Onlinedating: Wie läuft daten zu Coronazeiten?
Kontakte beschränken, Körperkontakt meiden: Neue Leute kennenlernen scheint im Lockdown fast unmöglich zu sein. MADS hat fünf junge Leute befragt, wie sie in der Pandemie daten.
Wild rumknutschen mit einer Person, die man gerade erst kennengelernt hat? Das ist gar nicht mehr so einfach. Tanzen, flirten, Leute kennenlernen und sich näher kommen: In den vergangenen Monaten ging das alles nicht. Oder nur über Umwege. Statt spontaner Kaffeeverabredungen zwischen den Vorlesungen oder einem Tinder-Date in der urigen Kneipe nebenan, musste sich das Dating an die Corona-Pademie anpassen.
Laut der Verbrauchs- und Medienanalyse leben rund 16 Millionen Singles in Deutschland. Viele von ihnen nutzen den Lockdown, um neue Kontakte zu knüpfen. Besonders zu Beginn der Krise von Februar bis März 2020 stieg die Zahl der monatlichen Tinder-User stark an. Das geht aus einer Statistik der Match Group hervor. Demnach stieg die Zahl der monatlichen Nutzer der App um weitere 60 000. Umarmungen, Zärtlichkeit, Nähe: Menschen, die sich nicht in einer Beziehung befinden, kann soziale, aber vor allem auch die körperliche Nähe fehlen. Auch medizinisch ist bewiesen, dass Menschen Körperkontakt brauchen. Denn das Kuschelhormon Oxytocin verringert laut des Deutschen Krebsforschungszentrums die Ängste, gilt als schmerzlindernd und wirkt sich positiv auf das menschliche Sozialverhalten aus.
Ganz ohne Kuschelpartner geht es also gerade während der Pandemie nicht. Dass Apps wie Bumble, Tinder aber auch queere Datingportale boomen, ist folglich kein Wunder. Doch wie laufen Dates ohne die gängigen Treffpunkte in Cafés und Bars ab? MADS hat vier junge Menschen nach ihrem Dating- und Liebesleben in Corona-Zeiten gefragt.
Der Allrounder: Spaziergang
Wir schreiben kurz hin und her, dann fragt er auch schon nach einem Spaziergang. Der Klassiker unter den Corona-Dates. Und der ideale Weg, um keine Quarantäne zu riskieren – dachte ich anfangs zumindest. Erst später erfuhr ich: Wäre mein Datingpartner positiv auf Corona getestet worden, hätte er mich als Kontaktperson angeben müssen. Trotz der frischen Luft und der Distanz. Ganz so sicher ist also auch dieser Weg nicht.
Ganz ohne Dates geht es für mich trotzdem nicht. Deshalb verabredete ich mich mit ihm an einem See, der zwischen unseren Wohnorten liegt. Das ist das Praktische am Spazieren: Beim Date ist man örtlich nicht eingeschränkt. Unsere Begrüßung ist ein Lächeln, ein kurzes Hi und ein paar Worte zum Warmwerden. Dahingehend ist die Abstandsregel sogar ziemlich praktisch. Statt der Unsicherheit, ob wir uns umarmen oder die Hand geben, reicht die angenehme Begrüßung auf Distanz. Ziemlich erleichternd. Mit dem Wetter haben wir Glück, es ist nicht eisig kalt, sonst hätte ich den Spaziergang wahrscheinlich abgesagt. Auch so ein Nachteil beim Corona-Daten – Ausweichmöglichkeiten ins gemütliche Café oder so gibt es nicht. Nach einem einstündigen Spaziergang, aus dem ich mit deutlich mehr Redeanteil herausgehe, verabschieden wir uns.
Wiedersehen werde ich ihn zwar nicht, dafür ist der Funke einfach nicht übergesprungen. Unangenehm war das Date aber nicht. Denn selbst längere Redepausen konnten wir durch Bewegung überbrücken, statt peinlich berührt den Blick des anderen zu meiden.Deswegen ist das Date an der frischen Luft definitiv etwas, das ich auch noch nach Corona-Zeiten fortsetzen werde. Es ist so unverbindlich, kann schnell beendet werden oder auch beliebig lange andauern. (Aufgezeichnet von muh)
Das Faible: Sexting
272 Kilometer liegen zwischen uns. Wie er trotzdem in meiner Matchliste landete, kann ich mir nicht erklären. Mir ist klar, dass wir uns wohl vorerst nicht sehen. Vielleicht wird es nie zu einem realen Date kommen. Zumindest sind wir uns einig, dass ein Date im geschlossenen Raum erst einmal nicht infrage kommt. Und auch das erhöhte Risiko bei langen Zugfahrten wollen wir beide nicht eingehen.
Ziemlich schnell entwickelt sich unsere Konversation in eine Richtung, die mir zwar noch unbekannt ist, aber gefällt. Er sagt, er mache gerne Sexting – tauscht sich also gerne erotisch aus. Dass er die Frauen, mit denen er schreibt, nicht kennt, findet er besonders aufregend. Ich bin skeptisch, aber lasse mich darauf ein und entdecke eine Welt, in die ich mich vorher nie getraut hätte. In unserer Fantasie treffen wir uns in Zügen, in der Badewanne oder an der Tür des anderen. Seine rauchige, tiefe Stimme löst mehr in mir aus, als manch anderer, der mich berührte. Unsere Worte gehen ineinander über und es überrascht mich, wie gut unsere Fantasien miteinander harmonieren. So gut, dass ich schon ein Verlangen nach ihm verspüre, wenn ich eine Nachricht auf meinem Handy aufleuchten sehe.
