ETF oder WTF? Warum sich junge Menschen beim Thema Geld so schwertun
Bei jungen Menschen wächst die Sorge vor Altersarmut. Private Absicherung und Anlagen könnten helfen. Doch selbst Grundlagenwissen um das Thema Geld fehlt noch allzu oft.
ETFs, Wertpapierindex, Investmentgesellschaft – diese Begriffe sind Fremdworte für Pauline Lübbert. Dabei hat sie Abitur gemacht und studiert Soziale Arbeit im Fernstudium. Die 23-Jährige weiß genau, dass sie sich für die Zukunft absichern muss. Doch von Finanzen hat sie, wie sie selbst sagt, keine Ahnung. „Wenn ich mich besser auskennen würde, hätte ich vielleicht schon was angelegt. Auch wenn es nur kleine Beträge wären“, sagt die Studentin. Wie ihr geht es vielen jungen Menschen in Deutschland. In einer Studie des Deutschen Bankenverbandes konnte mehr als die Hälfte der 14- bis 24-Jährigen nicht einmal grundlegende Begriffe der Wirtschaft wie Inflationsrate oder Investmentfonds erklären.
Mehr junge Aktionäre
Während der Pandemie haben trotzdem mehr junge Menschen Geld in Aktien und Fonds angelegt als in den Vorjahren. Laut Zahlen des Deutschen Aktieninstituts stieg die Zahl der unter 30-jährigen Aktionäre 2022 um 600.000 Personen an. Doch von rund 30 Millionen Menschen in Deutschland, die unter 30 Jahre alt sind, besitzen nur 2,1 Millionen Aktien oder Fonds.
Einer von ihnen ist Andy Vo. Schon im Alter von 16 Jahren beginnen seine Freunde und er, in Aktien und Exchange Traded Funds (ETFs) zu investieren. Unter dem Namen seines Vaters legt er sein eigenes Geld an und baut einen Sparplan auf. „Wir dachten uns: Wie können wir Geld verdienen, ohne viel zu machen und einfach passiv ein gewisses Einkommen zu generieren?“, sagt Andy. Mittlerweile studiert er BWL in Münster. „Anfangs habe ich viel Learning by Doing betrieben und dabei auch Verluste einbüßen müssen“, erzählt der Student. „Aber ich habe auch mit vielen Erwachsenen wie Eltern von Freunden gesprochen.“
Einen Kurs zu finanzieller Bildung hat der 22-Jährige nie belegt, und auch in der Schule wurde das Thema nie angesprochen. Pauline geht es ähnlich. Sie fordert daher, schon früh wirtschaftliches Wissen zu vermitteln. „Ich sehe hauptsächlich die Schule in der Verantwortung. Es sollte dort ein Finanzfach geben, wo Themen wie Vorsorge, Versicherungen und Anlagen behandelt werden.“
Nebenfach Wirtschaft? Fehlanzeige
In Deutschland sind die Bundesländer für die Bildung zuständig. Ein einheitliches Fach für Wirtschaft gibt es nicht. Aus einer Studie geht sogar hervor, dass Wirtschaft in keinem Bundesland den Status eines normalen Nebenfachs erreicht. Die Studie führte das Institut für Ökonomische Bildung der Universität Oldenburg im Auftrag der Flossbach von Storch Stiftung durch. Zwar bieten vereinzelte Schulen innerhalb der Bundesländer eine umfangreiche ökonomische Bildung, beispielsweise Wirtschaftsgymnasien, diese stellten laut Studie jedoch die Ausnahme dar.
