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Therapeut im Interview: Wie sich Onlinedating auf die Psyche auswirkt

Therapeut im Interview: Wie sich Onlinedating auf die Psyche auswirkt
Foto:  Unsplash/Eddy Billard

Wenn das Selbstwertgefühl von Apps abhängt: Paartherapeut Eric Hegmann spricht im MADS-Interview über Dopaminkicks beim Onlinedating, Folgen von Ghosting und die „Disneyfizierung der Liebe“​.


Herr Hegmann, Onlinedating boomt – nicht nur wegen der Pandemie. Ist die Partnersuche per App automatisch mit dem Wunsch nach Bestätigung verbunden?

Der Selbstwert ist der Dreh- und Angelpunkt unseres Bindungssystems, das die Partnersuche und die Partnerwahl steuert. Habe ich die Überzeugung, ich müsse mir Liebe verdienen, weil ich nicht gut genug bin, dann suche ich andere Partner und andere Bestätigung in Begegnungen, als wenn ich überzeugt bin, dass ich  liebenswert bin. Noch mal anders ist es, wenn ich durch frühere Verlusterfahrungen gelernt habe, dass ich niemanden mehr so nahe an mich heranlassen sollte, damit ich nicht erneut verletzt werden kann. Ob Onlinedating oder Offline-Partnersuche, ist dabei völlig unerheblich.  

Beim Onlinedating können Menschen durch immer neue Matches immer wieder ein Hochgefühl erleben. Führt das langfristig dazu, dass man sein Glück von oberflächlichen Swipes auf Datingplattformen abhängig macht?

Schon immer haben Menschen Zufriedenheit und Glück durch Bestätigung erfahren. Das gelang ihnen aber im Club ebenso wenig dauerhaft durch die Jagd auf die begehrtesten Singles und Wanderpokale, wie es ihnen auf Tinder gelingt. Das Glück liegt vielmehr in der Begegnung, die eine emotionale Verbindung ermöglicht. Wenn Menschen etwa gemeinsam die Nächte durchquatschen, weil sie nicht genug voneinander erfahren können. Smalltalk hilft nicht gegen Einsamkeit, wohl aber das Gefühl, gesehen, verstanden, gehört und wahrgenommen zu werden.

Foto: Robert Hilton

Eric Hegmann ist Paartherapeut mit einer Praxis in Hamburg und Autor. Seit mehr als 15 Jahren berät er die Partneragentur Parship. Zudem bietet er Onlinekurse an, etwa zur Verbesserung der Paarkommunikation oder zur Überwindung von Liebeskummer.

Andererseits stärken Matches doch auch immer das Selbstwertgefühl. Gibt es also auch einen positiven Einfluss von Tinder und Co.?

Wie auch beim Scrollen durch soziale Medien geht es vor allem darum, dass man sich einen Dopaminkick holen möchte – und das meist, wenn man sich eben nicht besonders gut fühlt. Das Problem dabei ist: In dieser Ausgangslage ist man besonders selbstkritisch und empfänglich für Zweifel. Wäre man guter Stimmung, würde man vielleicht beim Anblick glücklicher Paare oder attraktiver Singles denken: „Wie schön!“ Aber weil man ja schon down ist, denkt man eher: „Was stimmt nicht mit mir, dass ich nicht so glücklich bin?  Warum sehe ich nicht so aus?“ 

Sie haben bereits Verlusterfahrungen angesprochen. Ein verbreitetes Datingphänomen der vergangenen Jahre ist Ghosting – wenn sich Menschen nach einem oder auch mehreren Treffen einfach nicht mehr melden. Was macht so etwas mit der Psyche?

Trennungs- und Verlusterfahrungen sind mit das Schlimmste, was Menschen erleben. Davor wollen sie sich oft ihr Leben lang schützen. Erhält man keine Antwort auf die Trennungsgründe wie beim plötzlichen Kontaktabbruch, dann laufen die eigenen Schutzstrategien ins Leere und nicht selten Amok. Dadurch festigen sich negative Überzeugungen mit dem Ergebnis, dass man entweder noch mehr klammert, um jemanden festzuhalten, oder noch distanzierter ist, um nicht enttäuscht zu werden. 

