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Selbstbestimmungsgesetz: „Endlich bekommen wir ein Menschenrecht“

Selbstbestimmungsgesetz: „Endlich bekommen wir ein Menschenrecht“
Foto: Ehimetalor Akhere Unuabona/Unsplash

Das für viele trans und nicht binäre Personen erniedrigende Transsexuellengesetz ist Geschichte. Mit dem neuen Selbstbestimmungsgesetz soll nun alles besser werden – oder? Wie die Gesetzesänderung in der queeren Community aufgenommen wird, erklären Max Charlotte (sie/ihr oder they/them) und Samuel (er/ihm) im MADS-Interview.


Max Charlotte ist 27 Jahre alt, nicht binär und lesbisch. Der 24-jährige Samuel ist trans Mann und Sozialarbeiter in einem queeren Jugendzentrum in Hannover. Dort hat er täglich mit Jugendlichen zu tun, die ebenfalls von dem neuen Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) betroffen sind, das das Transsexuellengesetz (TSG) ablöst. Queere Menschen nahmen letzteres als erniedrigend wahr und hoffen nun, dass die Gesetzesänderung Vorteile bringt. Max Charlotte und Samuel haben MADS erzählt, wie sie zum neuen Selbstbestimmungsgesetz stehen.

Was sind eure Gefühle zur Verabschiedung des Selbstbestimmungsgesetzes?

Samuel: Als ich vom positiven Abstimmungsergebnis gehört habe, strahlte mein ganzes Gesicht. Endlich gibt es eine gute Nachricht für trans Personen in Deutschland. Endlich bekommen wir ein Menschenrecht, was uns schon immer zustand. Ich bin sehr froh darüber, dass das menschenfeindliche TSG abgeschafft wird. Endlich können trans und Inter-Personen eine selbstbestimmte Entscheidung über ihren Namen und Personenstand treffen und müssen sich nicht mehr psychologisch oder medizinisch zwangsbegutachten lassen.

Samuel. Foto: privat

Max Charlotte: Ich habe definitiv gemischte Gefühle, es bedeutet sowohl einen großen gesellschaftspolitischen Fortschritt als auch gesetzlich verankerte Diskriminierung für viele in der Community, die restlos beseitigt werden muss. Wir dürfen uns nicht über den Gesetzestitel hinwegtäuschen lassen. Das sage ich auch explizit an die cis-heterosexuelle Mehrheitsgesellschaft gerichtet, die uns Homosexuellen zur „Ehe für alle“ ja auch immer noch sagt: „Ihr dürft doch jetzt auch heiraten – was wollt ihr denn noch?“

Max Charlotte. Foto: privat

Inwiefern betrifft euch das Selbstbestimmungsgesetz?

Max Charlotte: Dass mich das Gesetz als nonbinäre, weil bi-gender Butch-Lesbe selber betrifft und mich anerkennt, ist unbeschreiblich empowernd. Wir Lesben sind und waren nie ausschließlich „frauenliebende Frauen“, sondern hatten schon immer viele und vielgeschlechtliche Namen – unter anderem Butch, kesser Vater, sapphisch, Femme, genderqueer, maskulin. Das cissexistische TSG hätte für mich wiederum Selbstverleugnung bedeutet: Ich hätte mich als binärer trans Mann ausgeben und misgendern und somit auf meinen zweiten Vornamen verzichten müssen – Stichwort: Lesbische Unsichtbarkeit.

Das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) wurde vom Bundestag verabschiedet und tritt ab 1. August 2024 in Kraft. Es sieht vor, dass jeder Mensch den eigenen Namen und Geschlechtseintrag beim Standesamt nach dreimonatiger Voranmeldung durch eine selbstverfasste Erklärung ändern kann. Auch der diverse Geschlechtseintrag wird hier vollumfänglich berücksichtigt. Das Bundesfamilienministerium hat zu dem Gesetz einen umfassenden Fragenkatalog zusammengestellt.

Samuel: Ich persönlich habe meinen Namen und Personenstand bereits 2018 per TSG-Verfahren geändert. Ich weiß, dass es ein langer, teurer, kräftezehrender und diskriminierender Prozess sein kann, den trans Personen durchmachen mussten, um zwei Stellen auf einem Blatt Papier zu ändern. Ich wurde bei den Gutachten gefragt, wie ich Sex habe, ob ich masturbiere und was für Unterwäsche ich trage. Ich war 18 Jahre alt und sehr abhängig von den Entscheidungen, die meine Gutachter*innen getroffen haben. Deshalb beantwortete ich diese übergriffigen Fragen, die tatsächlich den meisten Personen in diesem Verfahren gestellt wurden. Ich arbeite in einem queeren Jugendzentrum und freue mich für jede Person dort, die solche übergriffigen Fragen nicht mehr beantworten muss, die ab dem 1. August zum Standesamt gehen und eine so wichtige Entscheidung nun endlich selbstbestimmt treffen kann. Die Jugendlichen bei uns strahlen sehr und freuen sich darauf, bald einen Ausweis mit ihrem richtigen Namen mit sich tragen zu dürfen.