Dabei ist das Interesse von Seiten der Jugendlichen durchaus vorhanden, wie Yvonne Mahnert berichtet. Sie ist Lehrerin an der Pina-Bausch-Gesamtschule in Wuppertal. Im vergangenen Jahr leitete sie einen Projektkurs zu finanzieller Bildung für Schülerinnen und Schüler der zwölften und 13. Klasse. Auf das Angebot gab es laut Mahnert einen regelrechten Ansturm. „Die Schüler haben vielleicht noch ein Verständnis von Taschengeld, aber wenn es darum geht, das Taschengeld zu verwalten, da hört es schon auf“, sagt sie. Dennoch wird sie den Kurs zunächst nicht fortführen. Solche Projekte neben dem Regelunterricht anzubieten sei für sie aus Zeitgründen langfristig nicht möglich.
Auch der Deutsche Lehrerverband betont, dass finanzielles und ökonomisches Grundlagenwissen zum Allgemeinbildungsauftrag aller Schularten gehört. „Eine Zielsetzung muss es auch sein, die finanzielle Kompetenz der Kinder und Jugendlichen hinsichtlich ihrer eigenen Lebensführung und Lebensplanung zu stärken“, sagt Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes. Schwerpunkte sollen im Unterricht auf Themen wie Wirtschaftskreislauf, Markt, Wirtschaftspolitik und Eigentumsordnung liegen. Aber auch die Eltern seien laut Meidinger nicht aus der Verantwortung für entsprechende Erziehung zu nehmen.
Recht auf Finanzwissen für alle
Das Bundesministerium für Bildung sieht Eltern dagegen nicht in der Verantwortung. „Ökonomische Aufstiegschancen dürfen nicht davon abhängen, ob dieses Wissen bereits im Elternhaus vermittelt wird“, erklärt ein Sprecher. In erster Linie seien allerdings die Länder und nicht der Bund zuständig. Trotzdem befasse man sich seitens des Bundesministeriums zurzeit stärker mit ökonomischer Bildung. Wie diese künftig konkret aussehen soll, teilt das Ministerium auf Anfrage aber nicht mit.
Doch warum kommt die finanzielle Bildung in der Schule eigentlich zu kurz? Carmela Aprea, Leiterin des Mannheim Institute for Financial Education (MIFE), sieht dafür verschiedene Gründe. „Leider muss man sagen, dass viele Lehrkräfte Berührungsängste mit wirtschaftlichen Inhalten haben. Was ich persönlich natürlich schade finde, denn es ist wichtig, dass die jungen Leute sich kritisch mit den Themen auseinandersetzen können“, erklärt Aprea. Außerdem sei die wirtschaftliche Ausbildung von Lehrkräften immer noch mangelhaft. So stellen wirtschaftliche Themen keinen ausreichenden Anteil der Lehrkräftebildung dar. Auch fehle es an wirtschaftlichen Professuren an den Ausbildungsstätten. Diesen Eindruck hat auch Lehrerin Mahnert.
Private Angebote: Von Finanzenretter bis Abzocke
Da sie in der Schule nicht genug über Finanzen gelernt haben, versuchen die Studierenden Andy und Pauline, sich außerhalb des Unterrichts zu bilden – mit unterschiedlichem Erfolg. „Ich bin schon als Schüler arbeiten gegangen, weil ich aus einfachen Verhältnissen komme“, sagt Andy. Seine Eltern kann er beim Thema Geldanlage nicht um Rat fragen. Stattdessen informiert er sich auf Youtube. In Paulines Freundeskreis spielt das Thema hingegen kaum eine Rolle. „Ich habe mich nur hier und da mal mit ein paar Finanz-Apps beschäftigt“, sagt sie. Apps, Youtube-Kanäle oder Seminare – wo das Bildungssystem Lücken hinterlässt, springt der freie Markt ein, um sie zu füllen. So altruistisch, wie sich das anhört, ist es allerdings nicht.
