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Zwischen Angst und Ekstase: Die erste Party seit der Corona-Pandemie

Zwischen Angst und Ekstase: Die erste Party seit der Corona-Pandemie
Foto: Unsplash/Anthony Delanoix

Nach langer Corona-Pause öffnen die ersten Clubs wieder. Doch ist unbeschwertes Feiern überhaupt schon möglich? Ein Protokoll der ersten Party.


10.45 Uhr: Ein angestrengter Blick in den Spiegel, die Finger zittern leicht – meine Partyvorbereitung startet für gewöhnlich mit dem kniffligen Versuch, Eyeliner auf die Augenlider zu zeichnen. Heute ist das anders. Mein erster Partybesuch seit knapp eineinhalb Jahren steht an, und der Tag beginnt im Testzentrum. „Ist das wirklich eine gute Idee?“, frage ich mich lautlos, während mir eine junge Frau ein Teststäbchen unangenehm tief in die Nase schiebt. Doch die Veranstaltung möchte ich mir nicht entgehen lassen: eine angemeldete Open-Air-Party, organisiert von Festivalveranstaltern aus der Region. Sie findet in einem Hinterhof statt, draußen und nur mit getesteten Personen.

Ein Wiedersehen mit dem Partystempel. Foto: Nina Hoffmann

17.05 Uhr: Der Eyeliner sitzt. Schon um 17 Uhr startet die Electro-Party. Doch ich sitze noch mit meinem Freund auf einer Bank im Park und trinke ein kühles Glas Wein. Eine mentale Vorbereitung auf das ungewohnte Ambiente, das uns gleich erwartet. Wir sind aufgeregt – zum ersten Mal gehen wir zusammen feiern. Erst kurz vor Ausbruch der Pandemie hatten wir uns für eine Beziehung entschieden, seitdem verbrachten wir die meisten Abende alleine oder im kleinen Freundeskreis. Gemeinsam Alkohol trinken, tanzen und womöglich auch früheren Dating-Partnern begegnen: Wie das wohl so wird?

17.50 Uhr: Testergebnis und Perso vorzeigen, per QR-Code mit der Luca-App einchecken und dann noch einmal die Tickets zeigen – um das Veranstaltungsgelände betreten zu können, müssen wir einige Einlassstationen durchlaufen. Zur Belohnung gibt es einen Stempel auf den Unterarm. Wummernder Bass und Stimmengewirr schwappen uns entgegen, als wir den Innenhof betreten. Die Tanzfläche ist noch ziemlich überschaubar. Manches ändert sich eben auch nach eineinhalb Jahren Pandemie nicht: Die coolen Kids kommen zuletzt. Die Partygäste sitzen dicht gedrängt an Tischen abseits der Tanzfläche – mein Freund und ich entdecken ein paar bekannte Gesichter. „Schon verrückt, was?“, sage ich und blicke mich im geschmückten Hinterhof um. Alle nicken. „Ich habe das Gefühl, es genießen zu müssen“, sagt jemand. Erneutes Nicken.

Nina und ihr Freund genießen ihre mit alkoholgetränkten Slush-Eis. Foto: Nina Hoffmann

18.30 Uhr: Es wird an Bechern, die mit alkoholgetränktem Slush-Eis gefüllt sind, genippt und über das Leben philosophiert. Ganz festivaltypisch funkeln auf einigen Gesichtern nicht nur die Schweißperlen, sondern auch blauer Glitzer. Der Anblick löst ein Kribbeln in meinem Bauch aus – eins der positiven Art. Dieses unbedarfte Jungsein habe ich am meisten vermisst.

19 Uhr: Seit eineinhalb Jahren habe ich keine meiner Freundinnen umarmt. Jetzt tanze ich inmitten völlig Fremder zu hypnotisierenden elektronischen Beats. Es riecht nach Alkohol und Schweiß. Ich berühre fremde Schultern, spüre fremde Haare auf der Haut. Komisch fühlt sich das alles nicht an – eher ekstatisch.

21.20 Uhr: Ich denke an meine Eltern. Klar, die Inzidenzen sind aktuell ziemlich niedrig – doch wie schnell kann sich das wieder ändern? Bislang habe ich erst eine Impfung. Wie lange werde ich nun darauf verzichten, meine Familie zu besuchen? Ein paar Tage? Eine Woche? Plötzlich fühlen sich die fremden Schultern um mich herum gar nicht mehr so gut an – die Ekstase weicht der Angst. Ich löse die FFP2- Maske von meinem Handgelenk und stülpe sie über Mund und Nase. Ziemlich albern eigentlich, als ob das nun noch etwas bringt. Eine halbe Stunde, bevor die Party offiziell endet, schwinge ich mich auf mein Fahrrad und fahre nach Hause. Trotz des mulmigen Gefühls überwiegt die Freude. Das war eindeutig der aufregendste Abend seit Beginn der Pandemie. Bis zur nächsten Party steht für mich aber nun doch fest: Feiern gehe ich erst wieder, sobald ich einen vollständigen Impfschutz habe.

Irgendwann wird es Nina zu voll, und sie setzt die Maske wieder auf. Foto: Nina Hoffmann

9.55 Uhr am nächsten Morgen: Gedankenverloren scrolle ich durch den Instagram-Feed. Auf dem Posting eines Nachrichtenportals bleibt mein Blick hängen: „Eilmeldung – Die Inzidenz steigt erstmals seit Ende April wieder.“ In meinem Bauch macht sich erneut ein Kribbeln breit – dieses Mal jedoch eins der negativen Art. Nicht, weil ich die Party bereue. Sondern weil mir bewusst wird, dass der gestrige Ausflug in die Normalität weiterhin genau das bleiben wird: ein kurzer Ausflug.


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Über den Autor/die Autorin:

Nina Hoffmann

Nina (24) studiert Soziologie und kennt somit alle Sprüche über eine Karriere als Taxifahrerin. Statt an ihren Fahrkünsten zu feilen, liest sie lieber Texte über Gender-Fragen und Emanzipation - oder noch besser: Die dazugehörigen Kommentare der Facebook-Nutzer/innen.

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