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Freiwilligendienst: Fürs Leben gelernt oder ausgebeutet?

Freiwilligendienst: Fürs Leben gelernt oder ausgebeutet?
Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Ob FSJ bei der Kita um die Ecke oder Engagement in Australien: Wer sich nach der Schule erst mal orientieren muss, wählt oft einen Freiwilligendienst. Vier Frauen berichten von unterschiedlichen Erfahrungen.


„Täglich an Grenzen gebracht“

Sie will einmal Psychologie studieren und dann als Pädagogin arbeiten. Das ist Viola schon lange klar. Daher kam für die 19-Jährige nach dem Abi auch nur ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) in diesem Bereich infrage. So landete sie in einer Einrichtung für Kinder mit Autismus. „Du bist rund um die Uhr mit den Kindern dort beschäftigt“, erzählt Viola. Ob bei der Betreuung oder beim Unterrichten der Kinder, sie wurde in vielen Bereichen eingesetzt – und dort auch dringend gebraucht. Denn laut Viola war die Einrichtung auch durch Corona-Fälle stark unterbesetzt. Somit fielen viele verantwortungsvolle Tätigkeiten auf Viola ab, obwohl sie dafür überhaupt nicht qualifiziert war. Sie musste vieles selbstständig planen und Büroarbeit übernehmen, mit der sie sich gar nicht auskannte. Auch ohne zusätzliche Unterstützung mit den Kindern zu arbeiten verunsicherte sie.

Viola hat ihr FSJ abgebrochen. Foto: priva

Hinzu kam die Corona-Situation. Sie habe sich unwohl damit gefühlt, stundenlang mit Kindern zusammenzuarbeiten, die keine Masken trugen. Schließlich brach Viola das FSJ nach sechs Monaten ab. „Es hat mich täglich an meine Grenzen gebracht“, sagt sie. Dennoch sei sie dankbar für die Einblicke, die sie erhalten habe. Denn trotz der körperlichen und seelischen Anstrengung habe sie gemeinsam mit den Kindern sowie Kolleginnen und Kollegen immer wieder über sich hinauswachsen können. Somit habe sie durchaus auch positive Erfahrungen in ihrem FSJ gemacht.

Von Lea Kraska

„Ich hätte abbrechen sollen“

Die Zeit nach dem Abi begann für Mia (Name geändert) mit einer Enttäuschung. Eigentlich wollte die damals 17-Jährige einen Freiwilligendienst im Ausland machen – doch weil sie noch minderjährig war, war das nicht möglich. Also entschied sie sich für ein FSJ in einem Berliner Kindergarten.

„Ich habe damals mein Schülerpraktikum im Kindergarten gemacht“, erzählt sie. Sie wollte ausprobieren, ob ihr der Beruf auch längerfristig gefällt. „Die Aufgaben an sich haben mir ganz gut gefallen“, sagt sie. Probleme hatte sie dagegen mit der Unterbesetzung in der Einrichtung. Anders als die Erzieherinnen habe sie eine 40-Stunden-Woche gehabt – für einen Stundenlohn von 2 Euro. „Rückblickend hätte ich das FSJ abbrechen sollen“, sagt sie. Dass Freiwillige als volle Arbeitskraft eingeplant seien, sehe sie kritisch.

Dennoch bezeichnet Mia das Jahr als Freiwillige heute als „lehrreich“. Sie habe gemerkt, dass der Erzieherberuf nicht das ist, was sie ihr Leben lang machen möchte. „Auch menschlich hat es mich vorangebracht, aber das hätte wahrscheinlich auch jeder andere Vollzeitjob.“ Ein FSJ kann Mia letztlich nur bedingt weiterempfehlen. Für junge Menschen, die sich bei ihrer Berufswahl schon sicher sind, könne ein FSJ in dem Bereich sinnvoll sein. „Ansonsten würde ich eher Praktika empfehlen, um sich in mehreren Bereichen ausprobieren zu können.“

