So geht es nicht weiter: Eine Abrechnung mit der Hustle Culture
Hustle Culture, also das Leben für die Arbeit, ist in unserer Leistungsgesellschaft omnipräsent. Doch Arbeitssucht und Stress können gravierende Folgen haben. Und das beginnt schon in der Schule. Ein Kommentar.
Überstunden, arbeiten bis zum Umfallen, bis spät in die Nacht vor dem Bildschirm sitzen – die Hustle Culture gehört zu unserem Alltag. Sie propagiert höchste Produktivität und konstante Effizienz: Nur wer hart arbeitet, kann es zu Anerkennung und Erfolg schaffen. Diese Arbeitssucht wird mit dem Spruch „Work hard“ glorifiziert. Aber: Hustle Culture hat schon lange nichts mehr mit Produktivität zu tun.
Junge Workaholics
Die „Work Hard“-Mentalität beginnt dort, wo man seine Leistung tagtäglich beweisen muss: in der Schule. Junge Menschen werden mit dem stetigen Leistungsdruck erwachsen und verinnerlichen die Hustle Culture als etwas Normales – Leistung und Noten determinieren nicht nur die schulische Laufbahn, sondern auch den Start ins Studium und in den Arbeitsmarkt. Und das, obwohl die meisten Abiturientinnen und Abiturienten sich sich bei ihrer Berufswahl noch unsicher sind. So opfern sie ihre mentale Gesundheit für den Numerus Clausus, denn ein sehr gutes Zeugnis ist vermeintlich der erste Inbegriff des Erfolgs. Die Türen zur Arbeitswelt stehen einem offen. Im Studium steht dann das stundenlange Sitzen in der Bibliothek fast schon auf dem Stundenplan. Ein guter Masterabschluss lässt fast vergessen, wie sehr die eigene Psyche bereits unter der Hustle Culture gelitten hat.
Psychische Belastung
Die psychischen Folgen der Arbeitssucht sind verheerend. Für die Betroffenen sind die Konsequenzen anfangs noch weit weg. Man verharmlost die Gefahren, die sich teilweise schon während der Schulzeit festgesetzt haben. Überforderung, Hilflosigkeit und Reizbarkeit, gefolgt von chronischem Stress – damit haben bereits Oberstufenschülerinnen und Oberstufenschüler zu kämpfen. Betroffene isolieren sich, verbringen weniger Zeit mit Familie sowie Freundinnen und Freunden. Eine andere soziale Folge ist der Konkurrenzkampf, der oft in der Schule beginnt und sich im Studium vertieft – wer kennt nicht die Geschichten Jura-Studierender, die Hausarbeiten anderer löschen, damit diese durchfallen?
Hustle Culture: Verheerende Gesundheitliche Folgen
Ein anderes typisches Symptom ist der Schlafmangel, welcher schnell für unbedeutsam befunden wird: „Schlafen kann ich, wenn ich tot bin.” Durch das konstante Stresslevel und die hohe Belastung kommt es mitunter zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Migräne, wie etwa das Hochschuljobportal „Stellenwerk“ schreibt. Mit der Übermüdung und dem Zwang zu Konzentration und Leistung kommt oft Vergesslichkeit – ein No-Go in der Arbeitswelt. So führt also genau die Hustle Culture, die Produktivität zu fördern scheint, mitunter zu Fehlern.
Schnell führt die Arbeitssucht auch zu Depressionen. Vor allem wächst das Burnout-Risiko stetig an, bis Erkrankte den Sinn hinter der eigenen Arbeit nicht mehr erkennen. Laut einer Studie von Deloitte haben 77 Prozent der Befragten US-Amerikaner an ihrem Arbeitsplatz ein Burnout erlebt, 42 Prozent haben ihren Arbeitsplatz verlassen, weil sie sich ausgebrannt fühlten.
Zugeständnis zum Problem
Unterm Strich ist die Hustle Culture nicht gesund, weder für Psyche und Körper noch für die Wirtschaft. Doch wer einmal drin steckt, kommt aus dem Leistungszwang so schnell nicht wieder heraus. Sich hinlegen und entspannen – undenkbar. Also arbeitet man noch eifriger und brennt schließlich aus. Und dieses Burnout muss mit therapeutischer Hilfe in Angriff genommen werden – spätestens dann sind Pausen Pflicht.
Am besten sollte das Thema bereits vor dem Tiefpunkt in Angriff genommen werden, Betroffene der Arbeitssucht müssen offen über ihre Probleme sprechen. Eine Therapie kann sie aus der Abwärtsspirale herausbringen. Die eigene Leistung ist von Tag zu Tag unterschiedlich, Pausen sind produktiv. Sie helfen, den Kopf frei zu bekommen und neue Motivation zu gewinnen.
Lösungen von Seite von Politik und Unternehmen
Erholung muss an erster Stelle stehen: Am Wochenende wegfahren, mehr Zeit mit dem Freundeskreis verbringen. Eine gesunde Work-Life-Balance beginnt mit bewussten Pausen, ohne Überstunden. Unternehmen können hierbei aktiv für das Wohlbefinden der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sorgen, indem Freizeit- und Entspannungsaktivitäten und ausreichende Pausen angeboten werden. Auch die Politik könnte zum Beispiel durch die Vier-Tage-Woche, die zurzeit wieder zur Debatte steht, viel bewirken. Burnout-Fälle gingen bei Firmen, welche die Vier-Tage-Woche getestet hatten, schließlich um 71 Prozent zurück.
Eine Arbeitssucht zu haben ist ungesund und nicht normal, erst recht nicht unter Jugendlichen. Denn das Produkt der Hustle Culture ist keine Standardleistung – Hustle Culture ist nichts weiter als toxische Produktivität. Nichts weiter als ein Geschenk mit Gift darin.
Von Julia Schöpfer
Lies auch: