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Zeugnisse: Das denken Lehrer wirklich über Noten

Zeugnisse: Das denken Lehrer wirklich über Noten
Foto:  Julian Stratenschulte/dpa

Eins, Drei – oder doch eine Fünf? Sechs Lehrkräfte erzählen, was sie wirklich über Noten denken


Motivieren statt verletzen 

Noten leisten nicht das, was sie sollen: Vergleichbarkeit herstellen. Man sieht nicht, welche Leistung dahintersteckt. Ein Flüchtlingsjunge aus der zehnten Klasse an meiner Schule bekam von einem Kollegen eine Vier für eine Szenenanalyse zu Wedekinds Drama „Frühlingserwachen“. Da war er gerade einmal seit drei Jahren in Deutschland. Meiner Meinung nach hätte er für seine enorme Leistung eine Eins mit Sternchen bekommen müssen.

Egal ob bei deutschen oder ausländischen Schülern – ich finde es unfair, wenn man nur beurteilt, was ein Schüler kann, nicht aber den Lernaufwand, der dahintersteht. Wenn ich zwischen zwei Noten schwanke, gebe ich meist die bessere, um den Schüler zu motivieren – extreme Ausnahmen mache ich aber nicht, um die Abstufung bei der Bewertung in einem Kurs nicht durcheinanderzubringen.

Insgesamt fällt es mir trotzdem nicht sehr schwer, Noten zu vergeben – außer in meinem Fach Darstellendes Spiel: Dafür müssen die Schüler sich sehr mutig auf Neues einlassen und persönliche Ängste überwinden. Wer will da schon jemanden mit einer schlechten Note verletzen!

Lehrerin, Gymnasium, 58, Deutsch, Biologie und Darstellendes Spiel

Mehr über Noten diskutieren 

Als Lehrer spürte ich die große Verantwortung bei der Notengebung. Schließlich wollte ich allen Schülerinnen und Schülern gerecht werden. Es war mir wichtig, dass sie die Noten nicht einfach hinnahmen. Ich wollte die Beurteilungsgrundlagen transparent machen. Deshalb führte ich mit ihnen während des ganzen Schuljahres Gespräche über ihre Leistungsentwicklung.

Im Deutschunterricht habe ich einmal das Für und Wider der Schulnoten erörtert. Die Jugendlichen ließen auch Ansichten gelten, die nicht ihren persönlichen Wunschvorstellungen entsprachen. So sagte ein versetzungsgefährdeter 14-Jähriger: „Schulnoten müssen schon sein, sonst würd ich noch weniger Hausaufgaben machen.“ Es gab aber auch kritische Stimmen, vor allem bei Prüfungssituationen: „Wenn man aufgeregt ist, kann man sich nicht gut konzentrieren. Dann passiert es leicht, dass man eine ungerechte Note bekommt.“

Am Ende ließ ich die Klasse darüber abstimmen, ob die Schulnoten abgeschafft werden sollten – etwa zugunsten einer verbalen Beurteilung. Das Ergebnis war jedes Mal eindeutig: keine Mehrheit für die Abschaffung! 

Pensionierter Lehrer, Realschule, 69, Deutsch, Geschichte, Werken/Technik, Gemeinschaftskunde

Ist mein Fach so wichtig? 

Ich erteile nicht gerne Zensuren. Als Lehrerin möchte ich, dass die Schüler von sich aus lernen wollen. Aber sie tun es oft nur wegen dieser Zahlen, die am Ende auf einer Klassenarbeit oder dem Zeugnis stehen – und weniger aus Eigenantrieb. Andererseits: Der Unterricht funktioniert auch durch Noten.

Natürlich ist es in unserer Leistungsgesellschaft wichtig zu lernen, den eigenen Könnens- und Wissensstand einzuordnen. Aber dass eine Note wirklich immer das aussagt, was ein Schüler geleistet hat, glaube ich nicht. Einmal hat ein Schüler wegen zwei Fünfen in Hauptfächern und einer Fünf in meinem Nebenfach die Schule verlassen müssen.

Da habe ich mich gefragt, ob mein Fach wirklich so wichtig ist, dass ich die Fünf aufrechterhalten sollte. Neulich habe ich erfahren, dass er durch den Schulwechsel und eine Ausbildung einen sehr erfüllenden Lebensweg gefunden hat. Also hatte die schlechte Note paradoxerweise doch etwas Gutes! 

