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„Du kleine … was?“ – Wie passt Deutschrap mit meinen Werten zusammen?

„Du kleine … was?“ – Wie passt Deutschrap mit meinen Werten zusammen?
Foto: Unsplash/ @Ben Wiens

Schonungslose Texte, vulgäre Beleidigungen und ein Lifestyle, bei dem es vor allem um eins geht: Coolness. Der Hip-Hop beherrscht die deutschen Charts und auch Autorin Nina hat eine Leidenschaft für den Deutschrap entwickelt. Auf MADS erklärt sie, warum.


Gefeiert wird, wer eine kriminelle Vergangenheit hat. Frauen übernehmen die Nebenrolle, werden beleidigt und sexualisiert. Sexismus, Homophobie und Gangstergeprolle prägen zahlreiche Deutschrap-Songs, die sich wochenlang auf den ersten Plätzen der deutschen Charts halten. Grund dafür sind unter anderem meine Aufrufe auf Spotify. 

MADS-Autorin Nina (23)

Während sich in meinen Regalen Bücher über den Niedergang des Patriarchats stapeln, dröhnen aus meinen Lautsprechern Lieder aus der „ModusMio“-Spotify-Playlist – die mit über einer Million Followern erfolgreichste Hip-Hop-Playlist Deutschlands. Besonders erfolgreiche Künstler wie Samra, Capital Bra, Apache oder Loredana rappen in ihren Liedern über Drogen, Suffnächte und Statussymbole – und landen riesige Erfolge. Auch dank mir.

Denn wie Deutschrapper Prinz Pi während einer Podiumsdiskussion der Plattform Hiphop.de sagt: „Findest du in den Listen von Spotify nicht statt, wirst du nicht besonders erfolgreich.“ Als Hörerin des Musikstreamingdienstes unterstütze ich den Gangsta-Rap-Trend also indirekt – und zweifle deswegen kurz an mir selbst. 

Welchen Reiz macht dieser Musikstil für jemanden wie mich aus, die mit Beleidigungen wie „Hure“ oder „Schlampe“ nicht viel anfangen kann und niemals auch nur ein Zopfgummi klauen würde? Klar ist, dass nicht alle Deutschrapper Frauen beleidigen. Alligatoah, Kummer, Tua und zahlreiche weitere Rapper texten ihre Lieder ohne frauenfeindliche und diskriminierende Inhalte – und kommen gut an. 

Doch auch wenn ich oftmals einen Bogen um frauenverachtende Rapper wie Gzuz und Bonez MC mache, zeigt ein Blick in meine Playlisten: Auch Rapzeilen aus dem Track „Du kleine Hure“ von Apache207 summte ich bereits gut gelaunt mit –  immerhin mit dem Anflug eines schlechten Gewissens. 

Vielleicht geht es beim Hip-Hop um mehr als vulgäre Texte und Diskriminierung: Der Hype um die Bewegung ist mit einem besonderen Lifestyle verbunden. Die Texte geraten teilweise in den Hintergrund. „Hip-Hop hat viel mit Ästhetik und Style zu tun“, sagte Aria Nejati, Chefredakteur von Hiphop.de, ebenfalls während des Paneltalks. Streetwearklamotten, Sportmarken und Statussymbole stehen im Vordergrund. Die Musik unterstützt. Beleidigungen und schonungslose Texte sind etablierte Stilelemente der Rap-Battle-Kultur und nur schwer aus dem Genre wegzudenken. 

Frauen zu degradieren und als schwach darzustellen bleibt trotzdem sexistisch – und kann eben nicht als Stilelement gerechtfertigt werden. Ein Lichtblick für den Deutschrap: Seit 2019 erobern auch Rapperinnen wie Juju und Nura, Shirin David, Loredana und Katja Krasavice die Rapcharts. Leider ist das Frauenbild, das sie transportieren, oft nicht viel reflektierter als das ihrer männlichen Kollegen.

Mir vermittelt der deutsche Hip-Hop trotzdem ein Gefühl von Stärke, Selbstverwirklichung und Rebellion. Urbane Outfits, teils gesellschaftskritische Texte und manchmal auch einfach die Lust auf stumpfe Partymusik von SXTN und Apache207 machen den Reiz aus. Bei sexistische Rapzeilen wäge ich ab: Sind sie zu frauenfeindlich oder dominieren den Text, swipe ich zum nächsten Song. Dem Genre kehre ich deshalb nicht den Rücken – eben einfach weil ich Rap ansonsten gerne höre und sich nicht nur in dieser Musikrichtung sexistische Inhalte wider finden

Egal ob Schlager, Pop oder Indie: Frauen übernehmen oftmals stereotypische Rollen. „Sexismus ist in der Gesellschaft allgegenwärtig und Deutschrap spiegelt das wider“, erklärt Lina Burghausen in einer Folge des Podcasts „Cosmo Machiavelli – Rap und Politik“. Wegen meiner Liebe zum Deutschrap brauche ich noch kein schlechtes Gewissen zu haben, meint sie. Wichtig sei stattdessen, als Hörer und Hörerin die Texte zu hinterfragen und nicht einfach stumpf hinzunehmen. Die Promoterin rät: „Hört es bewusst. Hört es kritisch.“ Ich behaupte, dass ich genau das tue. 

Das ist Hip-Hop:
Rap, DJing, Breaken und Graffiti bilden die vier zentralen Elemente des Hip-Hop. Während der 1970er Jahren entstand die Musikrichtung und kulturelle Bewegung in der New Yorker Bronx. Überwiegend afroamerikanische Jugendliche feierten Partys auf denen Musik von zwei Plattenspielern gespielt wurde – so entstanden der Breakbeat und der dazupassende Tanzstil Breakdance. „Um Hip-Hop völlig verstehen zu können, braucht man vermutlich einen Abschluss in Soziologie, mehrere Knastaufenthalte und ein Gefühl für afrikanische Rhythmen“, beschreibt etwa Nelson George die Bewegung, die sich mittlerweile weltweit ausgebreitet hat. Anfang der 80er-Jahre kehrte der Hip-Hop nach Deutschland – etabliert unter anderem von Bands wie den Fantastischen Vier. Das Sub-Genre Gangsta-Rap entstand dagegen etwa zu Beginn des neuen Jahrhunderts. Künstler wie Sido, Bushido und Fler wurden zu dieser Zeit durch das Label Aggro Berlin bekannt. Orientiert an Vorbildern wie Snoop Doog und 50 Cents wurden Frauen beleidigt und andere diskriminierende Inhalte integriert.

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Über den Autor/die Autorin:

Nina Hoffmann

Nina (24) studiert Soziologie und kennt somit alle Sprüche über eine Karriere als Taxifahrerin. Statt an ihren Fahrkünsten zu feilen, liest sie lieber Texte über Gender-Fragen und Emanzipation - oder noch besser: Die dazugehörigen Kommentare der Facebook-Nutzer/innen.

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