Wenn der Partner gewalttätig wird: Mira hatte Todesangst
Eifersucht, Manipulation und Gewalt: Mira (27) lebte in einer toxischen Beziehung. Wie sie das Vergangene verarbeitet, hat sie MADS erzählt.
Triggerwarnung: Der folgende Artikel beschreibt explizit eine Gewalttat.
Über ihre Stirn und den Nasenrücken verlaufen dunkelrote Blutergüsse, ihr Blick ist ausdruckslos. „This happens if your ex is toxic and dangerous“, steht in Großbuchstaben unter Miras Foto, das sie auf Facebook und Instagram geteilt hat. „Please, take care and be aware before it’s too late.“ Auf Deutsch: „Das passiert, wenn dein Ex toxisch und gefährlich ist. Bitte, passt auf euch auf, bevor es zu spät ist.“ In Miras Leben gab es einen Moment, da dachte die 27-Jährige, es wäre zu spät. Sie hatte Angst, dass der Mann, den sie liebte, sie töten würde.
„Es war alles unkompliziert und aufregend“
Anfang 2020 zog Mira nach Mexiko. Ihr Plan: Nach ihrem Bachelorstudium in Deutschland wollte sie dort einen Sprachkurs absolvieren und so lange in einem Hostel wohnen – dort lernte sie Ramon (Name durch die Redaktion geändert) kennen, der das Hostel führte. Als plötzlich die Pandemie das Touristenleben zum Aussetzen brachte, entschied sie sich, nicht zurück nach Deutschland zu fliegen. Sie blieb bei Ramon und verliebte sich. Während des Lockdowns machten sie Ausflüge in die Umgebung, führten lange Gespräche, und nach zwei Monaten schenkte er ihr einen Hund. „Es war alles unkompliziert und aufregend, es gab nur uns beide“, erinnert sich die 27-Jährige, die sich sogar vorstellen konnte, Ramon zu heiraten und eine Familie zu gründen. Doch so weit kam es nicht.
Nach fünf Monaten verließ Mira Mexiko, um ein Studium in Lissabon zu beginnen. Wegen des Onlinesemesters kehrte sie aber schon bald zurück. „Als ich das zweite Mal in Mexiko war, ging die Eifersucht los“, erzählt Mira. Ihr Freund hatte wegen seiner Arbeit nur wenig Zeit für sie. Alleine in der Wohnung langweilte sie sich. „Viele Einschränkungen durch Corona gab es nicht mehr, also habe ich mehr mit Freunden unternommen, während er gearbeitet hat“, erzählt sie. „Er hatte damit aber ein Problem.“ Unternahm sie etwas mit männlichen Freunden, wurde Ramon sauer, und sie stritten. „Bei solchen Streits hat er gesagt, dass ich für immer alleine bleiben würde, falls wir uns trennen, weil ich eine so schreckliche Person sei.“
Häusliche Gewalt: Nicht nur Schläge
Immer häufiger kam es vor, dass er sie in der Wohnung ein- oder aussperrte – angeblich aus Versehen. „Er hat mir ständig irgendwelche Steine in den Weg gelegt, damit ich mich nicht von A nach B bewegen konnte, um meine Freunde zu treffen“, sagt Mira. „Meinen besten Freund hat er sogar angeschrien und beleidigt.“ In anderen Momenten war Ramon dagegen wieder der liebevolle Freund, in den sie sich verliebt hatte. Der Mann, der ihr beteuerte, sie sei die Liebe seines Lebens.
