
Was ich beim Freiwilligendienst gelernt habe

Hauptsache weit weg: MADS-Autorin Carlotta hat einen Freiwilligendienst im Ausland gemacht – und diese sechs Dinge gelernt.
Gutes Engagement, schlechtes Engagement
Nach dem Abitur wollte ich ein neues Land kennenlernen und mich dort engagieren. Dass Freiwilligendienste statt Austausch oft Vorurteile fördern, wusste ich. „Volontourist“, ein Mix aus „volunteer“, also Freiwilliger, und Tourist, wollte ich nicht sein. Deshalb entschied ich mich für ein Weltwärts-Programm – und unterrichtete in Laos Englisch. „Bei Weltwärts geht es um die Lernerfahrung der Freiwilligen“, erklärt Christian Wochele, Weltwärts-Projektleiter im Bereich Qualitätsmanagement. Die Programme sind staatlich gefördert und dauern meist ein Jahr. Trotzdem: „Auch ein Weltwärts-Freiwilliger kann ein Volontourist sein“, sagt Christian Weinert, der in seiner Dokumentation „Blickwechsel“ auch Kritik an Weltwärts aufzeigt. Wie nachhaltig der Dienst ist, hängt ihm zufolge vom Verhalten des Freiwilligen ab.

Englisch sprechen ist nicht gleich Englisch unterrichten
Das wurde mir klar, als ich versuchte, meinen 25 Schülern den Unterschied zwischen „house“ und „home“ zu erklären. Statt aus lockeren Spielen bestand der Unterricht aus trockenen Grammatikübungen. An eigene Themen traute ich mich erst nach Monaten. Das funktionierte dann auch: Als ich mit einer selbst gemalten Karte unser Sonnensystem erklärte, fragte ein Schüler fasziniert, wie man Astronaut wird. Projekt und Organisation müssen passen – Bewerber sollten gut recherchieren und mit ehemaligen Freiwilligen sprechen. Kritik gibt es vor allem an der Arbeit mit Kindern: Der Freiwillige wird zur Bezugsperson und verschwindet nach einem Jahr wieder. „Die Plätze richten sich vor allem nach der Nachfrage in Deutschland – auch bei Weltwärts“, so Weinert. Er kritisiert die Freiwilligendienst-Industrie: „In Extremfällen gibt es Waisenhäuser, die nur für Freiwillige von kommerziellen Anbietern gegründet wurden.“

