„Das Damengambit“: Wie realistisch ist die Schach-Serie?
Durch die Netflix-Serie “ Das Damengambit“ ist ein regelrechter Hype um Schach entstanden. Aber wie fühlt man sich als Mädchen in einem von Männern dominierten Sport? MADS macht mit Schachspielerin Lea (17) den Realitätscheck.
Verstaubt, langweilig, nicht mehr aktuell? Nein! Schach, eines der ältesten Strategiespiele der Welt, ist in diesem Herbst der wohl größte Trend: Seit Serienbegeisterte auf Netflix die Mini-Serie „Das Damengambit“ streamen können, ist weltweit ein regelrechter Hype um die Sportart auf den schwarz-weißen Karofeldern ausgebrochen. Erzählt wird die fiktive Erfolgsstory des Waisenmädchens Elizabeth „Beth“ Harmon, das sich in den 1960er-Jahren gegen sämtliche ihrer männlichen Mitspieler durchsetzt und zur Schach-Großmeisterin aufsteigt.
Mit mehr als 60 Millionen Streams in nur einem Monat ist das Schach-Drama die bisher erfolgreichste Mini-Serie auf Netflix. Und nicht nur das: Onlinespielportale wie chess.com verzeichnen seit Erscheinen des Siebenteilers am 23. Oktober einen Millionenzuwachs an Usern, auf Ebay schnellten die Suchanfragen nach Schachbrettern um 276 Prozent in die Höhe.
Doch wie nah dran ist der Netflix-Mehrteiler eigentlich am echten Schach? Und wie fühlt man sich als Mädchen in einem immer noch von Männern dominierten Sport? MADS macht mit Lea Ludwig, Landesjugendsprecherin beim Berliner Schachverband, den Realitätscheck.
Den riesigen Erfolg des Schach-Dramas hat die 17-Jährige bereits bemerkt, bevor sie die Serie selbst geschaut hat. „Es sind tatsächlich Leute, von denen ich es am wenigsten erwartet hätte, auf mich zugekommen, um Schach zu lernen.“ Auch sie findet die Geschichte um Beth und ihre Mitstreiter sehr gelungen. „Allerdings gibt es ein paar Punkte, die mit der Wirklichkeit nicht so viel zu tun haben“, erzählt die Schülerin des Andreas-Gymnasiums in Berlin-Friedrichshain, und fügt lachend hinzu: „Ich glaube, mit meinen Anmerkungen habe ich manche meiner Freunde etwas genervt.“
Echtes Schach dauert länger
So sei etwa die Schnelligkeit, mit der Serien-Protagonistin Beth und deren Gegner ihre Figuren blitzartig über die 64 Felder des Spielbretts bewegen, eigentlich nicht üblich, auch nicht bei Weltklassespielern: „Das dauert viel länger, es kann passieren, dass man sich für einen einzigen Spielzug 30 Minuten Zeit lassen muss.“ Auch den tosenden Applaus, mit dem die Zuschauer im Netflix-Mehrteiler die Siege Harmons feiern, bekommt man bei Schachturnieren eher selten zu hören. „Nach einer Partie verschwindet man normalerweise leise, um andere Spieler nicht zu stören.“
Und ja, da wären auch noch der Alkohol und die Unmengen an Beruhigungsmitteln, mit denen sich Schach-Wunderkind Beth in „Das Damengambit“ in einen regelrechten „Spielrausch“ versetzt: undenkbar bei heutigen Schachturnieren. So gibt es bei einigen Wettkämpfen sogar Dopingtests, um den Gebrauch von Aufputschmitteln zu verhindern. „Schachspieler brauchen einen klaren Kopf“, sagt etwa Berlins Landesjugendwart Olaf Sill (35). „Schon eine Erkältung kann über den Ausgang einer Partie entscheiden.“
Dennoch: Etliche Details der Serie, etwa die Teamarbeit oder die Schachuhren, mit denen in „Das Damengambit“ während der Turniere die Bedenkzeit der einzelnen Teilnehmer gestoppt wird — all das ist ganz nah dran an der Schachwelt. „In der Serie sieht man , wie Beth zusammen mit anderen per Telefon ihre Partie vorbereitet, das ist durchaus üblich“, erklärt Lea. „Um zu trainieren, setzt man sich zusammen, spielt auch Züge anderer Spieler noch einmal durch.“
Zehn Jahre war Lea alt, als sie zum ersten Mal vor einem Schach brett saß. „An meiner alten Berliner Schule war Schach in der fünften und sechsten Klasse ein Unterrichtsfach, später habe ich dann in der Schach-AG und im Verein angefangen.“
Stundenlang hat sie damals mit ihren Mitspielern verschiedene Züge von Läufer, Springer oder Dame auf einer großen Tafel besprochen, immer wieder Eröffnungsvarianten ausprobiert. „Dass ein Spiel, das auf den ersten Blick einfach aussieht, so komplex sein kann, hat mich von Anfang an fasziniert“, sagt Lea, die neben der Schule auch als Schiedsrichterin bei Jugendturnieren arbeitet. Vier Jahre später nahm sie dann erstmals bei Turnieren teil, ihr bisher größter Erfolg war 2016 der neunte Platz mit ihrer Mannschaft bei der deutschen Schulschachmeisterschaft.
