Kolumne: Die Referendarin unter Argusaugen
Helena (25) ist eine von rund 30.000 Lehramtsanwärtern in Deutschland. Was passiert eigentlich hinter der sagenumwobenen Lehrerzimmertür? Wie ist es, Schülerinnen und Schüler zu unterrichten, die nur ein paar Jahre jünger sind als man selbst? Und wie kommt Helena mit dem Druck klar? Davon erzählt sie – unter Pseudonym – in den nächsten 18 Monaten in ihrer neuen MADS-Kolumne: die Referendarin.
„Frau Fischer, warum binden Sie sich eigentlich einen Pferdeschwanz, wenn Sie im Lehrerzimmer sind, und tragen in unserer Klasse die Haare aber immer offen?”, fragte mich nach den ersten zwei Wochen in meinem Referendariat ein Schüler meiner Klasse. Fassungslos und mit offenem Mund starrte ich ihn an. Er blickte ohne eine Regung zurück. „Das ist mir noch gar nicht auf gefallen“, entgegnete ich – und fühlte mich sofort ertappt.
Referendarin unter Dauerbeobachtung
Ja, Schüler beobachten. Und zwar nicht nur die Kleidung oder Frisuren, die die anderen Lehrer und ich tragen, sondern auch unsere Gestiken, Launen, die Körperhaltung und Mimik. Im Studium wurden wir darauf vor unserem ersten Praktikum an einer Schule vorbereitet. Schülerinnen und Schüler würden sich bereits, wenn die Lehrkraft über die Türschwelle tritt, ihre erste Meinung bilden. Kann man bei der die Hausaufgaben vergessen? Gibt die gute Noten? Lässt sie sich überreden? Wird das hier eine lustige Unterrichtsstunde und kann ich ein bisschen tuscheln?
Es gibt genau zwei Wege, wie wir Referendare mit dieser Dauerbeobachtung umgehen: Dem Typ A ist sie einfach egal. Er hat das Selbstbewusstsein eines Donald Trumps – nichts macht ihm etwas aus. Typ B allerdings bereitet sich zeitintensiv vor und überlegt sich genau, was er nach Außen präsentieren möchte. So wie ich. Ich habe mir eine Brille gekauft, mit der ich älter wirke (letztens hat mich eine Sekretärin nämlich für eine Schülerin gehalten). Meine lässigen und löchrigen Jeans lasse ich zu hause in der Kommode. Ich halte in der Klasse einen Stift in der Hand, um keine nervös herumflatternden Hände zu haben. Vor Unterrichtsbesuchen meines Fachlehrers schreibe ich mir meine Impulse wörtlich auf und konstruiere so „spontane“ Gesprächsverläufe.
Selbstbewusster in den Berufseinstieg
Sind das etwa bereits neurotische Züge? Nö. Ich finde es nicht schlimm, gerade im Berufseinstieg zu tricksen, um ernster genommen zu werden. Schon nach kurzer Zeit stehe ich so viel fester und selbstbewusster auf den Beinen vor der Klasse. Vielleicht trage ich morgen sogar mal einen Pferdeschwanz im Klassenraum.
Von Helena Fischer
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