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Maxim leidet an Mediensucht: „Hätte mir mehr Regeln von meinen Eltern gewünscht“

Maxim leidet an Mediensucht: „Hätte mir mehr Regeln von meinen Eltern gewünscht“
Foto: Unsplash/Chris Yang

Maxim leidet unter Mediensucht. 2,2 Millionen Kinder und Jugendliche in Deutschland sind süchtig oder suchtgefährdet – sie alle laufen Gefahr, ihre psychische und physische Gesundheit zu schädigen. Ein Experte ordnet die Problematik ein und warnt vor Strategien der Social-Media-Apps.


Wenn Maxim einen schlechten Tag hat, macht er den PC gleich nach dem Aufstehen an. Er kann dann nicht mehr aufhören. „Mindless Browsen“ nennt er das. Es gehe ihm nicht darum, bestimmte Inhalte zu sehen, vielmehr sei der ständige Medienkonsum selbst immens wichtig geworden. „Wenn ich so den Tag beginne, kann es sein, dass ich an diesem Tag nichts anderes mehr machen kann”, sagt Maxim, der eigentlich anders heißt. So stark sei der Drang, weiterzubrowsen. Der Grund dafür: Maxim ist medienabhängig.

Mediensucht: Immer mehr Jugendliche betroffen

Was verbirgt sich hinter dem Begriff? Die Mediensucht oder die pathologische Nutzung sozialer Medien zählt zu den sogenannten Verhaltenssüchten und ist seit Januar 2022 Bestandteil der ICD-11, also der Klassifikation aller anerkannten Krankheiten, die von der Weltgesundheitsorganisation veröffentlicht wird.

So wie dem 23-Jährigen geht es immer mehr Kindern und Jugendlichen. Laut einer Studie der DAK Gesundheit in Zusammenarbeit mit dem Uniklinikum Hamburg-Eppendorf sind etwa 600.000 Jugendliche süchtig nach digitalen Spielen (Stand Juni 2022). Sogar rund 2,2 Millionen Kinder und Jugendliche nutzen Gaming, Streaming oder soziale Medien in gefährlichem Ausmaß. Sie sind entweder süchtig oder suchtgefährdet.

Isolation durch Mediensucht

Für Maxim war die Pandemie eine Art Entschuldigung, sich weiter zu isolieren und online Zeit zu verbringen. Erste Berührungen mit dem Internet sammelte er zusammen mit seinen älteren Brüdern schon im Alter von drei Jahren. Mit elf Jahren habe sich dann zunehmend suchtartiges Verhalten gezeigt, erzählt Maxim. Das habe sich bis heute nicht geändert. Sein Beruf trägt auch nicht gerade dazu bei, weniger Zeit online zu sein. Als Selbstständiger im Marketingbereich arbeitet er täglich zu Hause vor dem Computer. 

Foto: Unsplash/Glenn Carstens-Peters

Die Gefahr liege darin, dass das Smartphone und der Computer so endlos viele Funktionen in sich vereinen, sagt Manfred Patzer-Bönig, der an der Landesstelle für Suchtfragen in Schleswig-Holstein als Koordinator arbeitet. Das verleite dazu, immer weiter zu scrollen. Apps seien in der Regel so gestaltet, dass Nutzende dort möglichst viel Zeit verbringen. „Diese Mechanismen wollen den User überreden, möglichst lange dabei zu bleiben, sei es nun durch Likes oder andere Methoden wie das Digital Nudging“, sagt Patzer-Bönig.

„Captology“: Strategien, um User online zu halten

Hinter diesen Begriffen verbergen sich Strategien, wie App-Entwickler die Nutzer überreden wollen, online zu bleiben oder mehr Produkte zu kaufen. Digital Nudging wird beispielsweise beim Onlineshopping eingesetzt, wenn dem Kunden künstliche Knappheit angezeigt wird. Das verleitet dazu, das Produkt zeitnah zu kaufen. Neben dieser gibt es noch viele weitere Strategien, die unter dem Begriff Captology zusammengefasst werden.

„Eine Kombination aus Captology, dem sozialen Umfeld und einer gewissen Vulnerabilität führt dann zu einer Mediensucht”, sagt Patzer-Bönig. Jedoch ist der Umgang der Eltern mit digitalen Medien und die Erziehung ebenfalls von großer Bedeutung. „Eltern sind Vorbilder für ihre Kinder. Wenn sie ständig Zeit am Handy verbringen, werden es ihre Kinder auch tun“, sagt der Experte.