Komisch angeschaut wurde sie als Mädchen dabei übrigens nicht: „Es gibt immer mehr Frauen, die Schach spielen, das ist mittlerweile fast normal“, erklärt sie, „allerdings wurde mir früher immer wieder gesagt, dass ich ja besonders schlau sein müsse, um als Mädchen Schach spielen zu können.“
Schach braucht Geduld und Konzentration
Vielmehr seien es Geduld und Konzentration, auf die es ankommt – schließlich können Schachpartien, je nach Turnier, mehrere Stunden dauern. „Als Kind konnte ich mich schlecht konzentrieren, durch Schach habe ich gelernt, mich lange mit einer Sache zu beschäftigen“, sagt Lea. Anfängern empfiehlt sie das Mini-Schachlehrbuch des Deutschen Schachbundes. „Außerdem ist die Onlineplattform lichess.org sehr gut, um erste Partien zu spielen“, ergänzt Olaf Sill. Dabei ist eines wichtig: der Mut, auch Fehler zu machen. Denn anders als die fiktive Überfliegerin Beth Harmon haben selbst Schach-Großmeister, etwa der amtierende Weltmeister Magnus Carlsen, im Laufe ihrer Karriere etliche Partien verloren. „Bessere Gegner helfen einem, das Spiel zu verbessern“, sagt Lea. „Ich habe durch das Schachspielen gelernt, nicht immer perfekt sein zu müssen – schließlich machen wir alle Fehler.“
Die wichtigsten Begriffe der Serie
Das Damengambit zählt zu den am häufigsten gespielten Eröffnungen im Schach. „Gambit“ bedeutet „einen Bauern im Schach opfern“, um daraus im weiteren Spiel taktische Vorteile zu ziehen. Die Dame ist neben dem König die wertvollste Figur auf dem Brett. Bei einem Damengambit überlässt man am Anfang eines Spieles seinem Gegner einen Bauern auf dem sogenannten Damenflügel (vom Weißspieler aus gesehen die linke Bretthälfte, aus schwarzer Sicht ist es die rechte).
Schachgroßmeister ist der höchste vom Weltschachbund FIDE verliehene Titel für Turnierschachspieler. Er gilt auf Lebenszeit. Zurzeit werden weltweit um die 1600 Spieler als Großmeister gelistet. Wer Großmeister wird, bestimmt unter anderem die sogenannte Elo-Zahl, die die Spielstärke der Schachprofis misst. Dabei gilt: Je stärker der Spieler, desto höher die Zahl. Für einen Großmeister-Titel braucht man eine Elo-Zahl von mindestens 2500.
Blitzschach wird in der Serie ebenfalls gespielt. Damit bezeichnet man Partien, bei denen jeder Spieler nur fünf Minuten oder sogar noch weniger Bedenkzeit für das gesamte Spiel hat.
Frauenschach: Es gibt Turniere nur für Frauen, die aktuelle Weltmeisterin ist die 29-jährige Chinesin Ju Wenjun. Anders als bei den Damen stehen die Spitzenturniere der Männer auch Schachspielerinnen offen. Bisher gelang es aber erst einer Frau, nämlich der Ungarin Judit Polgár, für einige Zeit in die Top 10 der Gesamtweltrangliste vorzustoßen.
Von Katrin Diederichs
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