„Warum musst du denn allein irgendwo hingehen? Ich bin doch da“ – diese Aussage kann ein erstes Anzeichen partnerschaftlicher Gewalt sein, wie die Hilfsorganisation Weißer Ring in einer Broschüre deutlich macht. „Die Erklärungen, die geliefert werden, klingen schlüssig, normal, harmlos. Aus Liebe und Fürsorge wird dann schleichend Misstrauen, Eifersucht und Gewalt.“ Laut dem Weißen Ring kann sich Gewalt nicht nur durch Tritte, Schläge oder sexuelle Handlungen äußern. Auch Nötigungen, Beleidigungen und Demütigungen sind Teil einer psychischen Gewalt. „Oft isoliert der Partner das Opfer von seinen sozialen Kontakten, macht häufig Familie und Freunde schlecht“, heißt es weiterhin. „Das Heimtückische an dieser Gewalt: Sie findet hinter verschlossenen Türen statt, im privaten Raum, und ist für andere meist nicht sichtbar.“
Mira meinte, das ambivalente toxische Verhalten ihres Ex-Freundes einschätzen und von sich fernhalten zu können. „Ich habe es einfach auf seine Unsicherheit geschoben“, erzählt sie. „Ich war blind.“ Blind für Ramons Liebesentzug, sobald sie weinte, blind für die ständige Kontrolle, Isolation und Eifersucht. Erst an ihrem Geburtstag wurde ihr endgültig bewusst, wie schlecht Ramon sie behandelte und sie immer wieder manipulierte. „Er hat mir nicht gratuliert, weil ich angeblich nicht angemessen mit ihm geredet habe“, erzählt Mira. Stattdessen fuhr er an einen Strand, den die beiden später mal gemeinsam erkunden wollten. Da wurde es ihr zu viel – und sie machte Schluss. Nach einigen Höhen und Tiefen wollten die beiden schließlich als Freunde auseinandergehen. Doch einen Abend vor ihrem Abflug folgte ein weiterer Streit, nachdem ein Freund Mira zum Hostel fuhr.
„Ich dachte, ich komme da nicht mehr lebend raus“
„Ich wollte meine Sachen abholen, während zwei Freunde draußen auf mich gewartet haben, aber er war angetrunken“, erzählt die 27-Jährige. „Er hatte mir den ganzen Tag aggressive Nachrichten geschrieben und meine Sachen ausgeschüttet.“ Als sie ihre Kleidung zurück in den Koffer manövrierte, versperrte er die Tür. Er schubste sie auf den Boden und trat auf sie ein, bis sie blutete. Die Tür hatte er abgeschlossen. „Es gab keine Fenster, ich hatte unfassbare Panik“, erzählt Mira, die ihren Freunden durch die Tür zuschrie, sie sollten die Polizei rufen. „Ich dachte, ich komme da nicht mehr lebend raus.“
Schließlich kam der Vater ihres Freundes, der auch im Hostel lebte, dazu – und auch die Polizei traf ein. Bei ihrem Ex-Freund fanden sie Drogen, von ihrem verletzten Gesicht machten sie Fotos. „Man hat mir aber schnell klargemacht, dass eine Anzeige angeblich nichts bringt“, erzählt Mira. „Es hieß nur: Du kannst nichts machen, der Vater ist Anwalt.“ Ramons Vater versuchte, Mira zu beschwichtigen, den Gewaltausbruch schob er auf „Kulturunterschiede“. Mira ist es dagegen wichtig zu betonen, dass das Verhalten ihres Ex-Freundes nichts mit der mexikanischen Kultur zu tun hat.
Im Bericht führten die Polizisten schließlich weder die Drogen noch die Fotos von Miras Gesicht auf. „Das Einzige, das ich wirklich machen konnte, war dieser Post in den sozialen Medien“, sagt Mira mit brüchiger Stimme. „Ich stand ziemlich alleine da, mit allem, was passiert war.“
Jede dritte Frau erfährt Gewalt
Dabei ist Mira alles andere als allein mit ihren Erfahrungen. Etwa jede dritte Frau erfährt laut kriminalstatistischer Auswertung zur Partnerschaftsgewalt des Bundeskriminalamtes mindestens einmal in ihrem Leben physische und/oder sexualisierte Gewalt. „Etwa jede vierte Frau wird mindestens einmal Opfer körperlicher oder sexueller Gewalt durch ihren aktuellen oder früheren Partner“, heißt es auf der Seite des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Betroffen seien demnach Frauen aller sozialen Schichten. Nicht jede sucht sich Hilfe – dabei sei gerade das wichtig. Der Weiße Ring rät: „Eine Beratung durch die Polizei oder eine Beratungsstelle ist die Grundlage für ein neues, selbstbestimmtes Leben. Sich Hilfe zu holen ist kein Zeichen von Schwäche – im Gegenteil.“
Mittlerweile hat Mira eine Yoga-Ausbildung absolviert – an einem ruhigen Ort in Mexiko, mitten in der Natur. „Diese Zeit hat mir sehr geholfen“, erzählt Mira, die noch immer dabei ist, das Geschehene zu verarbeiten. „Ich habe gelernt, dass ich viel mehr erreichen kann, wenn ich mir selbst Liebe schenke, statt mir vorzuwerfen, dass ich aus dieser toxischen Beziehung erst so spät entflohen bin.“
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