Christian Mauer ist Karriere- und Finanzplaner bei der MLP Finanzberatung. Er bietet verschiedene Kurse für Studierende an. Seine Kursteilnehmenden haben oft ähnliche Anliegen. Es geht hauptsächlich darum, wie und wann man Geld anlegt. Auf diese Fragen hat Mauer eine einfache Antwort. „Sobald man kann, sollte man mit dem Sparen und Anlegen anfangen. Es lohnt sich auch schon bei 10 Euro. Mir hat es damals keiner erklärt, und es hat mich einen Haufen Geld gekostet“, sagt der Finanzberater. Gerade die Altersvorsorge werde laut Mauer zu sehr vernachlässigt. „Der Großteil meiner Teilnehmer hat noch keine Ahnung davon, aber wir müssen selber was für unsere Rente machen. Ohne private Vorsorge geht es nicht mehr“, meint der 34-Jährige.
In diesem Punkt stimmt Wirtschaftspädagogin Aprea zu. „Die meisten Menschen beschäftigen sich erst ab 50 mit der Altersvorsorge, das ist leider zu spät.“ Sie warnt allerdings auch vor privaten Beratungsangeboten, da gebe es Licht und Schatten. „Einige sind sehr gut, bei anderen geht es hauptsächlich darum, Kunden anzuwerben“, sagt Aprea. Zudem richteten sich viele Kurse speziell an Studierende, obwohl Auszubildende oder junge Menschen ohne Schulabschluss Beratung ebenso nötig hätten. Akademiker sind offenbar lukrativere Kunden. „Wenn ich auf einmal nur noch Menschen berate, die 20 Prozent von dem verdienen, was Akademiker verdienen, dann bleibt auch nur 20 Prozent von dem bei mir hängen. Um meinen Lebensunterhalt zu verdienen, müsste ich also fünfmal so viele Leute beraten“, erwidert Mauer.
Im Bereich der privaten Altersvorsorge gibt es etliche Angebote – schließlich haben inzwischen die meisten Menschen verstanden, dass allein die gesetzliche Rente nicht ausreicht, um im Alter den gewohnten Lebensstandard zu erhalten. Nur: Um einen Überblick in der breiten Angebotslandschaft zu finden und das Geld richtig anzulegen, benötigen junge Menschen eben das entsprechende Wissen. Finanzexpertin Aprea betont, der private Sektor mit eigenen Interessen könne nicht die alleinige Lösung sein. Auch die Schulen könnten die Verantwortung nicht allein tragen. Sie plädiert für lebenslange Bildung. „In der Schule sollte vor allem vermittelt werden, wie wichtig es ist, sich mit seinen Finanzen auseinanderzusetzen, damit die Menschen sich je nach Bedarf in ihren verschiedenen Lebensphasen informieren können“, sagt Aprea. Es bringe nichts, Schülerinnen und Schülern Wissen zu vermitteln, welches sie erst 20 Jahre später brauchen.
Ausreichende Schulbildung zum Thema Geld?
Laut dem niedersächsischen Kultusministerium vermitteln Schulen bereits ausreichend ökonomische Grundlagen. Private Altersvorsorge werde zwar immer relevanter, doch es sei Aufgabe der Schülerinnen und Schüler, sich darüber selbst zu informieren. „Keinesfalls sollte in der Schule ‚die richtige Antwort‘ auf diese Fragen unterrichtet werden“, teilt ein Sprecher mit. Das Ministerium verweist auf mehrere Fächer, in denen ökonomische Grundlagen vermittelt würden, welche bei der Recherche im späteren Leben helfen sollen.
Andy und Pauline fühlen sich durch ihre Schulbildung nicht ausreichend vorbereitet. Andy ist aber auch der Überzeugung, dass jeder Mensch für sich selbst verantwortlich ist. „Wenn man das ganze Investitionsthema, also passives Einkommen und mehrere Einkommensquellen, im eigenen Leben komplett vernachlässigt, ist das meiner Meinung nach sehr naiv.“ Pauline steht noch vor diesem Schritt. Kürzlich hat sie sich mit ihrem Freund ein Buch über Finanzen gekauft. Sie wollen sich den Stoff nun gemeinsam erarbeiten.
Von Franziska Balzer, Felicia Holtkamp und Anna Strathmeier
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