Hat Onlinedating auf jüngere Leute einen anderen Einfluss als auf Erwachsene?

Junge Menschen führen heute mehr Beziehungen als ihre Eltern, Großeltern und Urgroßeltern zusammen. Manche dauern Wochen, andere Monate oder Jahre. Jede Beziehung endet mit Verlust und Trennung oder Zurückweisung. Das macht etwas mit uns, denn wir müssen automatisch vorsichtiger werden. Je früher man damit beginnt, je stärker die Schutzstrategien ausgeprägt sind, umso schwieriger kann es werden, tatsächlich in einer Beziehung dann die Zufriedenheit zu finden, die man sucht.

Viele junge Menschen sind auf Plattformen wie Bumble oder Tinder auf der Suche nach etwas Unverbindlichem. Führt das dazu, dass Jugendliche glauben, ernste Beziehungen seien zu kompliziert? 

Nein, dafür sorgen nach meiner Überzeugung vor allem Medienprodukte wie Serien, Filme oder auch Musik und Bücher. Alles wird heute über eine Liebesgeschichte verkauft. Ich nenne diesen Effekt die „Disneyfizierung der Liebe“. Diese geskripteten und dramaturgisch aufgepeppten Storys entsprechen nicht der Wirklichkeit. Beziehungen, die wie eine Achterbahn funktionieren, sorgen dafür, dass den Partnern nach der fünften oder zehnten Runde schlecht wird. Aber ohne Höhen und Tiefen sieht sich niemand eine Serie an, das wäre realistisch, aber langweilig. Stabile und dauerhafte Beziehungen sind eher eine langsame, aber stetig nach oben führende Fahrt. Mit diesem durch fiktive Beziehungen geprägten Anspruch kann die Partnersuche online ebenso wenig wie offline gelingen.

Onlinedating: Die beliebtesten Apps im Überblick

Tinder gehört zu den bekanntesten Datingapps ​weltweit. Im Dezember 2021 waren  rund 1,9 Millionen Menschen auf der Plattform unterwegs. Das Prinzip ist mittlerweile bekannt: Je nach Interesse an einem Profil wird nach links oder rechts geswipet. Bei einem Match können  beide Personen per Chat ins Gespräch kommen. Neben den Basics wie Name, Alter und Größe können Nutzerinnen und Nutzer aus einer Vielzahl von Interessen fünf angeben, die dann auf dem eigenen Profil angezeigt werden. 

Das Prinzip von Bumble ähnelt ​in vielerlei Hinsicht dem von Tinder. Neu ist, dass Bumble die klassische Rollenverteilung im Datingleben auflöst. Hier müssen nämlich die Frauen den ersten Schritt machen und sich bei ihrem Match melden. Nutzt die Frau diese Chance nicht, verfällt das Match nach 24 Stunden. Es gibt außerdem den BFF-Modus, um neue Freunde zu finden, und den Bizz-Modus für die Suche nach möglichen Geschäftspartnern. 

Anders als bei Tinder und Bumble müssen Nutzerinnen und Nutzer von OkCupid ​auf verschiedene Fragen antworten. Basierend auf diesen Angaben werden ihnen Personen vorgeschlagen, die ähnliche Antworten geliefert haben. Außerdem gibt es eine Vielzahl an Auswahlmöglichkeiten bei sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität. 

Interview: Lea Kraska


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Über den Autor/die Autorin:

MADS-Team

Unter diesem Namen sammeln wir Beiträge von Gastautorinnen und -autoren, Autorenkollektiven oder freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei MADS. Die Namen des jeweiligen Autors oder der jeweiligen Autorin stehen unter dem einzelnen Beitrag.

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