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Corona-Pandemie: Eine vergessene Jugend

Corona-Pandemie: Eine vergessene Jugend
Foto: Unsplash.com/ Hedgehog Digital

Junge Menschen erfahren Ungerechtigkeit: Während der Corona-Pandemie wird ohne sie und über sie hinweg Politik gemacht. Nun gibt es Lockerungen für Geimpfte, während die eigene Freiheit in weiter Ferne scheint: Fünf junge Menschen erzählen, warum sie jetzt dran sein wollen.


Ella (20): „Wir sind nicht wichtig“

Inzwischen befinden wir uns seit fast einem halben Jahr in so etwas Ähnlichem wie einem Lockdown. Freizeit besteht eigentlich nur aus einem kurzen Spaziergang, wenn man es schafft, sich aufzuraffen. Während ich versuche, meiner Vorlesung auf dem Laptop einigermaßen zuzuhören, sehe ich draußen Erwachsene im Kreis stehen. Ohne wirklichen Abstand und ohne Sorge, gleich von der Polizei eine Geldstrafe zu bekommen. Denn viele sind geimpft, zählen nicht mehr als Haushalt und außerdem passen sie ja nur auf ihre Kinder oder Enkel auf.

Junge Menschen kaum geimpft

Ella fehlen die Erfahrungen eines normalen Studiums.
Foto: Privat

Ich selbst kann mich nur mit einer Person treffen. Geimpft ist fast keiner aus meinem Freundeskreis. Wir sind ja jung und haben noch alle Zeit der Welt, nach Corona ein normales Leben zu führen, Leute kennenzulernen und Erfahrungen zu sammeln. Aber die Erfahrung einer Erstsemester-Party, von dem ersten Gang in die Uni und die Erfahrung, das erste Mal mit neuen Kommilitorinnen und Kommilitonen zu lernen fehlen, mir jetzt.

Inzwischen studiere ich seit einem halben Jahr und habe die Uni nicht ein einziges Mal von innen gesehen. Denn die Öffnung der Unis und das Wohl der Studierenden scheint zweitrangig. Über das Onlinesemester bin ich dankbar – wirklich. Aber über die Kopfschmerzen, die Motivationslosigkeit und Einsamkeit nicht. Habe ich Fragen zu einem Seminar, weiß ich nicht, wen ich fragen soll. Andere Studierende kenne ich nicht.

Meinen Freunden geht es ähnlich. Aber unsere Probleme interessieren leider keinen. Nach Lösungen für uns wird einfach nicht gesucht. Klar, es ist vor allem nötig, Kranke und Ältere zu impfen, um sie zu schützen. Aber die psychische Gesundheit junger Menschen sollte eben auch eine große Rolle spielen.

Von Ella Rinke

Emma (22): „Komplett ignoriert“

Vor zwei Wochen war ich das erste Mal seit März 2020 in meinem Unigebäude. Im Sommer werde ich mein Studium abschließen und habe damit dann die Hälfte meines Bachelors online absolviert. Ich würde sagen, dass ich die Staubkörner auf meinem Laptop schon mit Namen kenne. Schließlich gucke ich manchmal bis zu acht Stunden pro Tag auf diesen Bildschirm.

Die Strategie ist ungerecht

Emma möchte mal wieder ins Kino gehen.
Foto: Privat

Ich finde die Pandemiebekämpfung ungerecht – und das nicht, weil jüngere Menschen länger auf die Impfung warten müssen. Ja, ich verstehe, warum Ältere zuerst geimpft werden.

Ich finde es nachvollziehbar, dass Geimpfte nun wieder Privilegien genießen dürfen. Das kann hilfreich für die Impfkampagne sein, und vor allem einen kleinen Beitrag zum Wiederaufbau der Wirtschaft leisten. Was ich nicht verstehe, ist, dass jetzt Geimpfte wieder in den Urlaub fahren können und ein Gläschen Wein auf der Terrasse trinken können, während beinahe nichts für die Jüngeren getan wird.

