Tarek Saad: Vom Geflüchteten in die Landespolitik von Schleswig-Holstein
2014 floh Tarek Saad (27) mit einer Schussverletzung aus Syrien. Heute ist er in der Landespolitik in Schleswig-Holstein aktiv – nachts studiert der 27-Jährige.
Tareks Flucht beginnt mit einer Schussverletzung. Seine linke Schulter wird von einer Kugel getroffen. Er arbeitet in Syrien als Journalist, fotografiert im Bürgerkrieg an der Front. Tarek hat es geschafft, sich dem Einzug zum syrischen Militär zu entziehen. Kamera statt Waffe – seine Bilder sollen das Geschehen für die internationale Gemeinschaft sichtbar machen. Dann trifft ihn das Geschoss – Tarek fällt ins Koma, aber er überlebt.
Sieben Jahre später ist Tarek Saad Mitglied des schleswig-holsteinischen Landesvorstands der SPD. Der 27-Jährige ist seit dem Landesparteitag am 24. April Beisitzer im Landesvorstand. 2014 kam er nach Deutschland. Nach der Flucht aus seinem Heimatland fand er in Schleswig-Holstein eine neue Heimat, wie er sagt.
Nur zwei Jahre nach seiner Ankunft ist Tarek in die SPD eingetreten. Das hat auch mit einer Begegnung mit dem damaligen SPD-Ministerpräsidenten Schleswig-Holsteins, Torsten Albig, zutun, erzählt Tarek. 2016 begegnet Tarek ihm auf einer Anti-Pegida Demonstration. „Er hat mich danach umarmt und gesagt: ’Habe Vertrauen, alles wird gut’, das war schon eine emotionale Begegnung.“
Danach habe er sich weiter mit der SPD beschäftigt, mit Willy Brandt, von dem er erfährt, dass er selbst ein Flüchtling war. Der spätere Bundeskanzler flieht 1933 als Mitglied der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD) vor nationalsozialistischer Verfolgung über Dänemark nach Norwegen. 1938 wird er nach seiner Ausbürgerung staatenlos und erhält die deutsche Staatsbürgerschaft erst zehn Jahre später zurück.
Tarek wird Mitglied im Ortsverband Felde, einem kleinen Ort in der Nähe von Kiel. Sein Engagement richtet sich aber schnell auf die Landes- und Bundesebene. Erst einmal aber will er die politische Arbeit kennenlernen. „Ich habe zwei Jahre lang Praktika gemacht und nichts gesagt, nur beobachtet“, sagt Tarek.
Er ist zudem bei den Jusos aktiv, der Jugendorganisation der SPD, das habe ihm auch geholfen, sich in der politischen Arbeit einzufinden. „Am Anfang habe ich auch Fehler gemacht, manchmal haben meine Ideen einfach nicht gepasst. Aber die SPD ist tolerant und alle hatten immer Verständnis“, sagt er.
Meinungen sind keine Angriffe
Zu Beginn habe er auch lernen müssen, andere Meinungen in einer politischen Auseinandersetzung nicht als Angriffe auf ihn zu verstehen. „Das war für mich nicht einfach, ich musste erst lernen, dass es nicht persönlich gemeint ist und es viel darum geht, verschiedene Meinungen auf eine Ebene zu bringen“, sagt der 27-Jährige.
Neben seinem politischen Engagement studiert er in Kiel Politik- und Islamwissenschaft. In seiner Heimat hat er Abitur gemacht, danach unterbrach der Krieg seine Zukunftsplanung. Sein Kindheitstraum war es, Pilot zu werden, dass er einmal in die Politik gehen würde, konnte er sich damals nicht vorstellen. „Politik war ein Tabuthema“, sagt Tarek. Sich politisch zu äußern, wenn man nicht die Haltung der Regierung teilte, unvorstellbar.
Heute ist sein größter Traum, eines Tages in einer politischen Position zu sein, in der er Menschen direkt helfen kann. Gerade muss er aber noch Politik und Studium unter einen Hut bringen. „Man muss Prioritäten setzen. Und meine Priorität war die SPD“, sagt Tarek. Dass sich mit der Pandemie das Studium ins Internet verlagert hat, kommt ihm da zu Gute. Für ihn als Nichtmuttersprachler hilft es, Vorlesungen zwei- bis dreimal anschauen zu können, um alles zu verstehen. „Es bringt mehr Flexibilität, so kann ich auch mal mitten in der Nacht etwas fürs Studium tun und am Tag etwas für die SPD.“
Im Dezember 2018 kandidiert Tarek dann für sein erstes politisches Amt: für den Vorsitz der Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt in Schleswig-Holstein. Bei der Wahl ist der damals 25-Jährige erfolgreich. Für ihn ein besonderer Erfolg: Tarek war jung, erst zwei Jahre in der SPD und hatte noch nicht die deutsche Staatsbürgerschaft. „Da habe ich zum ersten Mal gemerkt, dass mein Alter eine Rolle spielt“, sagt er. Mit seiner Wahl habe sich die Haltung ihm gegenüber aber schnell geändert: „Ich wurde direkt ernst genommen.“
Mit dem Vorsitz der Arbeitsgemeinschaft geht zwar kein politischer Einfluss in Form eines Mandats einher, aber Tarek und sein Team können in verschiedenen Gremien Einfluss nehmen. Zu seinem Team gehören 13 Mitglieder. „Die ersten Monate waren herausfordernd, mit dem Vorsitz kommt die Mitarbeit in neuen Gremien, da musste ich mich einfinden. Aber nach vier Monaten hatten wir unseren ersten Erfolg.“
In der Partei möchte er sich in Zukunft noch mehr einbringen, deshalb kandidierte er für den Landesvorstand. Seit September 2020 hat er die deutsche Staatsbürgerschaft und das Gefühl, noch mehr machen zu können. „15 Prozent der Menschen in Schleswig-Holstein haben einen Migrationshintergrund, da fehlt es noch an Repräsentation. Ich würde ihre Stimme gerne vertreten“, sagt Tarek. Und am Programm für die Landtagswahl 2022 mitschreiben, vor allem in seinem Schwerpunktbereich Migration.
Immer mehr Hass
Die Arbeit hat aber auch schlechte Seiten: Je mehr Ämter er in der Partei übernimmt und je öfter über ihn berichtet wird, desto mehr bekommt er Hass von Rechts zu spüren: „Nach jedem Artikel machen sich Leute die Mühe, meine Mailadresse herauszusuchen und mir Hassmails zu schreiben“, sagt Tarek. Solange es nicht zu Gewalt komme, könne er damit umgehen. „Ich habe das Schlimmste schon erlebt, dann kann ich auch damit umgehen“, sagt er.
Aufhören, sich zu engagieren, wird er also nicht. Ob er sich auch vorstellen kann, im nächsten Jahr bei der Landtagswahl als Abgeordneter zu kandidieren, da will er sich nicht festlegen: „Erst einmal will ich zu Ende studieren, für die SPD werde ich da sein, wo ich gebraucht werde.“
Von Janika Schönbach
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