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Linnea und die Hater auf Tiktok: „Es ist eine Art Machtfantasie“

Linnea und die Hater auf Tiktok: „Es ist eine Art Machtfantasie“
Foto: Instagram/@linneasky

410.000 Follower und 23 Millionen Likes auf Tiktok – viele Menschen verfolgen den Content der 23-jährigen Linnea. Und die meisten von ihnen sind keine Fans. Linnea wird überdurchschnittlich oft mit bösen Kommentaren überschüttet. Ein Experte erklärt im MADS-Interview, woher dieser Hass kommt und wie man damit umgehen kann.


Regelmäßig teilt die junge Bloggerin Linnea unter dem Usernamen @linneasky auf Tiktok kleine Vlogs mit ihrer Community. Dabei wird sie mit negativen Sprüchen förmlich überschüttet, mehr als viele andere Creatorinnen und Creator auf der Plattform. Es gibt kaum ein Video, unter welchem man keinen Hate findet. Trotzdem lässt sie sich nicht beirren und postet weiterhin Tiktoks über ihren Alltag.

Linnea: „Excuse me, wir haben 2022“

Der Ursprung von Linneas Tiktok-Reichweite liegt im vergangenen Jahr. Als Linnea einen Kommentar dafür erhielt, dass sie keinen BH trägt, reagierte sie in einem Video mit dem Satz „Excuse me, wir haben 2022!“ Das Video ging auf der Plattform viral, und noch immer werden ihre Kommentarspalten mit diesem Satz zugespamt. Zuschauende machen sich offensichtlich darüber lustig. Das zeigen auch viele Videos, die andere Nutzer der Plattform mit dem Sound gepostet haben.

@stard_ova

Antwort auf @Stard Ova da jeder den sound extra wollte 🥳 viel spass damit #remix #excuseme #excusemewirhaben2022 #tiktokmusic #stardova

♬ Excuse Me Remix by Stard Ova – Stard Ova

Auch Linneas Aussprache wird oft kritisiert und in den Kommentaren nachgeäfft. Beispielsweise wird sie damit aufgezogen, „Wimperntuschi“ und „Toasti“ zu sagen – Kommentare dieser Art lassen sich bei fast jedem ihrer Tiktoks finden. Viele empfinden die junge Bloggerin als nervig und cringe.

Die 23-Jährige ist nur eines von vielen Beispielen. Wie extrem sich Hass im Netz zuspitzen kann, zeigt der Fall des Youtubers „Drachenlord„. Auch er wurde – teils durch eigene Provokation – mit negativen Nachrichten und sogar Drohungen überschüttet. Da außerdem sein Wohnort bekannt war und von Hatern als Pilgerstätte behandelt wurde, kam es neben der Cyber-Hetze auch immer wieder zu Auseinandersetzungen und Zerstörungen.

Experte gibt Tipps zu Hass im Netz

Woher kommt dieser Hate? Wie kann man als Person des öffentlichen Lebens damit umgehen? Und was macht es mit den betroffenen Personen? Antworten auf diese Fragen hat Cybermobbing-Experte Christian Scherg.

Herr Scherg, ist man selbst verantwortlich für Hate im Netz, wenn man sich öffentlich im Internet präsentiert und somit angreifbar macht?

Das hängt davon ab, wie provokant ich mich im Internet positioniere. Aber: Ich muss damit rechnen, dass wenn ich online gehe, es auch Menschen gibt, denen das missfällt und die anderer Meinung sind. Dementsprechend muss ich das Thema Hate zumindest als mögliche Reaktion einkalkulieren und mich mental, kommunikativ und gegebenenfalls juristisch darauf vorbereiten.

Freuen sich manche möglicherweise auch über Hate und die damit verbundene Aufmerksamkeit?

Ja und Nein. Es gibt genug C-Prominente, die davon leben, dass sie aufmerksamkeitsstarke Dinge tun. Ob diese von allen gut aufgenommen werden, ist dabei nicht nur zweitrangig, sondern manchmal auch gar nicht gewünscht. Aufregung, Provokationen und Skandale sind gerade im Boulevardbereich der Garant für deutlich mehr Publicity.

@linneasky

mein größtes hobby ist karaoke singen auf dem ipad 🤙🏻🫣

♬ Originalton – Linnea

Denken Sie, es beeinflusst diese Menschen trotzdem emotional, gehatet zu werden?

Ja, absolut. An den meisten Menschen geht Hass nicht spurlos vorüber. Insbesondere an Menschen, die nicht darauf vorbereitet sind, Hass zu bekommen. Menschen, die positive Nachrichten vermitteln möchten, das aus persönlicher Überzeugung tun und erwarten, dass sie dafür Anerkennung und Lob im Netz bekommen. Diese Menschen sind dann wahnsinnig erschreckt darüber, wenn sie feststellen, dass es auch eine dunkle Seite von Bekanntheit und Exposition im Netz gibt. Das Schlimme am Hass im Internet ist, dass ich dem nicht entkommen kann. Ich bin zum Beispiel als Influencer 24 Stunden erreichbar und meine Community erwartet, dass ich mit ihr interagiere. Das heißt, dass ich im schlimmsten Fall permanent rund um die Uhr dem Online-Hass ausgesetzt bin. Das nicht nur psychisch belastend – es ist je nach Geschäftsmodell auch existenzbedrohend.

Zur Person

Christian Scherg ist Gründer und Geschäftsführer der Düsseldorfer Agentur REVOLVERMÄNNER. Scherg ist Berater, Autor und Dozent und gilt als einer der profiliertesten Reputations- und Krisenexperten Deutschlands.

Was verleitet Menschen dazu, eine einzelne Person immer und immer wieder zu haten?

Es ist eine Art Machtfantasie. Ich kann Macht ausüben, indem ich andere Menschen zerstöre, kaputt mache. Es ist ein bisschen so, wie das Hänseln auf dem Schulhof, nur oftmals anonym, deutlich vehementer, deutlich verletzender und deutlich bedrohlicher. In der Regel geht es bei den Gründen für den Hass im Netz, um moralische Verfehlungen des Opfers oder offensichtliche Fehler oder Defizite. Es kann sein, dass jemand zu dick ist, zu dünn ist, die Nase zu lang ist. Jemand die falschen Freunde hat, die falschen Dinge gelikt hat. Da hat sich jemand falsch geäußert, einen falschen Witz gemacht, ein falsches Produkt beworben. Jemand ist nicht authentisch, nicht glaubwürdig. Wir haben es mittlerweile mit Gruppen zu tun, die ohne jedes Unrechtsbewusstsein fordern, dass diese Menschen für ihre Verfehlungen gecancelt werden. Sie glauben, wie ein Gericht ein Urteil über diese Person sprechen zu können und vollstrecken dann dieses Urteil direkt auf den sozialen Netzwerken. Wenn sie merken, dass sie mit ihrer Hetze bei dem Opfer durchdringen, dass die Personen darauf reagieren, dann ist dies nur noch mehr Motivation weiterzumachen. Dann spüren sie, dass das Opfer verwundbar ist. Das ist Macht.

Bis sie zu weit gehen.

Darüber, wie sich ihr Opfer wirklich auf der anderen Seite fühlt, denken viele einfach nicht nach. Sie fühlen sich in der Situation im Recht, das zu tun, was sie tun, weil es so viele machen und die Opfer in ihren Augen ja ohnehin selbst schuld sind. In dieser Gruppendynamik wird individuelle Anteilnahme und Empathie ersetzt durch ein vermeintlich kollektives Verantwortungsgefühl, das am Ende allerdings leider in der Masse jeden aus der eigenen, persönlichen Verantwortung entlässt.

Gibt es etwas, das man als Person des öffentlichen Lebens gegen Hate im Netz tun kann?

Die Kernfrage ist: Wer hatet mich eigentlich? Ist das wirklich meine ureigenste Community, die mich hatet? Dann habe ich natürlich ein großes Problem, weil ich dann die Glaubwürdigkeit in meinem inneren Zirkel verloren habe. Oder ist es eine Community, die nicht meine Zielgruppe ist, aber auf mich aufmerksam geworden ist und ohnehin ideologisch eine vollkommen andere Haltung vertritt? Kann ich meine eigene Community motivieren, mir beizustehen? Wenn ich das kann, habe ich ganz gute Karten, nicht nur den Hass zu überstehen, sondern sogar gestärkt daraus hervorzugehen. Ich kann außerdem diese Hater bannen – schließlich habe ich auf meinen eigenen Kanälen so etwas wie „Hausrecht“. Man kann das Ganze auch erst einmal ruhen lassen. Sich zurückzuziehen und den Umgang mit dem Kanal jemand anderem überlassen, der oder die weniger emotional darauf reagiert. Ich kann mich juristisch beraten lassen, je nachdem, wie intensiv der Hass ist. In dem Moment, wo ich beleidigt werde, wo Morddrohungen ausgesprochen werden oder ähnliches, kann ich das ganze zur Anzeige bringen. Was ich nicht tun sollte, ist emotional auf die Kommentare der Hater zu reagieren und zu zeigen, wie sehr es mich verletzt. Wenn ich mit einer solchen Aktion nicht den Zusammenhalt meiner Community stärken kann und mir niemand zur Seite springt, komme ich spätestens jetzt aus dieser Spirale nicht mehr heraus.

Von Merle Pries


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Über den Autor/die Autorin:

MADS-Team

Unter diesem Namen sammeln wir Beiträge von Gastautorinnen und -autoren, Autorenkollektiven oder freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei MADS. Die Namen des jeweiligen Autors oder der jeweiligen Autorin stehen unter dem einzelnen Beitrag.

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