Junge Menschen kämpfen mit mentalen Problemen wie Einsamkeit, Prokrastination, Schlafstörungen oder Schlimmerem. Anstatt hier Möglichkeiten mit Schnelltests zu schaffen oder über das Anmieten leer stehender Kulturzentren für Vorlesungen nachzudenken, wird unsere Generation komplett ignoriert.

Man könnte auch einfach mal etwas wagen, wie man es auch mit dem Einzelhandel tut. Und: Ich will auch mal wieder ins Kino gehen. Und ich möchte diesen Wunsch aussprechen, ohne gleich dafür als unmoralische, naive Studentin dargestellt zu werden. Wir haben über ein Jahr Rücksicht genommen. Solidarität ist keine Einbahnstraße. Auch wir möchten Lebensfreude zurückgewinnen. Die ganze Griesgrämigkeit hilft doch keinem.

Von Emma Schell

Florentine (21): „Man hat uns vergessen“

Ständig werde ich gefragt, wie es mir geht. Alles gut, sage ich dann – gefolgt von einem angestrengten Lächeln und einem pseudoentspannten Schulterzucken. Dabei geht es mir und den anderen deutschen Studierenden schon lange nicht mehr gut.

Florentine fühlt sich von der Politik alleingelassen.
Foto: Privat

„Wir sind überfordert“

Wir sind überfordert, gestresst, einsam und erschöpft. Für uns gibt es kein Zurück in die Schule und auch keine Kaffeepause mit Kolleginnen im Büro. Und noch viel verheerender: Für uns gibt es auch keine Politik, die unsere Probleme wirklich wahrnimmt, keinen Lichtblick auf das Ende dieser Corona-Semester. Für uns gibt es nur das Gefühl des Vergessen-Werdens.

Wir werden alleingelassen. Die Antwort der Politik auf unsere Probleme war ein Tropfen auf den heißen Stein: eine finanzielle Hilfe und eine nette Rede von unserem Bundespräsidenten. Eine Rede, in der von Hoffnung durch eine Impfkampagne gesprochen wurde. Eine Impfkampagne, die wir als Letzte zu spüren bekommen, während vollständig Geimpfte ihr Leben zurückerhalten.

Natürlich ist es völlig verständlich, dass erst gefährdete Menschen geimpft werden. Und rational reflektieren wir auch, dass es Lockerungen für Geimpfte geben muss. Aber dass wir, die seit 60 Wochen allein zu Hause sitzen – und deren Immunisierung noch in weiter Ferne liegt, – jetzt zuschauen müssen, wie sich Menschen fröhlich und völlig entspannt in Gruppen treffen können und – dabei so tun, als sei die Pandemie vorbei – ja, das fühlt sich wirklich nur noch ungerecht an.

Von Florentine Pramann

Finn (19): „Leiden unter Beschränkungen“

Finn fehlen die sozialen Kontakte.
Foto: Privat

Gesundheit ist mehr als körperliche Unversehrtheit. Das erfahren Jugendliche während der Pandemie am eigenen Leibe. Während Covid-19 für uns im Vergleich zu anderen Generationen weniger gefährlich ist, leiden wir unter den Kontaktbeschränkungen besonders. Es ist ja nicht nur so, dass Abschlussfahrten, Vereinssport und private Feiern ausfallen: Viele junge Menschen haben sich seit Monaten zu Hause eingeigelt und nicht eine Person außerhalb ihres Haushalts getroffen.

„Darauf angewiesen“

Die Folgen sind drastisch, das zeigen nicht nur Studien und Umfragen. Zum Erwachsenwerden gehört es eben dazu, sich in Gruppen auszutauschen, sich auszuprobieren und Freundschaften zu pflegen. Wir sind darauf angewiesen. Nachdem wir nun seit über einem Jahr unser Leben massiv eingeschränkt haben, um primär die Gesundheit der Älteren zu schützen, sollte jetzt auch unsere Gesundheit Beachtung finden.