Beratungsstellen können Betroffene aus der Onlinesucht holen

Im Nachhinein hätte sich Maxim mehr Regeln in seiner Kindheit gewünscht. Seine Eltern hätten den Umgang mit dem Internet sehr laissez-faire gehandhabt. Trotzdem habe seine Familie mitbekommen, dass er ständig online war. Ernst nahm es damals keiner: Er sei schon in seiner Kindheit und Jugend immer derjenige gewesen, der über das Internet „ganz viel wusste“, so Maxim. Hinzu kommt die besondere Situation seiner Familie – die den Zeugen Jehovas angehörte. So sei ihm beigebracht worden, dass die Außenwelt schlecht für ihn sei, erzählt Maxim. Er sieht darin auch einen Grund, warum er sich als Erwachsener einigelt und besonders anfällig für die Sucht ist.

Erst vor ein paar Monaten hat er sich professionelle Hilfe geholt. Der Verein „aktiv gegen Mediensucht“ vermittelt Medienabhängigen Strategien, wie sie sich gegen die Sucht wehren können. Digitale Blocker, die Seiten oder Spiele für eine Woche oder länger sperren, würden helfen, die Kontrolle über seinen Alltag zurückzugewinnen, erzählt Maxim. Jedoch würde das nicht die Ursachen der Sucht bekämpfen. Andere Betroffene schildern, dass sie Schwierigkeiten haben, die gewonnene Zeit sinnvoll zu nutzen.

Mediensucht: Betroffene leiden oft an Kopfschmerzen und Übergewicht

Auch Maxim musste lernen, diese Zeit wieder wertzuschätzen. Seine Freundin helfe ihm, aus besonders schlimmen Situationen herauszukommen und den Computer auszuschalten. „Ich brauche etwas, das mehr Spaß macht als der ständige Medienkonsum, sonst lohnt es sich für mich nicht aufzuhören.“

Neben den mentalen Problemen hat der ständige Medienkonsum Auswirkungen auf die physische Gesundheit: Kopfschmerzen und trockene Augen sind die häufigsten Probleme. Viele Betroffene leiden an Übergewicht. Ihnen bleibt keine Zeit, sich gesund zu ernähren, stattdessen nehmen sie viel Junk Food zu sich und müssen mit den Konsequenzen leben. Maxim ist einen anderen Weg gegangen – und hat gar nichts gegessen. „Gesund ist das auch nicht“, sagt der 23-Jährige. 

Soziale Medien: Hilft eine Altersgrenze?

Damit Jugendliche vor den Gefahren durch riskante Social-Media-Nutzung besser geschützt werden, fordern manche eine Altersgrenze für Apps wie Tiktok und Instagram. Tiktok gibt seine App eigentlich erst ab 13 Jahren frei – jedoch müssen Nutzende nur zu Beginn einmal angeben, dass sie mindestens 13 Jahre alt sind, ohne dass die Angabe irgendwie kontrolliert wird. „Es spricht nichts gegen eine Altersgrenze. Bei Filmen oder Alkoholkonsum gibt es die auch, was heute von der Mehrheit akzeptiert wird“, meint Patzer-Bönig. Die Kontrolle sei zum Beispiel durch einen Personalausweis oder eine Kreditkarte möglich. Maxim zweifelt an der Umsetzbarkeit: „Prinzipiell ist das sinnvoll, aber wie soll man eine Altersgrenze effektiv kontrollieren?“

Zukünftig möchte Maxim seinen Medienkonsum selbst regulieren können. „Ein ideales Ich geht gesund mit digitalen Medien um“, sagt der 23-Jährige. Solange er den Medienkonsum nicht kontrollieren könne, werde das „Mindless Browsen“ immer weitergehen.

Wer feststellt, die Kontrolle über den eigenen Medienkonsum zu verlieren, sollte sich professionelle Hilfe suchen:

  • Fachverband Medienabhängigkeit: Adressliste für Kliniken und Beratungseinrichtungen, die auf Medienabhängigkeit spezialisiert sind
  • Überall in Deutschland: Regionale Hilfsangebote, Selbsthilfegruppen, Gruppentherapien
  • Telefonseelsorge: Wer mit suizidalen Gedanken zu kämpfen hat oder allgemein in einer schwierigen Situation ist, kann hier anrufen: 0800 1110 111/0800 1110 222. Die Telefonnummer ist kostenlos und der Service steht rund um die Uhr zur Verfügung.

Von Arne Seyffert


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Über den Autor/die Autorin:

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