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So ist es, als Jugendlicher taub zu sein

So ist es, als Jugendlicher taub zu sein
Foto: Privat.

Nick (17) ist von Geburt an taub, genauso wie seine Eltern und sein älterer Bruder. Das hielt ihn nicht davon ab, nach der siebten Klasse auf ein gewöhnliches Gymnasium zu wechseln. Wie es dort ist, hat er MADS-Autorin Regina erzählt – mithilfe einer Dolmetscherin.


Nick ist 17 Jahre alt, von Geburt an taub und kommuniziert im Interview über seine Muttersprache DGS, Deutsche Gebärdensprache. Dafür nutzt er nicht nur beide Hände, sondern auch seine Mimik, das Mundbild und den ganzen Oberkörper. Seine Dolmetscherin übersetzt das, was Nick sagt. „Es ist ein Vorteil, dass auch meine Eltern und mein Bruder taub sind. Ich bin mit der Gebärdensprache aufgewachsen und wir können alle problemlos miteinander kommunizieren“, erzählt der 17-Jährige. „Taube Kinder mit hörenden Eltern lernen die Sprache nicht von Anfang an. Da müssen die Eltern auch erst mal DGS lernen.“ Da DGS eine eigenständige Sprache mit einer eigenen Grammatik ist, dauere das natürlich seine Zeit.

Nick (17) ist taub und spricht deutsche Gebärdensprache

„Ziemlich anstrengend“

Für taube und schwerhörige Kinder führe der Weg erst mal an eine Schule für Hörgeschädigte, eine Spezialschule. So auch für Nick: „Manche Lehrer an der Schule konnten gebärden, andere nicht. Manchmal fand der Unterricht zweisprachig statt. Ein Lehrer hat für die Schwerhörigen gesprochen und ein anderer hat nebenbei gebärdet“, sagt er. Der Unterricht sei deshalb teilweise ziemlich anstrengend gewesen. „Ich habe nicht immer alles mitbekommen“, erklärt der 17-Jährige.

Mit der Zeit habe sich Nick an der Schule unterfordert gefühlt, an seiner Schule für Hörgeschädigte wäre außerdem nur ein Realschulabschluss möglich gewesen, Nick wollte aber sein Abitur machen. Nach der sechsten Klasse wechselte er deshalb auf ein staatliches Gymnasium und ist nun der einzige Taube in seiner Klasse. Im Unterricht hat er zwei Dolmetscher an seiner Seite.

„Alle 15 Minuten wechseln sie sich ab. Ich kann so zwar alles verstehen, aber einfach ist es nicht“, sagt Nick. Denn er habe oft neue Dolmetscher, da müsse er sich erst dran gewöhnen. Auch Kommunikationsprobleme gibt es manchmal: Für manche
Dolmetscher würde er zu schnell gebärden und auch die vielen Dialekte in der DGS könnten für Verwirrung sorgen
. „Insgesamt läuft es aber gut, ich fühle mich wohl. Der Unterricht an der Hörendenschule ist sogar entspannter.“

„Manche denken, dass taube Menschen dumm
sind“

Eine besondere Herausforderung: der Lateinunterricht. Am Gymnasium musste er seine Klassenkameraden, die schon zwei Jahre länger auf der Schule waren, so schnell wie möglich einholen. Dafür bekam er Förderunterricht. „Das Problem ist, dass es für die lateinischen Wörter keine Gebärden gibt. Das heißt, die Dolmetscher mussten mir die Aufgaben und Vokabeln buchstabieren. Das dauert ganz schön lange“, erzählt er. Mittlerweile hat er aber bereits sein Latinum erreicht. Während Nicks schulische Leistungen überzeugen, hat er hin und wieder mit Vorurteilen zu kämpfen – sogar von Lehrern: „Manche denken, dass taube Menschen dumm sind. Es fehlt an Aufklärung. Das Wort ‚taubstumm‘ wird zum Beispiel oft verwendet, ist aber veraltet und diskriminierend. Wir sind ja nicht stumm.“ Auch während des Homeschoolings durch die Corona-Pandemie gab es viele Nachteile: Bei Fragen zu den Schulaufgaben konnte Nick seine Lehrer nicht einfach anrufen.

Übersetzung: Hallo, ich heiße Nick und das ist mein Gebärdenname Nick. Ich wohne hier in Hildesheim. Ich bin Schüler am Andreanum. Mein Lieblingshobby ist es, Serien zu schauen. Außerdem mag ich es sehr, Computer zu spielen und Freunde zu treffen.
Info: Nick buchstabiert zunächst seinen Namen und gebärdet dann seinen Gebärdennamen. Hildesheim gebärdet er zuerst und buchstabiert die Stadt dann.

Nicks Privatleben unterscheidet sich ansonsten nicht groß von dem anderer Jugendlicher. Er sieht gerne Filme und spielt am Computer. Da nur wenige Kinos Filme mit Untertiteln zeigen, nutzt er dafür eine App: „Die nimmt das Gesagte auf und zeigt mir dann die Untertitel. Damit ich gut sehen kann, befestige ich das Handy an einem Stativ vor mir“, erklärt er. Wirklich bequem ist das nicht: „Ich würde mir wünschen, dass es mehr Angebote für taube Menschen gibt.“

Natürlich trifft Nick sich auch gerne mit seinen Freunden. Dann unterhalten sie sich auf Gebärdensprache. Viele seiner Freunde kenne er aus der Schule für Hörgeschädigte, da sei es einfacher gewesen, Freundschaften zu schließen. Dort hätten sie alle miteinander reden können. Am Gymnasium sei das nicht so, erzählt er: „Wir können höchstens nach dem Unterricht private Nachrichten schreiben und Gruppenarbeiten gestalten sich schwierig. Es wäre schön, wenn es eine Gebärdensprach-AG oder etwas in der Art an Schulen gäbe. Ich würde mich gerne mit meinen Mitschülern unterhalten.“

Von Regina Seibel

Ein Gebärdensprach-Wörterbuch findest du Hier.

Dialekte und Unterschiede

Jedes Land hat seine eigenen Gebärden. Die deutsche Gebärdensprache ist erst seit 2002 als vollwertige Sprache anerkannt. Sie besitzt zwar eine deutschlandweit einheitliche Grammatik, aber bei den mit den Händen ausgeführten Zeichen und der dazugehörigen Gestik und Mimik gibt es Unterschiede.

In der Gebärdensprache gibt es auch regionale Dialekte – wie in der Lautsprache auch. Ein Norddeutscher könnte also Probleme haben, die Gebärden eines Bayern zu verstehen. Weil viele Taube aber das sogenannte Mundbild nutzen – also mit dem Mund ein Wort formen – kommt es meist nur zu kleinen Missverständnissen. Mit dem Fingeralphabet kann man Worte im Zweifel buchstabieren.

Dass so viele Dialekte in der Gebärdensprache entstanden sind, liegt laut dem GehörlosenBund daran, dass Gebärdensprache lange verpönt war. So habe sich die Sprache in der Kindergarten- und Schulzeit meist im Verborgenen ohne überregionalen Bezug entwickelt.

Damit sich Gehörlose international verständigen können gibt es sogenannte International Signs. Dazu werden einheitliche Systeme wie Gestuno genutzt; eine Art Gebärdengegenstück zur Planlautsprache Esperanto.

luc

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Über den Autor/die Autorin:

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