„Zug fällt aus“: Was uns die Deutsche Bahn verschweigt
Ein Zugausfall im Fernverkehr ist keine Seltenheit. Doch nicht immer sind technische Störungen oder das Wetter schuld. Das beweist ein Informatiker auf dem jährlichen Kongress des Computer Chaos Clubs.
74,9 Prozent der Fernverkehrszüge der Deutschen Bahn waren 2018 pünktlich. Das behauptet zumindest die Bahn selbst. Fehlanzeige – sagt nun Data Scientist David Kriesel. Dieser Wert komme nur durch Statistiktricks zustande. Der Bonner hat mit Erlaubnis der Deutschen Bahn seit Anfang 2019 die Pünktlichkeitsdaten von Fernverkehrsbahnhöfen gespeichert. Besser gesagt: jeder Halt von jeder Zugfahrt auf jedem Fernbahnhof. Sein Datensatz umfasst knapp 25 Millionen Halte, das sind mehr als 50.000 pro Tag. An den Bahnhöfen misst die Bahn für ihre Verspätungsstatistik, ob der Zug angekommen ist und ob er pünktlich war.
Zugausfall für Pünktlichkeitsstatistik
Um Kriesels Ergebnisse zu verstehen, muss man jedoch wissen, dass die Deutsche Bahn ausfallende Züge nicht in die Verspätungsstatistik einbezieht. Die Deutsche Bahn begründet dies knapp: Man wüsste nicht, wie ausgefallene Züge in die Statistik einbezogen werden könnten.
Kriesel hat sich angesehen welche Züge besonders unpünktlich sind und wie die Bahn ihre Pünktlichkeitsdaten schönt. Seine Frage konnte er mithilfe von Berechnungen beantworten. Er fand heraus: Hat ein Zug auf einer bestimmten Strecke eine gewisse Verspätung, fährt er ab einem gewissen Bahnhof einfach nicht weiter. Die nachfolgenden Stationen fallen aus. Die Logik dahinter: Ein Zug der nie ankommt, kann auch nicht zu spät sein. In der Statistik taucht er nicht auf und wird als pünktlich verstanden. Die Passagiere im Zug müssen aussteigen.
Passagiere als Leidtragende
Da der Zug in der Regel aber die Strecke auch wieder zurück fahren muss, dreht er am letzten von ihm angefahrenen Bahnhof um und fährt wieder in die Gegenrichtung. Diesmal pünktlich. Dadurch fallen natürlich nicht nur die letzten Haltestellen der Hinfahrt aus, sondern auch die ersten der Rückfahrt. Alles auf Zeit und Nerven der Reisenden.
Die Bahn begründet dieses Vorgehen mit der sogenannten „Scheuer-Wende“: Die Deutsche Bahn wolle so nur politische Vorgaben zu Pünktlichkeitswerten einhalten. Ob diese Antwort auf Dauer zufriedenstellend ist, wird sich zeigen.
Von Florentine Pramann
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„was uns die Bahn verschweigt“ klingt natürlich wieder mal sehr reißerisch – denken hilft.
Zum einen brauche ich für die Erkenntnis, dass Züge in ihrem Lauf verkürzt werden, keine komplexe Auswertung eines selbst erklärten Computer-Experten. Das weiß ich bereits schlichtweg aus meiner Praxis als Bahnfahrer und einer durchschnittlichen Auffassungs- und Beobachtungsgabe.
Zum anderen: wie wäre es, sich mal ab und zu in jemand anderen hineinzuversetzen? In diesem Falle in einen Fahrdienstleiter, der bestimmte Züge in einem komplexen System disponieren muss. Jede Verspätung erzeugt dominoartig mit jeder Minute eine breite Schleppe an weiteren Verspätungen, nämlich an jedem Zwischenhalt und jeder Verzweigung von Reisewegen.
Beispiel: ein ICE von München nach Hamburg.
Nimmt man den Zug in Hannover raus , dann ist das für die etwa 100 bis 200 Reisenden in diesem Zug ärgerlich. Richtig. Aber dabei bleibt es eben, wenn es gut geht. Von Hannover nach Hamburg gibt es eine Vielzahl von Alternativen. Das kalkuliert man ein, genauso wie ein Stau auf der Autobahn.
Für die 100 bis 200 Reisenden bei der Rückfahrt des Zuges ab Hannover nach München aber fährt dieser pünktlich. Das hätte ohne das Aussetzen nicht funktioniert. Und es entfällt auch die enorme Streuschleppe auf der Rücktour von Hannover nach München, so dass auch die 1000 bis 2000 potentiell Betroffenen nicht anfallen. Leider merken die davon nichts und können so dem Disponenten auch nicht dankbar sein, dass er sich für sie eingesetzt hat.
Der Disponent entscheidet sich also für das geringere Übel, also die geringere Zahl der Betroffenen.
Hätte die Bahn nicht die ganzen Überholgleise und vielen Weichen eingespart, wäre Ihr System flexibler und die Verzögerung eines Zuges hätte nicht so starke Auswirkungen auf alle anderen auf der selben Strecke. Auf meiner Hausstrecke verscheuchen regelmäßig verspätete ICE den Regionalverkehr auf Abstellgleise. Der Halt auf freier Strecke führt dann dazu, dass auch dieser Zug ab da Verspätung hat. Man könnte theoretisch den Regionalzug ohne große Verzögerungen auch in einem Bahnhof überholen, praktisch fehlen dazu allerdings Gleise und Weichen.