Psychologe über MBTI: Funktionieren Onlinepersönlichkeitstests?
Vier Milliarden Aufrufe hat der Hashtag MBTI auf Tiktok. Doch wieso der beliebte Persönlichkeitstest ungeeignet ist und welche Alternativen es gibt, darüber spricht Psychologe und Psychodiagnostiker Jakob Pietschnig im MADS-Interview.
Herr Dr. Pietschnig, der Myers-Briggs-Typenindikator (MBTI) ist bei jungen Leuten sehr beliebt – allein auf Tiktok zählt der Hashtag #MBTI rund vier Milliarden Aufrufe. Was steckt hinter diesem Indikator?
Der Myers-Briggs-Indikator ist ein Persönlichkeitstest, der von Katherine Cook Briggs und ihrer Tochter Isabel Briggs Myers in den 1940er-Jahren entworfen wurde und auf einem sehr alten Konzept vom Psychiater Carl Gustav Jung basiert. Das Ganze wird sehr gerne in der Personalauswahl eingesetzt. Der Grund, warum er so beliebt ist, sind die 16 verschiedenen Typen, die dabei herauskommen. Wenn man 100 Fragen beantwortet hat, bekommt man eine schöne Kategorisierung, die wissenschaftlich gesehen aber eine problematische Einschätzung ist und weder Hand noch Fuß hat.
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Warum?
Der MBTI erfüllt die herkömmlichen psychometrischen Gütekriterien nicht. Das heißt, dass der Test weder objektiv noch wissenschaftlich messgenau oder valide ist. Myers und Briggs gingen davon aus, dass alle Typen unabhängig voneinander sind. Das ist aber de facto nicht so, da gibt es große Korrelationen zwischen dem Ganzen. Die Auswertung ist auch problematisch. Wenn man ein paar Fragen eher in eine Richtung beantwortet, wird man dieser direkt zugeordnet. Das wäre so ähnlich, als würde man beim Thema Größe alle ab 1,50 Meter als groß und alle bis 1,49 Meter als klein bezeichnen.
Gibt es denn auch Onlinepersönlichkeitstests, die gut und zuverlässig sind?
Ja, es gibt zum Beispiel das Hexaco-Persönlichkeitsmodell. Auf hexaco.org kann man einen Fragebogen beantworten, und man kriegt sogar einen Vergleichsscore in Bezug auf andere Personen. Allerdings – und das ist der Knackpunkt bei dem Ganzen – bekommt man keine Typenzuordnung. Stattdessen geht es um Ausprägungen in den Bereichen Ehrlichkeit und Bescheidenheit, Emotionale Stabilität, Extraversion, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit und Offenheit für neue Erfahrungen. Deswegen ist der Test vermutlich intuitiv nicht so ansprechend. Neben dem Onlineangebot empfehle ich, sich eine Universität zu suchen, die eine Psychologieabteilung hat. Dort suchen Studierende händeringend nach Personen, die sich freiwillig zur Verfügung stellen.
Warum machen Jugendliche den MBTI und andere Onlinetests so gerne?
Ich habe den Eindruck, dass es sich hier um ein Unterhaltungsphänomen handelt. Man vergleicht sich gerne mit anderen Personen. Menschen tendieren außerdem dazu, hypothesenbestätigende Evidenz zu finden. Das sind die „self-fulfilling prophecies“, die dann entstehen.
Haben Sie das Gefühl, dass sich das gewandelt hat? Haben Teenager heute ein größeres Interesse, sich durch Tests selbst kennenzulernen?
Natürlich sind Jugendliche heute anders, aber das gilt für jede Generation. Wissen zu wollen, wie wir sind, ist ein Element unserer Persönlichkeitsentwicklung. Vor der Digitalisierung gab es aber weniger Möglichkeiten, überhaupt mit solchen Tests in Berührung zu kommen. Nachdem uns die Möglichkeiten zur Verfügung stehen, haben sich auch viele gefunden, die online so was anbieten.
Suchen dadurch heute mehr Menschen nach einer gefestigten Identität?
Natürlich gibt es Personen, die sich bezüglich ihrer Identität unsicherer sind als andere. Wie sollte man aber eine zu 100 Prozent gefestigte Identität quantifizieren? Man kann sich immer Situationen ausmalen, in denen man Personen verunsichern könnte. Ob die Suche nach der eigenen Identität wesentlich mehr geworden ist, diese Frage stellt sich, lässt sich aber nicht so leicht beantworten. Was gestiegen sein dürfte, ist das Bedürfnis nach einem Ausdruck der Individualität.
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Das ist doch interessant. Die 16 Persönlichkeiten sind natürlich zum Teil individuell, aber es ist immer noch eine Zuordnung: Man ist einer von 16. Richtig individuell ist das nicht.
Das ist richtig. Bei anderen Tests wie Hexaco ist das schon anders. Da haben wir immerhin ein paar Milliarden Möglichkeiten, um Personen zu beschreiben. Das wird der Individualität gerechter und deswegen in der Wissenschaft auch als viel sinnvoller erachtet. Was diese 16 Typen aber tun, ist, dass sie einen einer bestimmten Gruppe zuordnen, und das ist natürlich auch identitätsschließend.
Was würden Sie Jugendlichen raten, die sich selber besser verstehen möchten – mal abgesehen von Persönlichkeitstests?
Schade, das hätte ich jetzt natürlich gerne als Antwort gegeben. Sich selbst zu finden ist etwas sehr Individuelles. Natürlich ist es aber wichtig, sich prototypische Vorbilder zu nehmen, mit denen man sich identifiziert. Wenn man aber eine Art Ideal-Selbst erschafft und dieses dann sehr stark von dem tatsächlichen Selbst abweicht, erzeugt das eine hohe kognitive Dissonanz. Das heißt, ich weiß genau, wie ich sein will, aber erkenne selbst: So bin ich gar nicht. Das ist ein sehr unangenehmer Zustand. Allgemein rate ich, dass man sich nicht hauptsächlich über Erfolg definieren sollte. Das kann mitunter zu Selbstbild- und Selbstwertproblemen führen.
Interview: Sofija Popovic
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