Manchmal frage ich mich, ob es nicht sogar von Vorteil ist, dass wir uns nicht treffen können. Denn vielleicht ist die Vorstellung von uns einfach viel besser als die Realität. (Aufgezeichnet von muh)
Die Alternative: Video Chat Date
Als ein bekannter Radiosender ein Videochatdate verlost, meldeten mich meine Freunde kurzerhand an. Ohne damit zu rechnen, bekam ich sogar eine Antwort. Luisa, meine Datepartnerin, hatte sich in der Sendung für mich entschieden. Einen Tag später sitzen wir durch zwei Bildschirme getrennt jeweils auf unserem Sofa und lernen und kennen.
Der Haken an der Sache: Der ganze Sektor kann uns dabei zusehen. Dennoch muss ich sagen, fühlt es sich oftmals nicht so an. Luisa und ich kommen von einem spannenden Gesprächsthema zum nächsten. Ich bin offen und kommunikativ – und auch wenn ich in dieser Form noch nie ein Date hatte, ist es eine aufregende neue Erfahrung. Knapp zwei Stunden erzählen wir uns von unseren erlebten und abgesagten Reisen, unserer gemeinsamen Leidenschaft zum BVB und haben ein wirklich gutes Gespräch. Allerdings bin ich sehr froh, die Kommentare der Zuschauenden nicht direkt gelesen zu haben. Das, was ich dort später lese, überschreitet definitiv Grenzen und wäre für mich ein Grund, das so nicht noch mal zu machen. Dennoch sehe ich Onlinedating als eine schöne Möglichkeit, jemanden kennenzulernen. Corona ist in dem Punkt für mich eine Chance, mir mehr Zeit für solche Gespräche und Begegnungen zu nehmen. Auch wenn für mich wichtig ist, die Ambitionen von vornherein deutlich zu machen. (Aufgezeichnet von muh)
Die Chance: Beziehung
Es ist Frühling und die Corona-Pandemie hat gerade begonnen, als ich mir ein Tinder-Profil erstelle. So ein Profil habe ich mir schon öfter erstellt. Ich habe einfach Lust, einen neuen, spannenden Menschen kennenzulernen, am besten stressfrei. So vielversprechende Leute wie jetzt hat es in der App noch nie gegeben, stelle ich fest. Zumindest beim Daten kommt mir Corona also deshalb irgendwie gelegen. Denn wenn ich kein Date möchte, habe ich eine ziemliche schlüssige Ausrede: die Pandemie.
Für mich und meine Datingpartner ist klar, dass wir uns zu Beginn draußen treffen. Ein Vorteil, wie ich finde: kein unangenehmes Anschauen und Fragen beim Bezahlen im Restaurant oder Gesprächsfetzen von anderen Tischen. Jetzt bringt sich jeder selbst ein Getränk mit oder man besorgt sich an einem Kiosk ein Bier.
Meinen jetzigen Freund treffe ich an einem Frühsommerabend. Obwohl es schon relativ spät ist, setzen wir uns mit unserer Flasche Wein auf eine Bank und versacken in langen Gesprächen. Ein Date, an das ich mich gerne zurückerinnere.
Ich habe mir vorgenommen, während der Pandemie nicht mehrere Männer innerhalb eines kurzen Zeitraums zu treffen. Ich habe direkt die Frage im Hinterkopf, ob ich mir vorstellen könnte, mit diesem Mann viel Zeit allein zu verbringen – vor allem, weil weitere Lockdowns nicht ausgeschlossen sind und die Zukunft so unsicher ist. Wie sich herausstellt, kann ich das mit ihm. Seit einigen Monaten sind wir deshalb offiziell zusammen. Dem Daten trauere ich nicht nach – immerhin ist das Ganze auch ziemlich stressig gewesen. Und obwohl unsere Beziehung in einer ziemlich ungewöhnlichen Zeit begonnen hat, bin ich optimistisch, dass sie auch dem normalen Alltag standhalten wird. (Aufgezeichnet von muh)
Die Akzeptanz: Kein Dating
Vor Corona hatte ich immer mal wieder ein Date. Hier und da ein Treffen auf einen Kaffee oder ein Bier. Und seit ich vom Dorf in die Stadt gezogen bin, habe ich noch mehr Lust auf gute Gespräche und neue Menschen. Ein entspannter Spaziergang oder auch ein virtuelles Wein-Tasting täten mir gerade sicher gut. Aber Online-Dating ähnelt gelegentlich dem Hosenkauf: Wenn man unbedingt eine neue Jeans braucht, ist beim Shoppen einfach keine zu finden.
Manchmal swipe und matche ich etliche Male und niemand scheint interessant zu sein oder sich für mich zu interessieren. Also muss ich mich damit abfinden, dass ich nichts erzwingen kann. Ich verstehe, warum so viele Leute gerade daten. Aber für mich zählt das Daten nicht zu meinen Prioritäten. Denn es gibt einen Aspekt, über den ich nicht einfach hinweg sehen kann: Ich sehe mich in einer Verantwortung. Gegenüber den steigenden Zahlen, meiner WG, meines Jobs und mir selbst. Natürlich wäre es schön, gerade jetzt jemandem nah zu sein, wo doch Nähe auf das Mindeste reduziert ist. Gemeinsam auf dem Sofa liegen, Umarmungen, Körperkontakt – das alles fehlt mir. Aber ich bin auch ein wenig froh über die fehlenden Möglichkeiten. So muss ich mir immerhin keine Gedanken darüber machen, wie hoch das Risiko wäre, jetzt jemanden zu daten.
Von Madita Muhs
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