Das geht am besten, indem man einen Rahmen schafft, wie sich kleine Freundeskreise unter strikten Hygienemaßnahmen wieder treffen können. Tut man das nicht, werden über kurz oder lang immer mehr unkontrollierte Treffen stattfinden. Sozialer Kontakt ist ein Grundbedürfnis, das man nicht folgenlos über Monate hinweg verbieten kann.

Schon gar nicht, wenn man uns Schüler vormittags in volle Klassenzimmer setzt und in enge Busse drängt, um uns nachmittags zu erklären, dass ein Grillabend mit den engsten Freunden zu gefährlich sei.

Von Finn Bachmann

Nina (25): „Raum für Emotionen“

Die wenigsten können wohl von sich behaupten, gerne zuletzt dran zu sein. Okay, außer vielleicht die Impfgegner. Ich hingegen fühle mich auf meinem unteren Rang in der Impfreihenfolge ziemlich unwohl – so wie die meisten meiner Freunde. Wir sind jung und – jedenfalls verhältnismäßig oft – gesund und darüber können wir froh sein. Eigentlich. Denn aktuell ist es ziemlich frustrierend, jung zu sein.

Nina wäre gerne wieder unbeschwert jung. Foto: Privat

Freunde treffen, Partys feiern, eben einfach das tun, was junge Menschen halt so tun, fällt seit rund einem Jahr weg. Ist das Jammern auf hohem Niveau? Vielleicht. Aber es geht um mehr. Zum Beispiel um Zukunftsängste, den Verlust der Nebenjobs und natürlich auch um die Vereinsamung. Obwohl ich total froh bin, dass meine Großeltern zuerst geimpft wurden, frage ich mich nun: Wann bin ich dran? Oder meine Freunde, die in der Gastro jobben, um ihre Miete zu finanzieren, und sich deshalb alle paar Wochen in Quarantäne begeben müssen, weil wieder ein Kollege krank geworden ist? Und wie sind die Jobaussichten überhaupt nach alledem?

Ich wäre einfach gerne wieder unbeschwert jung, denn diese Zeit gibt es später nicht einfach zurück. Da helfen auch keine höhnischen Kommentare, dass wir Jungen uns ja nur anstellen. Ich würde mir wünschen, dass man unseren Emotionen mehr Raum zugesteht, anstatt uns Gefühle abzusprechen oder sie zu belächeln. Immerhin höre ich ja auch gerne meinen Großeltern zu, wenn sie mir davon erzählen, dass sie den Besuch in ihrer Lieblingseisdiele vermissen.

Von Nina Hoffmann


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Über den Autor/die Autorin:

MADS-Team

Unter diesem Namen sammeln wir Beiträge von Gastautorinnen und -autoren, Autorenkollektiven oder freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei MADS. Die Namen des jeweiligen Autors oder der jeweiligen Autorin stehen unter dem einzelnen Beitrag.

1 Kommentar

  1. Lotte

    Ich kann das total gut verstehen. Und das geht ja nicht nur den ‘Jungen’ so. Als Eltern (Ende 30/Anfang 40) eines Kindergartenkindes fühlen wir uns auch im Stich gelassen. Nach über einem Jahr im HomeOffice, davon viele Monate ohne Kinderbetreuung sind auch wir am Ende unserer Kräfte und Nerven.
    Ohne Prio ist die Impfung immer noch in weiter Ferne und rückt gefühlt mit jedem Nachrichtentag weiter weg (aktuell nur Zweitimpfungen, überlastete Arztpraxen und keine Termine in Impfzentren, Vorzug der 12-18 Jährigen, etc.)
    Dazu keine Möglichkeit sich zu schützen, da z.B. Kindergartenkinder nicht mal getestet werden (zumindest bei uns in SH).

    Antworten

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