Lehrerin, Gymnasium, 37, Musik und Sport

Illustration: Stefan Hoch

Keinen vernachlässigen 

Vor meinem Referendariat habe ich mich gefragt, wie ich damit umgehen würde, wenn ein Schüler wegen meiner Noten die Klasse wiederholen muss. Nach meinem ersten Halbjahr war es schon so weit. Ein Schüler hat permanent den Unterricht gestört und die Mitarbeit verweigert.

Den konnte ich dann nur mit einer Fünf bewerten. Die Eltern beschwerten sich bei mir und der Schulleitung – ohne Erfolg, weil ich die Note mit seiner mangelhaften Leistung begründen konnte. Der Schüler hatte noch weitere Fünfen und wiederholte nicht nur die Klasse, sondern wechselte auch auf ein Internat. Manchmal frage ich mich, ob der erzwungene Wechsel ihm vielleicht sogar gutgetan hat.

Später habe ich gemerkt, dass ich als unerfahrener Lehrer damals zu viel auf diesen einen auffälligen Schüler geachtet habe – und dabei einige andere vernachlässigte, die ruhig waren, aber auch Probleme hatten. Diesen Fehler versuche ich seitdem zu vermeiden. 

Lehrer, Oberschule, 36, Deutsch und Geschichte

Noten sind emotional

Als Schülerin habe ich mich bis auf eine Ausnahme immer fair beurteilt gefühlt. Es hat sich auch gelohnt, sich anzustrengen – das wurde gesehen und honoriert. Bei Zensuren sind viele Emotionen im Spiel: Eine Note spiegelt dir, was du kannst und was nicht. Das hat in der Schule mein Selbstbild geprägt.

Jetzt, wo ich auf der anderen Seite stehe, fällt mir das Benoten echt schwer. Wenn ein Schüler zum Beispiel mündlich überhaupt nicht mitmacht, aber im Test eine Eins schreibt. Oder wenn einer sich viel meldet und mitmacht, es aber inhaltlich nicht gut ist. Wie benote ich das? Letztlich beruft man sich, glaube ich, auf das, was man früher selbst in der Schule erlebt hat. Mich überrascht, wie wichtig Noten den Schülerinnen und Schülern sind – sie wollen ständig wissen, wo sie stehen.

Dabei ist eine Klausur ja auch nur eine Momentaufnahme. Du kannst einen guten oder schlechten Tag gehabt haben. Im Referendariat werde ich selbst noch bewertet, und das ganz unterschiedlich: Ein Lehrer kommt gut mit meinem Unterrichtskonzept klar, ein anderer nicht. Und dann streiten sie sich darüber, ob meine Lehrprobe nun eine Zwei oder Vier war. Natürlich gibt es grobe Maßstäbe, doch letztlich sind Noten immer auch subjektiv. 

Referendarin, Gymnasium, 26, Deutsch und Geschichte

Negatives gehört dazu

Das Benotungssystem an Schulen ist sicher nicht in jeder Hinsicht optimal. Strittige Bewertungen lassen sich aber meiner Meinung nach auf wenige Fälle beschränken – aber nur mit größtmöglicher Transparenz. Oft höre ich als Kritik, dass die Vergleichbarkeit über den Klassenverband hinaus kaum gegeben ist. Das stimmt – gilt aber für jedes andere Bewertungssystem genauso.

Und ja, ausführliche persönliche Rückmeldungen sind wertvoller als Noten – aber für Lehrer nicht leistbar. Bei zehn Klassen mit je 25 Schülerinnen und Schülern müsste ich mehrfach im Jahr 250 individuelle Rückmeldungen über Stärken, Schwächen und Entwicklungsmöglichkeiten verfassen. Ein dritter Kritikpunkt lautet: Noten erzeugen unnötigen Druck, der beim Lernen demotiviert.

Meiner Erfahrung nach hilft es den Kindern aber nicht, ihnen diese negativen Erfahrungen ersparen zu wollen. Umso schwerer werden sie später im „wahren“ Leben zurechtkommen. Vielleicht muss man in Kunst oder Musik tatsächlich keine Noten geben. Aber wenn man möchte, dass ein Kind etwas über die Epoche der Romantik oder den Aufbau einer Sinfonie lernt, sollte man nicht darauf bauen, dass es das neben den vielen anderen Fächern freiwillig tut. Lernen ohne jede Form von Bewertung gehört eher in den Bereich der Bildungsromantik.

Lehrer, Gymnasium, 47, Mathematik und Physik


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