Corona-Logbuch: „Meine Schulkameradinnen treffen sich immer noch“
Marie (16) sorgt sich weniger um den ausfallenden Schulunterricht und ihre eigene Gesundheit. Angst macht ihr derzeit vor allem der plötzliche Rassismus – und das egoistische Verhalten vieler Menschen.
Fast hätte ich mich gefreut, fünf Wochen nicht zur Schule zu müssen – bis mir wieder einfällt warum. Dabei hätte ich mir zu Beginn von Corona die Folgen der Lungenkrankheit kaum ausmalen können: Noch vor zwei Wochen hielt ich es für unmöglich, dass auch in Deutschland Dinge wie in Italien passieren können. Wenn ich jetzt in der Tagesschau sehe, dass dort ganze Konvois Corona-Tote durch leere Straßen fahren, bekomme ich echt Angst.
Das Alles fühlt sich surreal und beklemmend an. Bisher war ich nicht ängstlich, um meine eigene Gesundheit mache ich mir noch immer keine Sorgen. Worüber ich mir ebenfalls keine Gedanken mache ist die verpasste Schulzeit. Meine Schule versorgt uns mit Aufgaben. Wir haben einen Schulserver, über den uns die Lehrer und Lehrerinnen Aufgaben zuschicken und Abgabetermine festlegen können. Ich habe mir die Aufgaben notiert und plane in meinem Kalender alles: An welchem Tag muss ich welche Aufgaben fertig machen? Wann sind die Abgaben?
„Viele Menschen handeln egoistisch“
Gerade stehen keine Klausuren an, da wir schon einige geschrieben haben und das Halbjahr insgesamt entspannt ist. Ich habe weniger Unterricht und in den Sprachen schreiben wir nur eine Klausur. Ich bin in der elften Klasse, deshalb ist der Ausfall für mich nicht so dramatisch – bei denjenigen, die ihren Abschluss dieses Jahr machen, sieht es vermutlich anders aus.
Zumindest habe ich jetzt einen entspannten Alltag und mehr Freiraum – manchmal vergesse ich ganz, weshalb ich zu Hause bleibe. Schule ist für mich kein Thema – die Folgen von Corona auf die Gesellschaft allerdings schon. Wenn ich sehe wie Menschen Hamsterkäufe machen, obwohl es keine Lebensmittelengpässe gibt, werde ich wütend. Die Eltern einiger Klassenkameraden besitzen Massen an Essen, zahlreiche Atemschutzmasken und sogar Schutzanzüge.
Die junge Generation muss jetzt verzichten
Auch die Zunahme an Rassismus macht mir Angst: Eine meiner Freundinnen ist Asiatin und hat zum ersten Mal in ihrer Heimatstadt wegen des Coronavirus rassistische Anfeindungen bekommen. Was mich jedoch am meisten beschäftigt, ist das Verhalten der jungen Menschen. Es gibt Personen, die vor dem Virus geschützt werden müssen – Alte und Kranke – und jene, die das Virus immer weiter verbreiten, weil es sie kaum betrifft – die jungen Gesunden. Bei Fridays for Future fordern wir von älteren Menschen Verzicht, etwa auf Fleisch oder Autofahren. Jetzt sind wir diejenigen, die verzichten müssen.
Dabei ist es einfacher denn je zu Hause zu bleiben: Wir können uns über WhatsApp schreiben, über Skype telefonieren oder uns auf Instagram gegenseitig über die Lage updaten. Doch trotzdem sehe ich, wie sich meine Mitschüler und Mitschülerinnen fast täglich treffen. Genau das schraubt die Zahl der Infizierten nach oben, genau das, was vermieden werden soll.
Andere Nachrichten gehen unter
Auch die Rede von Angela Merkel hat mich in Sorge versetzt: „Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst. Seit der Deutschen Einheit, nein, seit dem Zweiten Weltkrieg gab es keine Herausforderung an unser Land mehr, bei der es so sehr auf unser gemeinsames solidarisches Handeln ankommt“.
Noch dazu geht eine Menge an wichtigen Informationen unter. Etwa, dass Belgien eine neue Regierung hat oder Harvey Weinstein in ein Hochsicherheitsgefängnis verlegt wird. So viele Dinge passieren gleichzeitig, dass man gar nicht mehr hinter her kommt. Ich weiß nicht, wie ich als Politkerin mit der Situation umgehen würde. Trotzdem hoffe ich, dass sich die Lage schnell beruhigt und wir aus dieser Krise etwas lernen können. Denn obwohl mir Schule nicht immer Spaß macht, würde ich aktuell lieber zur Schule gehen als jeden Tag ausschlafen zu können.
Von Marie Bruschek
Das Corona-Logbuch: