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Voluntourismus: Was an Freiwilligendiensten im Ausland problematisch ist

Voluntourismus: Was an Freiwilligendiensten im Ausland problematisch ist
Foto: Unsplash/Junior REIS

Für Luisa und Philine war klar, dass sie nach dem Abitur reisen wollen. Aber nicht einfach so, sie wollten etwas Sinnvolles und Gutes tun. Am Ende entschieden sich beide für eine Voluntourismus-Reise. Dabei müsse man aber genau hinschauen, mahnt Expertin Antje Monshausen. Was kann an Freiwilligendiensten im Ausland problematisch sein? Eine Gegenüberstellung von Erfahrung und Expertise.


Volontourismus boomt: Die Kombination von Urlaub und Freiwilligenarbeit ist äußerst beliebt bei jungen Menschen. Auch Philine und Luisa entschieden sich nach ihrer Schulzeit für ein solches Reiseangebot. Während es Philine für sechs Monate nach Ghana in ein Krankenhaus verschlug, verbrachte Luisa drei Monate in einem Camp für Schildkrötenschutz auf Costa Rica. Beide waren begeistert von ihrem Aufenthalt.

Die Erfahrungen der beiden spiegeln allerdings nicht alle Aspekte solcher Reisen wider. Antje Monshausen kennt die Licht- und Schattenseiten des Volontourismus. Die Leiterin des Referats Wirtschaft und Nachhaltigkeit bei der Organisation Brot für die Welt erläutert im MADS-Interview, worauf Volunteer-Anwärter achten sollten und welche Grundsatzprobleme hinter der Vermarktung derartiger Angebote stecken.

Antje Monshausen, Referentin Tourismus und Entwicklung. Foto: Brot für die Welt

Frau Monshausen, was verstehen Sie unter Voluntourismus?

Der Begriff setzt sich aus den Wortbestandteilen Volunteering und Tourismus zusammen. Es geht also um die Kombination von Freiwilligendienst und Urlaub. Meist handelt es sich dabei um kommerzielle Angebote, in sozialen oder ökologischen Berufen, die von einer Woche bis hin zu zwei oder drei Monaten dauern können.

Was ist das Positive an Voluntourismus-Angeboten?

Grundlegend ist das eine tolle Gelegenheit, um einerseits ein fremdes Land, die Kultur und die Leute kennenzulernen und anderseits seinen eigenen Standort in der Welt zu reflektieren. Ich betrachte Voluntourismus-Angebote daher gern als Lernangebot, mit dem andere Lebenswirklichkeiten erfahren werden können.

Sind Voluntourismus-Angebote immer kommerziell, also von privaten Unternehmen, organisiert?

Nein. Viele Vereine, wie Kirchengruppen, die Pfadfinder oder ähnliches bieten auch nicht-kommerzielle Volunteering-Angebote im Ausland an. Der Vorteil an nicht-kommerziellen Angeboten ist, dass diese in der Regel besser vor- und nachbereitet werden.

Was macht kommerzielle Angebote dann so attraktiv für junge Erwachsene?

Die Flexibilität der Angebote ist das Hauptargument. Die Einsätze können individuell zusammengestellt werden und die Reisenden können entscheiden, wie lange sie unterwegs sind und wie sie die Balance zwischen Reisen, Arbeit und Urlaub gestalten.

„Junge Menschen suchen immer mehr nach einem Sinn für ihren Urlaub“

Gibt es weitere Gründe?

Ja. Wir sehen insgesamt, dass gerade junge Menschen immer mehr nach einem Sinn für ihren Urlaub suchen. Und nicht wenige suchen auch eine moralische Begründung für ihre Flugreise.

Inwiefern ist Voluntourismus auch problematisch?

Problematisch wird das Ganze an verschiedenen Punkten. Zum einen passt das, was die Freiwilligen mitbringen, nur selten zu dem, was vor Ort gebraucht wird – beispielsweise, weil die Freiwilligen nicht richtig auf ihren Dienst oder die fremde Kultur vorbereitet werden. In der Folge überfordert das sowohl die Menschen vor Ort als auch die Freiwilligen selbst. Außerdem werden Voluntourismusangebote häufig über sehr armutsorientiertes Marketing verkauft.

Was meinen Sie damit?

Bei Voluntourismusreisen schwingt oft das Narrativ mit, dass die Weißen mit ihrer Freiwilligenarbeit in sogenannte Entwicklungsländer reisen und dort rettende Hilfe leisten. Das ist aber natürlich Quatsch und noch dazu hochgradig problematisch. Das Marketing bedient sich an dieser Stelle schamlos am kolonialen Klischee der weißen Überlegenheit.

Heißt das, dass die Arbeit der Freiwilligen und damit auch ihr Aufenthalt eigentlich überflüssig ist?

Überflüssig nicht, nein. Allein schon deswegen, weil sich die Freiwilligen zwangsläufig mit der anderen Lebensrealität und den eigenen Privilegien auseinandersetzen müssen. Aber es ist natürlich schon so, dass der Einfluss, den die Freiwilligen vor Ort mit ihrer Arbeit nehmen können, sehr begrenzt ist. Sie profitieren von einem Einsatz mehr als ihre Gastgebenden.

Volontourismusreisen kosten häufig richtig viel Geld. Würde es den Projekten vor Ort mehr helfen, wenn das Geld direkt gespendet würde?

Wenn es nur ums Geld geht, dann ja, auf jeden Fall. Ich denke aber, dass es bei so einem Aufenthalt grundlegend um mehr als Geld geht, zum Beispiel um den interkulturellen Austausch.

Unter anderem in Afrika gibt es den sogenannten Waisenhaustourismus. Was ist das?

Leider sehen wir seit vielen Jahren, dass vielerorts Waisenhäuser errichtet werden, damit dort Freiwillige arbeiten können. In den Häusern leben allerdings keine Waisen, sondern Kinder, die von notleidenden Eltern mit dem Versprechen auf bessere Bildung dorthin gegeben wurden – dahinter stecken Strukturen des Kinderhandels und gute Bildung gibt es in solchen Waisenhäusern nicht. Die australische Regierung verurteilt das mittlerweile als Form der modernen Sklaverei.

„Wir raten komplett von der Arbeit in Waisenhäusern ab“

Wie können Freiwillige das erkennen?

Dort wo zum Beispiel Unicef in den letzten Jahren Untersuchungen durchgeführt hat, stellte sich heraus, dass mehr als drei Viertel der Kinder lebende Elternteile hatten. Deswegen raten wir komplett von der Arbeit in Waisenhäusern ab. Doch auch insgesamt sollte Voluntourismus nicht in Projekten mit Kindern durchgeführt werden.

Warum?

Weil sich beispielsweise der ständige Wechsel von Bezugspersonen negativ auf die Entwicklung eines Kindes auswirkt. Wenn man wirklich mit Kindern arbeiten will, empfehlen wir eine Mindestaufenthaltszeit von sechs Monaten.

Ist es moralisch verwerflich, Voluntourismus-Angebote wahrzunehmen?

Nein, denn in Voluntourismus-Aufenthalten liegt die riesige Chance, eine andere Realität kennenzulernen und so die eigene besser einordnen zu können. Allerdings sollten die Freiwilligen dabei nie vergessen, dass sie in einem Land zu Gast sind und sich auch dementsprechend verhalten. Voluntourismus ist kein Urlaub wie jeder andere, deswegen sollten Interessierte sich sehr genau über die Anbieter informieren.


Philine in Ghana: „Uns wurde klargemacht, dass wir nicht die weißen Retter sind“

Nach dem Abitur zog Philine für sechs Monate nach Ghana und arbeitete dort als Freiwillige in einem Krankenhaus. „Ich wusste, dass ich nach der Schule ins Ausland wollte, aber ich wollte nicht einfach nur irgendwo rumreisen“, erzählt die heute 22-jährige. Bei einer kurzen Internetrecherche fand sie die Organisation Internationale Jugendgemeinschaftsdienste und entschied sich dazu, mit dieser ihren Freiwilligendienst anzutreten. Bevor es losging, musste Philine in Deutschland noch ein Wochenendseminar als Vorbereitung absolvieren.

„Von den Themen, die wir da besprochen haben, war ich echt überrascht“, erzählt sie heute. Einerseits ging es um typische Themen, wie die fremde Kultur oder das Leben als Freiwillige, aber dann ging es auch um den Kolonialismus, dessen Auswirkungen bis heute tiefe Furchen durch die internationale Gesellschaft ziehen. Und es ging auch um den Rassismus, der zutage tritt, sobald weiße und schwarze Hautfarbe aufeinandertreffen. „Ich bin damals fast schon demütig nach Ghana gereist und hatte das Ziel, dort von den Ärztinnen und Ärzten und dem Pflegepersonal zu lernen“, sagt sie.

Foto: privat

Das scheint allerdings nicht selbstverständlich zu sein. Von Einheimischen sei sie mit „einer Art Hype“ empfangen worden, die ihr fast schon unangenehm war. Und: „Die Betreuer, die ein Zwischenseminar in Ghana organisiert haben, haben uns erzählt, dass es immer wieder Menschen gibt, die denken, dass wir Freiwilligen die weißen Retter in Not sind. Das ist aber natürlich Quatsch.“ Philine durfte auf den verschiedensten Stationen von Zahnmedizin über Radiologie und Pädiatrie bis in die Leichenhalle zwar kleine Assistenzen leisten, die meiste Zeit habe sie aber nur zugeschaut. „Zu denken, man würde den Menschen vor Ort wirklich helfen, ist falsch. Aber ich habe durch den kulturellen Austausch und das fremde Gesundheitssystem viel gelernt, dass mir das später sicher weiterhelfen wird“, meint die Medizinstudentin im sechsten Semester.

Foto: privat

Während ihres Aufenthalts in Ghana wohnte Philine bei einer Gastfamilie und wurde dort verpflegt. Dafür hat sie ungefähr 200 Euro pro Monat an ihre deutsche Entsendeorganisation gezahlt. „Generell würde ich so einen Freiwilligendienst schon weiterempfehlen“, sagt sie. Allerdings – so ihr Tipp – sollte man aufpassen, mit welcher Organisation man verreist.

Luisa in Costa Rica: „Die Ranch braucht uns Freiwillige“

„Ich wollte reisen, Menschen kennenlernen und dabei dem Land, das ich besuche, etwas zurückgeben – und das habe ich auch geschafft, glaube ich.“ 2019 war Luisa für drei Monate in Costa Rica. In den ersten sechs Wochen machte sie einen Spanisch-Sprachkurs, danach arbeitete sie weitere sechs Wochen auf einer Schutzstation für Meeresschildkröten. Tagsüber arbeiteten die Freiwilligen auf der Ranch, nachts patrouillierten sie über den Strand, um frisch gelegte Schildkröteneier zu schützen. Die sind in Costa Rica ein beliebtes Ziel von Wilderern. „Ohne uns Volunteers würde die Arbeit auf der Schutzstation nicht funktionieren“, sagt Luisa.

Foto: privat

So hätten gerade mal drei Rancher die ganze Station betreut. „Und die können sich einfach nicht alleine den ganzen Tag um die Ranch und nachts um den Strand kümmern. Sie brauchen die Hilfe.“ Mit einem entsprechend guten Gefühl reiste Luisa nach ihrer Zeit als Freiwillige wieder ab. Ursprünglich hatte sich die heute 22-Jährige auch über staatliche Dienste, wie das Weltwärts-Programm informiert, war dafür aber etwas zu spät dran. „Außerdem wollte ich nicht ein ganzes Jahr lang an einem Ort bleiben, sondern die Möglichkeit haben zu reisen.“ Über die Plattform Praktikawelten fand sie schließlich die Stelle in Costa Rica und meldete sich an. Zur Vorbereitung fand ein Onlineseminar statt. „Also nicht so eins über Zoom, sondern ein ganz einfacher Fragebogen“, erzählt sie. In den Fragen ging es um die kulturellen Eigenheiten des Gastlandes. Mit einer einer konkreten Vorbereitung sei das nicht vergleichbar gewesen, sagt Luisa. Trotzdem würde sie den Dienst auf jeden Fall weiterempfehlen. „Man lernt ein Land einfach ganz anders kennen, wenn man dort mit Einheimischen und unter den gegebenen Umständen arbeitet. Das ist nicht mit einem Urlaub vergleichbar.“

Foto: privat

Während ihres dreimonatigen Aufenthalts wohnte Luisa zuerst in einer Gastfamilie und später auf der Ranch, auf der sie gearbeitet hat. Insgesamt hat sie für den Aufenthalt etwa vier- bis fünftausend Euro gezahlt. „Der Großteil davon ging an die Sprachschule. Das spart man sich natürlich, wenn man die Sprache schon kann.“

Von Jule Trödel


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Über den Autor/die Autorin:

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