Übung macht den Meister
Nur „Sabai Dii“, guten Tag, konnte ich bei der Ankunft in Laos sagen. Doch zum Glück hatte ich Keo – jedem Weltwärts-Freiwilligen steht ein Mentor zur Seite, der einem zum Beispiel Nachhilfe in der Landessprache gibt. So wurde mein Laotisch besser. Sobald ich aber Alltagsgespräche führen konnte, machte ich weniger Fortschritte. Die Laoten, zu denen ich regelmäßig Kontakt hatte, konnten Englisch – und so haben wir uns dann auch aus Bequemlichkeit verständigt. Um eine Sprache wirklich zu lernen, hilft nur eins: Vokabeln büffeln und benutzen – auch wenn es anstrengend ist.
Du nimmst keine Arbeitsplätze weg – hoffentlich
Grundsätzlich sollen Weltwärts-Freiwillige nur unterstützen. Ich habe in Laos eigene Klassen unterrichtet – ob es ohne Freiwillige so viele Schüler gegeben hätte, weiß ich nicht. „Ein genauer Grad zwischen Unterstützung und Verantwortung ist schwierig festzulegen. Es gibt keine komplette Kontrolle“, sagt Wochele. Feedback von Freiwilligen und eine regelmäßige externe Zertifizierung, also eine Überprüfung der Entsendeorganisationen, sollen die Qualität des Programms sichern. Freiwillige müssten überlegen, wie viel Verantwortung sie übernehmen können. Genauso müssten Projekte zusichern, dass Freiwillige keine lokalen Arbeitskräfte ersetzen, erklärt Wochele. „Ich würde das als dokumentiertes Vertrauen bezeichnen.“
Zum nationalen Lehrertag gab es Geschenke und Vorträge in der Schule. Carlotta und ihre Mitfreiwillige Jessica wurden auch eingeladen. Am Ufer des Mekong gibt es fast jeden abend Zumbakurse. Oben weiß, unten blau: Die Schuluniformen sind im ganzen Land gleich – hier in der südlichen Provinz Sekong. Feiern können die Laoten auch: Mit Lao-Pop, Techno und viel Bier. Alle Fotos: Carlotta Hartmann
Guck in alle Richtungen
Wenn wir immer nur die Geschichte über ein armes Land mit hungernden Kindern und staubigen Straßen hören, reduzieren wir ganze Kontinente darauf. Das habe ich schon im Vorbereitungsseminar gelernt. Anfangs war ich naiv überrascht, dass Menschen in Entwicklungsländern nicht auf wirtschaftliche Hilfe warten. Laoten gehen eben auch shoppen, essen und feiern. Es gibt Einkaufszentren und Elektro-Clubs – das alles gehört genauso zum Land wie die Reisernte oder Mönche in leuchtenden Gewändern. All diese Facetten habe ich versucht, meinen Freunden zu Hause zu zeigen.
Boh pen nyang
Das heißt: Es wird schon. Richtig vorbereiten konnte ich mich auf das Jahr nicht. Ich hatte mehr Freizeit als gedacht und half zusätzlich beim Deutschunterricht an der Uni aus. „Freiwillige sollten mit Freude und Neugier an diese Begegnung und all ihre Widersprüche herangehen“, rät Weinert. Aus Gesprächen mit Laoten und unerwarteten Situationen habe ich tatsächlich am meisten gelernt. Weinert fasst den Sinn von Freiwilligendiensten so zusammen: „Begegnungen von Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen haben immer ein Potenzial, persönliche Horizonte zu weiten und Verständnis zu fördern. Was kann denn mehr das Miteinander auf der Welt fördern?“

Weltwärts – kurz erklärt
Seit 2008 gibt es den entwicklungspolitischen Freiwilligendienst.
Zwischen 18 und 28 Jahren müssen Bewerber sein und mindestens einen Haupt- oder Realschulabschluss mit Berufserfahrung haben.
75 Prozent der Kosten – etwa für Flüge, Miete und Betreuung – trägt das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, die restlichen 25 Prozent zahlt die Entsendeorganisation. Es gibt auch Verpflegungs- und Taschengeld. Freiwillige werden gebeten, einen eigenen Spenderkreis aufzubauen.
Englischunterricht, landwirtschaftliche Arbeit oder Aufklärung zu Menschenrechten: Mehr als 160 Entsendeorganisationen bieten Projekte an.
Wer im Sommer 2019 weltwärts gehen will, muss sich schnell bewerben. Die Organisationen haben unterschiedliche Fristen.
Um nötige Impfungen und den Visumsantrag sollten sich Freiwillige frühzeitig kümmern – einige Organisationen helfen dabei.
Von Carlotta Hartmann
Engagement im Ausland: Diese Programme gibt es noch
Soziales Engagement in aller Welt: Während eines Freiwilligen Sozialen oder Ökologischen Jahres (FSJ oder FÖJ) im Ausland arbeiten junge Leute für sechs bis 18 Monate in Projekten von Partnerorganisationen. Ähnlich ist der Internationale Jugendfreiwilligendienst (IJFD), der durch das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend gefördert wird.
Plätze in den Bereichen Bildung und Kultur bietet Kulturweit, der sechs- bis zwölfmonatige Freiwilligendienst der Deutschen Unesco-Kommission.
Soziale Projekte im europäischen Ausland gibt es für zwei bis zwölf Monate über den Europäischen Solidaritätskorps (ESK).
Ein weltweites Netzwerk aus ökologisch bewirtschafteten Höfen ist World Wide Opportunities on Organic Farms (WWOOF). Freiwillige unterstützen in Zeiträumen von wenigen Wochen bis zu mehreren Monaten die landwirtschaftliche Arbeit.
Engagement und Sightseeing-Urlaub verbinden: Viele kommerzielle Reiseagenturen bieten Kurzzeitfreiwilligendienste an. Die Kosten trägt der Freiwillige selbst. (anu)