Cancel Culture: Darf man Menschen von Debatten ausschließen?
Cancel Culture liegt in den USA begründet, ist aber auch in Deutschland immer häufiger Thema. Zwei MADS-Autorinnen erklären, warum sie die sogenannte Absagekultur richtig finden – oder eben nicht.
Pro Cancel Culture: Mit dem Echo rechnen
Diskurse und Austausch sind fester Bestand einer Demokratie und unerlässlich – doch trotzdem gibt es Meinungen, die meiner Meinung nach nicht auf öffentliche Bühnen gehören. Cancel Culture versucht, diesen Meinungen und Menschen keinen Raum zu geben und ihre Plattform einzuschränken – und das zu Recht.
Wichtiges Instrument
So ist Cancel Culture beispielsweise für marginalisierte Gruppen oftmals eine der wenigen Möglichkeiten, sich – in erster Linie über die sozialen Medien – Gehör zu verschaffen. Etwas, das in üblichen Diskursen der Mehrheitsgesellschaft meist misslingt. Mit Cancel Culture entsteht daher eine Art neue Form der demokratischen Unterhaltung. Nämlich einer, in der alle ein Wort haben. Rassistische, sexistische oder anderweitig diskriminierende Witze können damit von den Betroffenen kritisiert werden. Kunstfreiheit sollte meiner Meinung nach da enden, wo die Freiheit eines anderen beginnt – dort, wo diese Person verletzt, diskriminiert und benachteiligt wird. Die Gesellschaft wandelt sich, Sprache und Kunst wandeln sich, und das sollte sich auch zeigen.
Kritik an Cancel Culture ist allerdings durchaus berechtigt – so sollte es Räume geben, in denen angeblich gecancelte Menschen über ihre Fehler lernen und diese verbessern können. Und das angebliche Canceln sollte auch primär von Betroffenen ausgehen – wobei in Deutschland Cancel Culture viel mehr ein politischer Kampfbegriff statt ein echtes Phänomen ist. Schließlich wären Personen wie Kabarettist Dieter Nuhr längst nicht mehr in der Öffentlichkeit. Auch Autorin Lisa Eckhart hat unglaubliche Aufmerksamkeit bekommen und ist nun bekannter als vorher, weil sie bei einem Literaturfestival ausgeladen wurde.
Hass hat keinen Platz
Cancel Culture ein wichtiges Instrument, um in der Mehrheitsgesellschaft laut zu werden. Es geht nicht
darum, unliebsame Meinungen stumm zu schalten. Sondern darum, Diskurse so zu führen, dass Diskriminierung und Hass keinen Platz haben. Die eigene Meinung kann man schließlich trotzdem äußern – nur dass man heute mit dem Echo rechnen muss.
Von Marie Bruschek
Contra Cancel Culture: Meckern statt canceln
Ich bin ziemlich gut im Meckern. Als ein Hybrid aus zwei Generationen (Millennials und Generation Z) ist das Meckern und mit dem Finger auf andere zeigen fester Bestandteil meines Lebens. Und das finde ich gut. Ich finde gut, dass wir ziemlich laut auf Sexismus, den Klimawandel, Rassismus und jegliche Formen der Diskriminierung aufmerksam machen – und dem ein oder anderen damit auf die Nerven gehen. Denn zu diskutieren und zu streiten ist der zentrale Motor, der Weiterentwicklung und Veränderung ankurbelt. Und so sehr ich meine Generation dafür lobe, dass wir mutig und verbissen für unsere Meinungen kämpfen, gibt es trotzdem eine Entwicklung in unserer Debattenkultur, die mich gelegentlich nervt: das Canceln. Damit will ich jetzt nicht sagen, dass Menschen wie Xavier Naidoo oder Attila Hildmann zu Podiumsdiskussionen geladen werden sollten, um ihren gequirlten Mist von sich zu geben.
Wir machen es uns zu leicht
Es ist durchaus okay, faschistischen und verschwurbelten Meinungen kein Gehör zu schenken. Doch wir machen es uns zu leicht, alle Menschen, die uns nerven, zu boykottieren. Eine Demokratie sollte es aushalten können, dass Menschen unterschiedliche Ansichten und Perspektiven äußern – solange sie dabei keine diskriminierenden Vorurteile oder Meinungen verbreiten. Wenn Menschen etwa die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie kritisieren oder Komiker auf der Bühne miese Witze machen, sollte darüber diskutiert werden.
„Es ist okay, Fehler zu machen“
Menschen abzustempeln und sich von ihnen abzuwenden bringt uns nicht weiter. Vor allem ist es wichtig, mit ihnen zu diskutieren. Es ist okay, auch mal einen Fehler zu machen – darauf aufmerksam zu machen, ist aber gerade dann wichtig. Wenn jemand in den FacebookKommentaren mal wieder über den „Genderwahnsinn“ schimpft, liegt es vielleicht auch einfach daran, dass er sich bisher wenig mit Studien zum Thema Sexismus befasst hat. Ihm aber direkt abzusprechen, dass er sich jemals wieder zu dem Thema äußern kann? Das halte ich für Quatsch. Stattdessen bleibe ich lieber bei dem Motto: Respektvoll meckern statt zu canceln.
Von Nina Hoffmann
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