesen.
Nach zwei weiteren Nächten in ihrer Wohnung beschlossen Katia und Olha zu fliehen. „Ich hatte nicht mehr nur Angst vor den Bomben, sondern vor allem auch vor Militärverbrechen wie Einbrüchen oder Vergewaltigungen“, sagt Katia.
Chaotische Zustände am Bahnhof
Als Ziel setzten sie sich zunächst Polen. „Unsere Flucht bestand vor allem aus Evakuierungszügen und -bussen.“ Diese seien zwar kostenfrei gewesen, dafür aber nach keinem bestimmten Plan gefahren. „Sobald ein Zug in den Bahnhof einfuhr, brach eine Art Panik aus.“ Menschentrauben seien zum Zug gerannt, es habe Prügeleien gegeben, die von schwer bewaffneter Polizei beendet werden mussten. „Schwieriger machte es natürlich noch, dass es im ganzen Bahnhof dunkel war.“ Hätte man das Licht angelassen, wäre die Station leichter für einen Angriff erkennbar gewesen.
Olha und Katia schafften es in einen Zug nach Lwiw. „Normalerwiese braucht man für diese Strecke ungefähr sieben Stunden, dieses Mal hat es 14 gedauert.“ Sobald der Luftalarm ertönte, hielt der Zug und schaltete das Licht aus, um sich unkenntlich zu machen. Von Lwiw erreichten sie mithilfe einer Bekannten einen Evakuierungsbus zur polnischen Grenze. Weiter ging es nach Chelm, Warschau, Berlin und letztlich nach Hannover. Insgesamt waren Katia und Olha fünf Tage unterwegs. Heute leben sie in der Unterkunft auf dem Messegelände.
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In den ersten Momenten der Stille realisierte Katia die Gefahr der vergangenen Tage. „Während der ganzen Flucht war ich ruhig. Mein Kopf war in einem Schutzmodus. Aber jetzt, in Sicherheit, beginne ich zu begreifen, was passiert ist“, sagt sie.
Katia zeigt Leben in Unterkunft auf Tiktok
Seit sie in Hannover angekommen ist, teilt Katia ihre Geschichte auf ihren Tiktok-Kanälen @markchrs und @markchrs2.0. In kurzen Videos auf Englisch oder Deutsch zeigt sie Eindrücke ihrer Flucht und das Leben in der Unterkunft. Die Videos erreichen teilweise Hunderttausende Menschen, eins sogar mehr als eine Million. Die 21-Jährige berichtet von Tausenden Kommentaren, in denen Menschen ihre Hilfe anbieten. „Vielen Dank dafür! Ich fühle mich dadurch wirklich sehr willkommen“, sagt sie.
Der Entschluss, vor dem Krieg zu fliehen, ist dem Paar verhältnismäßig leichtgefallen. „Wir hatten nur eine kleine Wohnung in einem Vorort von Kiew. Dazu habe ich kein gutes Verhältnis zu meinen Eltern“, erzählt Katia. Es habe sie also nicht viel in der Ukraine gehalten. Andere, die sich dort ein Leben aufgebaut hätten mit Haus und Kindern, müssten eine viel schwierigere Entscheidung treffen, meint sie.
Katias Entscheidung war vom Wunsch nach Sicherheit geprägt. Wegen des Krieges natürlich, einerseits. Und andererseits wegen ihrer Beziehung. Homosexualität ist in der Ukraine längst nicht so akzeptiert wie in Deutschland. Eine gleichgeschlechtliche Beziehung zu führen sei gefährlich, die Ehe sogar verboten, sagt sie. Ihre Zukunft sehen Katia und Olha daher in Deutschland. „Wir wollen Deutsch lernen, unser Studium fortsetzen, in eine eigene Wohnung ziehen und irgendwann heiraten“, sagt Katia.
Von Jule Trödel
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