Von Jule Trödel

Freiwilligendienste: Hier gibt es weitere Infos
Für Freiwilligendienste gibt es etliche Träger- und Entsendeorganisationen. Wer in Deutschland bleiben möchte, findet online auf bundesfreiwilligendienst.de eine Auflistung vieler anerkannter FSJ-Träger. Für die Internationalen Freiwilligendienste gibt es eine solche Auflistung nicht, da sie im Gegensatz zum inländischen FSJ nicht vollständig vom Staat finanziert werden. Trotzdem bietet etwa die Seite bundes-freiwilligendienst.de/ausland hierzu viele Infos. Für alle, die noch unsicher sind, stellen sich Trägerorganisationen meist auf Berufsmessen vor.

„Eine riesige Chance“

Eigentlich wollte Charlotte weder nach Australien reisen noch mit Rentnern arbeiten. Trotzdem landete sie für ihren Internationalen Jugendfreiwilligendienst (IJFD) in einem Altenheim in der Nähe von Melbourne. Während des Dienstes kümmerte sie sich um die Freizeitgestaltung der Bewohnerinnen und Bewohner.

Charlotte (rechts) war nach dem Abi in Australien. Foto: privat

Bereut habe sie diese Entscheidung nicht. Einen Freiwilligendienst könne sie jedem nur empfehlen. „Darin liegt für jeden persönlich eine riesige Chance“, meint sie. „Bei einem FSJ in Deutschland ist man ja trotz neuer Arbeitsstelle oft noch in seinem gewohnten Umfeld aus Familie und Freunden, bei einem IJFD nicht“, sagt sie. Da blieben Heimweh und Zweifel natürlich nicht aus – für sie aber kein Nachteil. „Es formt die Persönlichkeit.“

Günstig war diese Erfahrung nicht. Charlotte musste neben Flugkosten und Visum etwa 3000 Euro investieren, um die Entsendeorganisation zu unterstützen. „Dafür muss man sich vor Ort keine Sorgen machen“, sagt sie. So erhielt sie im Gegenzug die Unterkunft und Verpflegung sowie ein monatliches Taschengeld. Zwar gibt es auch vollständig staatlich finanzierte Sozialdienste wie „weltwärts“. Doch Charlotte entschied sich bewusst für den IJFD. „Einen IJFD macht man für sich, um sich zu entwickeln, während ,weltwärts’ darauf fokussiert ist, anderen zu helfen.“

Von Jule Trödel

„Freiwillige werden grundsätzlich ausgenutzt“

Nichts kam so, wie Lisa (Name geändert) es erwartet hatte. 2019 absolvierte sie nach ihrem Abitur einen Jugendfreiwilligendienst in Australien. Ursprünglich bewarb sie sich auf eine Stelle, bei der sie mit Kindern arbeiten konnte, am Ende landete sie an der Rezeption eines Altenheims. „Einen IJFD macht man vor allem für die Auslandserfahrung und weniger für die Arbeit an sich“, sagt Lisa. Deshalb entschloss sie sich, die Stelle im Altenheim anzunehmen. Zusammen mit acht Freiwilligen bezog sie eine Unterkunft. Am Ende des Jahres waren sie nur noch zu viert, der Rest brach den Dienst ab. Auch Lisa war nicht zufrieden. „Letztendlich übernahm ich die bürokratischen Aufgaben meiner Vorgesetzten.“ Das Lob ließen sich jedoch die Vorgesetzten zuschreiben. „Es muss einem klar sein, dass Freiwillige grundsätzlich ausgenutzt werden.“ Verdient habe sie dabei ein Taschengeld von 350 Euro pro Monat, wobei Unterkunft und Essen gestellt wurden. Organisatorisches wie Flug und Visum musste sie selbst zahlen, rund 1000 bis 1500 Euro.

Heute blickt Lisa trotz allem recht positiv auf das Jahr zurück. Sie sei selbstständiger geworden und habe gelernt, sich allein durchzuschlagen. Daher würde sie einen Freiwilligendienst jedem empfehlen – man sollte sich zuvor allerdings mit der Organisation und den Erfahrungsberichten auseinandersetzen.

Von Jule Trödel


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