Das Transsexuellengesetz (TSG) ermöglichte es trans Menschen ab 1981, Personenstand und Geschlechtseintrag offiziell ändern zu lassen. Seit 2020 sollten nichtbinäre Menschen ihn auch in „divers“ ändern lassen können, allerdings setzten nicht alle Amtsgerichte diesen Beschluss um. Das Verfahren war sehr langwierig, eine antragstellende Person musste sich einer gerichtlichen Anhörung unterziehen, wurde von zwei Gutachtern beurteilt und musste häufig noch privat Gutachten von Ärzten anfertigen lassen. Alle Kosten, die durch das Verfahren entstanden, mussten dabei selbst getragen werden. Häufig waren das mehrere Tausend Euro.

Was findet ihr gut am Selbstbestimmungsgesetz?

Samuel: Ich finde es gut, dass es keine Zwangsgutachten mehr gibt, denn nur du selbst weißt, welches Geschlecht du hast. Es ist totaler Blödsinn, dass einem das zwei Personen nochmals bestätigen müssen. Auch gut ist, dass das Verfahren keine Tausenden Euro mehr kostet. Für viele war das auch eine große finanzielle Hürde.

Foto: Lena Balk/Unsplash

Max Charlotte: Genauso erfreulich und essenziell ist die Einverständnispflicht für Kinder unter 14 Jahren. Das Offenbarungsverbot des früheren Vornamens und Geschlechtseintrags wurde auf Angehörige ausgeweitet. All das sind enorme Beiträge zu mehr Einigkeit, Recht und Freiheit in unserem Land.

Minderjährige im SBGG: Für Kinder bis 14 Jahren müssen die Sorgeberechtigten eine Erklärung zur Personenstandsänderung abgeben, ab 14 Jahren tun Minderjährige dies selbst, allerdings in Begleitung der Eltern. Die Zustimmung der Eltern kann durch ein Familiengericht ersetzt werden, dies wird am Kindeswohl bemessen.

Was kritisiert ihr? Was hättet ihr euch anders gewünscht?

Samuel: Die Regelungen zum Hausrecht oder zum Spannungs- und Verteidigungsfall, die vor allem trans-weibliche Personen betreffen, wurden leider von transfeindlichen Stimmen eingebracht und befeuern nur Ängste und Vorurteile gegenüber trans-weiblichen Personen. Diese Stellen hätte ich gerne gestrichen gesehen.

Max Charlotte: Und das SBGG ermöglicht keine Reisepässe abseits der binären Geschlechtseinträge. Es begrenzt die Wirkung der Geschlechtseintragsänderung im Abschiebefall – als christlicher Mensch denke ich hier insbesondere an Geflüchtete.

Samuel: Ja, Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft, die keine unbefristete oder verlängerbare Aufenthaltserlaubnis haben, können das Gesetz nicht nutzen. Jeder Mensch sollte das Recht haben, den eigenen Namen und Personenstand ändern zu können. Egal, welche Staatsbürgerschaft und welchen Aufenthaltsstatus diese Person hat. Menschen, die aufgrund ihres eigenen Transseins politisch verfolgt werden, müssen zudem kompetenter beraten und begleitet werden.

Foto: Unsplash

Max Charlotte: Das neue Gesetz ist neben der Trans-Misogynie auch in weiteren Punkten bevormundend und schürt Misstrauen: dreimonatige Anmeldefrist fürs Standesamt, einjährige Sperrfrist nach erfolgter Änderung des Vornamens und Personenstands, gesetzliche Pflichtberatung für TIN (trans, inter, nonbinäre) Jugendliche beziehungsweise für Sorgeberechtigte von TIN-Kindern. Beratung muss es als Angebot geben – am besten „peer to peer“, sie darf jedoch nicht zur Voraussetzung erklärt werden. Grundsätzlich brauchen wir kinder- und jugendpolitisch aus meiner Sicht als Erziehungswissenschaftler*in die Einführung des Begriffs der Geschlechtsmündigkeit analog zum Rechtsbegriff der Religionsmündigkeit — gerade auch im SBGG.

Samuel: Ich bin aber auch gespannt, was für Erfahrungen mit dem Verfahren gesammelt werden, und hoffe, dass die Gesamtbevölkerung sieht, dass ihr nichts weggenommen wird und sie keine Angst vor uns haben muss. Wir sind auch nur Menschen, die gerne weniger Hürden in ihrem Alltag und Leben haben wollen.

Von Jennifer Kramer


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Über den Autor/die Autorin:

Jennifer Kramer

Jennifer (22) studiert in Hannover Politikwissenschaft. Damit das Studium nicht zu eintönig wird, schreibt sie nebenbei für MADS über alles, was sie bewegt. Besonders gern über Politik, Kultur und Literatur.

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