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„Liebe wen du willst“: Schwere Vorwürfe gegen queeren Verein

„Liebe wen du willst“: Schwere Vorwürfe gegen queeren Verein
Foto:  Screenshot liebewenduwillst.de

Es begann mit einem Shitstorm wegen eines Videos, mittlerweile steht die gesamte Arbeit des Vereins „Liebe wen du willst“ am Pranger. Ehemalige Partner distanzieren sich, der Queerbeauftragte der Bundesregierung warnt. Die Geschehnisse im Überblick.


Was ist eigentlich passiert?

Der Video-Creator Dimi alias Dimxoo hat ein Video veröffentlicht, in dem er Neopronomen erklärt. Das sind Pronomen, die etwa nicht-binäre Personen anstatt er oder sie für sich verwenden, zum Beispiel „xier“. Der „Liebe wen du willst“-Vorsitzende Steve Hildebrandt hat mit einem Tiktok-Video auf dem Kanal des Vereins auf Dimis Beitrag reagiert und sich über Neopronomen lustig gemacht.

„Wir stehen für Toleranz und Akzeptanz, aber können wir es auch übertreiben?“, sagt Hildebrandt. Neopronomen wirkten sich negativ auf die Akzeptanz queerer Menschen aus, weil sie niemand verstehe und Leute davon „genervt“ seien.

Für diese Aussagen wurde der Verein von verschiedenen Seiten scharf kritisiert. Dimi selbst bezeichnete sie als No-Go und respektlos. Auch andere queere Tiktokerinnen und Tiktoker wie @gio.like und @krawallklara haben Hildebrandts Video aufgegriffen und kritisiert.

Was macht „Liebe wen du willst“ eigentlich?

Der Verein bezeichnet sich auf seiner Website als „gemeinnützige Organisation zur Bekämpfung von Hasskriminalität“. Der Fokus liegt demnach auf der Unterstützung queerer Menschen, die Opfer von Diskriminierung, Mobbing oder Gewalt sind.

Der Verein betreibt eine LGBTQ-Community bei Whatsapp in verschiedenen Gruppen. Außerdem bietet er eine Beratung in Krisensituationen an und steht nach eigenen Angaben in engem Kontakt zu Polizei und Staatsanwaltschaft, um gegebenenfalls Strafanzeigen zu stellen oder Notrufe zu tätigen. 

Welche Vorwürfe gibt es sonst noch gegen den Verein?

Der Spott über Neopronomen war nur der Start einer größeren Debatte, die sich um die Arbeit von „Liebe wen du willst“ generell dreht. Reichweitenstarke Social-Media-Persönlichkeiten nahmen den Shitstorm zum Anlass, die Tätigkeiten des Vereins genauer zu betrachten. In mehreren Videos analysieren zum Beispiel Tiktokerin Leonie Plaar alias Frau Löwenherz und Podcaster Lars Tönsfeuerborn, wie „Liebe wen du willst“ arbeitet und erheben schwere Vorwürfe.

Der Aufklärungscontent des Vereins, der sich erkennbar an Jugendliche richte, habe kein pädagogisches Konzept und keinen akademischen Hintergrund, sagt Plaar. „Liebe wen du willst“ positioniere sich als Anlaufstelle für queere Menschen in psychischen Krisen, der Leiter im Bereich im Notfall- und Krisenmanagement sei laut Website aber ein 17-Jähriger ohne jegliche Ausbildung in diesem Bereich. „Es ist unverantwortlich, sich derartig auf Social Media zu präsentieren, ohne dass irgendeine Qualifikation dahintersteckt“, sagt Plaar.  

Tönsfeuerborn wirft dem Verein Kritikunfähigkeit, Diskriminierung und eine mögliche Gefährdung Jugendlicher vor. „Ich will mir gar nicht ausmalen, was passiert, wenn ein Jugendlicher wirklich in einer Krise steckt und dann diese Nummer wählt“, sagt er.

Der Queerbeauftragte der Bundesregierung Sven Lehmann (Grüne) hat Tönsfeuerborns Video auf Twitter geteilt und den Content von „Liebe wen du willst“ als „bedenklich“ bezeichnet. Er wolle junge Menschen ausdrücklich vor dem Verein warnen. „Bitte wendet Euch an professionelle Beratungsstellen, wenn ihr Hilfe braucht!“

Was sagt „Liebe wen du willst“ selbst zu den Vorwürfen?

