Zuschauerin nach Wahlarena: „Laschets Antworten haben wenig hergegeben“
Dolunay Temur war zu Gast in der ARD-Wahlarena mit dem Unionskanzlerkandidaten Armin Laschet. Im MADS-Interview erzählt die 23-jährige Studentin, was sie dort erlebt hat.
Dolunay Temur ist Mitglied des Jugendbotschafter-Programms One und studiert Politikwissenschaften und Europäische Ethnologie in Kiel. Die 23-Jährige war zusammen mit einer Kommilitonin als Zuschauerin in der ARD-Wahlarena. Im Interview mit MADS erzählt die junge Aktivistin, wie sie Teil des Publikums wurde, welche Themen sie mit in die Sendung brachte und wie ihr Eindruck von Armin Laschet war.
Dolunay, wie bist du eigentlich in die Wahlarena gekommen?
Meine Freundin Maxi hat sich vor etwa zwei Monaten beworben und wurde angenommen. Da wir beide als Jugendbotschafterinnen bei One aktiv sind und sie sich mit einem Thema beworben hat, das One sehr am Herzen liegt, habe ich sie begleitet.
Was ist One?
One ist eine Nicht-Regierungs- und Entwicklungsorganisation und setzt sich für das Ende extremer Armut in der Welt ein. Das betrifft hauptsächlich den afrikanischen Kontinent. Pro Jahr gibt es etwa 60 Jugendbotschafter und -botschafterinnen, die Lobbygespräche mit Politikern und Politikerinnen führen und sie an ihre Versprechen erinnern, die sie mal gegeben haben. Dazu gehört zum Beispiel, dass 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens in Entwicklungszusammenarbeit investiert werden sollen. Das ist in Deutschland bisher erst zweimal gelungen. Es ist uns ein wichtiges Anliegen, dass in der Außen- und Entwicklungspolitik keine Rückschritte entstehen.
Zurück zur Wahlarena: Was genau muss man denn machen, damit man ins Publikum kommt?
Das ist ganz unkompliziert. Man muss einfach eine Mail schreiben mit ein paar Sätzen. Man beschreibt, wer man ist, woher man kommt, was man macht und die Frage, die man stellen möchte. Dann gibt es noch ein paar telefonische Gespräche wo Rückfragen gestellt wurden. Und dann kriegt man die Zu- oder Absage.
Das ist die ARD-Wahlarena
Anders als in vielen Interviews und Talkrunden vor der Bundestagswahl müssen sich die Kanzlerkandidatinnen und -kandidaten bei der Wahlarena nicht den Fragen von Journalistinnen und Journalisten stellen, sondern denen von Wählerinnen und Wählern. Dabei steht in jeder Sendung nur einer der Kandidaten auf der Bühne. In diesem Jahr machte die Spitzenkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, den Auftakt der Wahlarena am 6. September. Einen Tag später folgte Olaf Scholz (SPD). Am 15. September war Armin Laschet (CDU) als letzter Kandidat an der Reihe. Aufgenommen wurde die Wahlarena in der Kulturwerft in Lübeck. Die Moderation übernahmen der NDR-Chefredakteur Andreas Cichowicz und die WDR-Chefredakteurin Ellen Ehni.
Bewirbt man sich denn für eine bestimmte Wahlarena?
Ja.
Und warum wolltet ihr unbedingt zu Armin Laschet?
Als Jugendbotschafterinnen bei One war es für uns sehr wichtig, vor der Bundestagswahl mit allen drei Kanzlerkandidaten ins Gespräch zu kommen. Mit Annalena Baerbock und Olaf Scholz hat das bisher schon geklappt, aber mit Armin Laschet ist uns das nicht gelungen. Deshalb war es für uns super wichtig, dass wir zu ihm in die Wahlarena kommen, um mit ihm über unsere Themen zu sprechen.
Welche Fragen habt ihr dann in der Sendung gestellt?
Wir wollten von Armin Laschet wissen, was seine konkreten Maßnahmen sind, um die extreme Armut global einzudämmen. Wie soll Deutschland seiner Verantwortung in der globalen Gemeinschaft nachkommen?
Und wie hat der Kanzlerkandidat darauf reagiert?
Er hat zuerst persönlich Bezug genommen und erzählt, dass er sich selbst schon lange mit diesem Thema beschäftigt. Er hat auch bestätigt, dass Außenpolitik bisher kaum Thema in den TV-Triellen war. Erst später ist er richtig auf unsere Frage eingegangen. Er meinte, es sei wichtig, mit dem afrikanischen Kontinent zusammenzuarbeiten und das dortige Potenzial auszuschöpfen und besonders Frauen und Mädchen zu stärken. Damit wird Deutschlands Verantwortung aber außen vor gelassen. Ja, in Afrika gibt es viel Potenzial, aber es geht auch darum, wie Deutschland sich dafür einsetzen kann. Deutschland hat sich 2015 zu den 17 UN-Nachhaltigkeitszielen (Agenda 2030) bekannt. Durch die Corona-Pandemie wurden viele Fortschritte zunichte gemacht. Während sich reiche Länder schneller erholen werden, wird in armen Ländern und insbesondere in Subsahara-Afrika weiter mit einem Anstieg der Armutsrate gerechnet. Wer auch immer Merkels Nachfolge antritt, muss hier handeln.
Also hat euch seine Antwort nicht zufriedengestellt?
Nein. Armin Laschets Darstellungen von Entwicklungszusammenarbeit waren sehr simpel und unzureichend. Das kam der Komplexität unserer Frage und der Entwicklungsarbeit an sich überhaupt nicht nach. Seine Antworten wurden dem nicht gerecht, was eigentlich an Antworten nötig wäre.
Aufsehen um Aktivistin im Publikum
Neben den Jungbotschafterinnen von One stellten noch viele andere Zuschauerinnen und Zuschauer Fragen in der Wahlarena. Eine von ihnen, eine minderjährige Aktivistin von Fridays for Future, wurde am Tag nach der Show in einem Bericht der „Bild“-Zeitung als „trainierte Aktivistin“ kritisiert, die Armin Laschet „fertig machen“ wollte. Sie sei von der Aktivistinnen-Agentur hartaberlinks auf ihren Auftritt vorbereitet worden. Der Bericht schlug große Wellen und wurde auch in sozialen Netzwerken diskutiert. Auf Twitter meldeten sich unter anderem die vermeintliche Trainerin und „hartaberlinks“-Gründerin Emily Laquer sowie Fridays for Future Hamburg zu Wort.
Es wurden ja noch viele weitere Fragen und Themen besprochen. Wie war euer Eindruck von Armin Laschet ansonsten?
Uns ist aufgefallen, dass er oft dieselbe Strategie verwendet hat und zuerst einen persönlichen Bezug hergestellt hat. Da hat er erzählt, was er schon alles dafür getan hat und seinen eigenen Erfolgen eine Bühne gegeben. Wenn er dann dazu kam, die Fragen zu beantworten, war meistens schon die Zeit zu knapp, um richtig konkret zu antworten. Dadurch haben seine Antworten sachlich wenig hergegeben und uns nicht überzeugt.
Was hättet ihr euch stattdessen anders gewünscht?
Die Wahlarena ist eine super Gelegenheit, um verschiedenste Anliegen aus der gesamten Bevölkerung anzubringen und Fragen vor der Öffentlichkeit zu stellen. Ich hätte mir wirklich gewünscht, dass es um Inhalte geht und dass man konkrete Antworten bekommt. Stattdessen war bei Laschet sehr deutlich, wie sehr die Show zur Selbstinszenierung genutzt wird. Das habe ich als ernüchternd empfunden. Außerdem hatten wir uns gewünscht, dass Armin Laschet sich nach der Show noch Zeit für die Zuschauerinnen und Zuschauer nimmt. Er war zwar auch kurz bei uns hat wiederholt, dass Entwicklungszusammenarbeit ein wichtiges Thema schon seit Langem für ihn sei. Aber als wir ihn um einen Termin für ein Gespräch gebeten hatten, entgegnete er nur, er habe kaum Zeit. Ein Fototermin ließe sich einrichten, aber das ist nicht das, was wir wollen. Denn wir wollen über Inhalte sprechen.
Von Rabea Osol
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2017 hatte Alexander Jorde mit einem Appell für die Pflege bei einer solchen Veranstaltung mit Angela Merkel für Furore gesorgt. Aber was hat es gebracht? Bezahlung und Arbeitsbedingungen haben sich trotz Corona kaum verbessert. Ich denke, wir brauchen generell mehr Menschen in der Politik, die nicht nur an ihren eigenen Vorteil und die nächsten vier Jahre denken. Es gibt ja auch keinerlei Konsequenzen für egoistisches Verhalten, seien es Berateraffären oder Maskendeals, fragliche Schadenersatztzahlungen an die Energiewirtschaft usw. Es muss sich etwas an den Werten und Einstellungen der Menschen ändern, sonst ändert sich nichts. Egal wer gerade am Ruder ist. 🤷♂️