Kurz nachdem die erste Kritik an dem Neopronomen-Video von „Liebe wen du willst“ aufkam, machten sich Hildebrandt und Vorstandsmitglied Vivien S. in einem Livestream noch über die Vorwürfe lustig. Kurze Zeit später ruderte der Verein aber zurück, löschte das Video und veröffentlichte ein Statement auf seiner Website, das offenbar von Hildebrandt verfasst wurde. „Bei den Personen, die sich durch das Video verletzt oder missverstanden fühlten, möchten wir uns aufrichtig entschuldigen“, heißt es darin.

Gleichzeitig geht der Verein aber auch zum Angriff über. Die Videos von Plaar und Tönsfeuerborn werden als „hetzerisch“ bezeichnet. Der Queerbeauftragte Lehmann habe sich nicht mit der Arbeit des Vereins befasst, sondern sich nur einem Shitstorm angeschlossen, der durch Influencer ausgelöst wurde, die von Klicks und Aufrufzahlen leben.

Zum Vorwurf des fehlenden pädagogischen Konzeptes schreibt der Verein, dass man „Notfallseelsorger, Personen aus dem Rettungsdienst, angehende Erzieher, Gesundheits- und Krankenpfleger sowie einen ehemaligen Assistenten der Geschäftsführung eines großen sozialen Konzerns“ im Team habe. Außerdem biete man keine Therapie an, sondern sei für viele Jugendliche eine „unkomplizierte Anlaufstelle“. Man habe gegen Lehmann, Plaar, Tönsfeuerborn und weitere Personen Strafanzeige gestellt.

Die Auflistung der Teammitglieder ist inzwischen von der Website des Vereins verschwunden. Auf mehrmalige MADS-Anfragen hat der Verein bisher nicht reagiert.

Was sagen angebliche Kooperationspartner?

Bis zum Beginn des Shitstorms waren auf der Website des Vereins viele Partner und Unterstützer aufgeführt, darunter auch die Polizei Berlin und die Berliner Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft Berlin bestätigt auf MADS-Anfrage, dass man „sehr eng“ mit „Liebe wen du willst“ zusammenarbeite. Der Verein übersende zum Beispiel Screenshots und stelle regelmäßig zur Verfolgung erforderliche Strafanträge.

Die Polizei Berlin teilt mit, dass seit 2020 keine gemeinsame Präventionsarbeit mehr mit dem Verein durchgeführt worden sei. Der Verein sei aufgefordert worden, den Hinweis auf die Zusammenarbeit mit der Polizei von der Website zu entfernen. „Die Polizei Berlin unterstützt die Warnung von Sven Lehmann, in der er junge hilfesuchende Menschen darauf hinweist, sich an professionelle Beratungsstellen zu wenden“, heißt es weiter.

Auch andere Organisationen, deren Logos auf der Seite des Vereins abgebildet waren, haben sich distanziert. Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) zum Beispiel schreiben auf Twitter, nie mit dem Verein in Kontakt gestanden zu haben. Mittlerweile sind fast alle Logos angeblicher Partner von der Website des Vereins verschwunden.

Welche Vorwürfe gibt es gegen den Gründer persönlich?

Im Verlauf des Shitstorms sind in den sozialen Medien Vorwürfe gegen Vereinsgründer Hildebrandt aufgetaucht, die seine persönlichen Beziehungen betreffen. In einem weiteren Video hat er eingeräumt, im Alter von 18 Jahren in der Schweiz eine Beziehung geführt zu haben, die dort nicht erlaubt gewesen sei. Ein Gutachten habe jedoch ergeben, dass die Beziehung einvernehmlich gewesen sei und „ich nicht pädophil bin“. Hildebrandt sagt, er habe Morddrohungen erhalten und stehe mit Ermittlungsbehörden in Kontakt.

Wie geht es weiter? 

Leonie Plaar und Lars Tönsfeuerborn haben sich nach eigenen Angaben zusammengetan und recherchieren mit einem Team weiter. Man habe „Beweise gesammelt, mit Betroffenen, Ehemaligen und Fachleuten gesprochen“, sagt Plaar.

Auch „Liebe wen du willst“ will weitermachen. „Wir waren, sind und bleiben für Euch da“, schreibt der Verein auf Instagram.

Von Yannick von Eisenhart Rothe (Mitarbeit: Finn Bachmann)


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