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Psychische Erkrankungen bei jungen Menschen: „Ich bin nicht allein“

Psychische Erkrankungen bei jungen Menschen: „Ich bin nicht allein“
Foto: Katrin Kutter

Depressionen, Essstörungen und Selbstverletzung – immer häufiger werden psychische Erkrankungen bei Jugendlichen diagnostiziert. Doch wie gelingt ein rücksichtsvoller Umgang mit Betroffenen? MADS-Autorin Anastasia (15) erzählt von ihren Erfahrungen. 


Bis vor vier Jahren waren psychische Störungen noch ein absolutes Mysterium für mich. Geändert hat sich das dann durch zunehmenden Schulstress und ein immer größer werdendes Gebilde aus Leistungsdruck. Zu der Zeit – mit etwa elf Jahren – bekam ich meine erste Essstörung, die Magersucht. Dass ich krank war, wollte ich damals noch nicht wahrhaben. Die Angst vor banalen Dingen wie Brot oder Nudeln gehörte irgendwann einfach zu meinem Alltag.

Mir kam dabei fast nie der Gedanke, dass das Hungern ungesund für mich ist. Aus meiner Sicht schien es vielmehr wie eine Bereicherung, da es mich näher zur „absoluten Perfektion“ bringen würde. Es war fast wie ein Loch, das mich immer tiefer in sich einsaugte. Und so habe ich einfach weitergemacht – und jeden besorgten Gedanken aus meinem Hirn verbannt.
Zwei Jahre brauchte ich, um wirklich zu begreifen, dass etwas bei mir nicht stimmte. Ich wollte mir das Leben nehmen, aber gerade noch rechtzeitig ist mir aus unerfindlichen Gründen der Gedanke gekommen, dass es nicht normal sein kann, lieber alles beenden zu wollen, statt eine Sekunde länger auf der Welt zu bleiben. Lange recherchierte ich danach im Internet und redete mit engen Freunden. Ich erkannte: Ich bin nicht allein.

Spielen mit Katze „Fusi“: Anastasia hat lange versucht, ihre Probleme für sich zu behalten. irgendwann ging das nicht mehr. Foto: Katrin Kutter

Allerdings hat auch diese Erkenntnis mir lange Zeit nicht wirklich dabei geholfen, mir Hilfe zu suchen. Statt mich meinen Eltern anzuvertrauen, habe ich alles von mir geschoben. Nie war der Zeitpunkt richtig, immer fand ich eine Ausrede. Irgendwann gab es dann doch den Punkt, an dem ich realisiert habe, dass ich mir nicht mehr zu helfen weiß. Wie, wann und warum er kam, kann ich nicht mehr rekonstruieren. Aber endlich hatte ich den Mut für den entscheidenden ersten Schritt – ein Gespräch mit meiner Mutter.

Selbst danach war ich nicht offen für eine Therapie. Bis ich bereit war, nach einer Therapeutin zu suchen, verging ein gutes Dreivierteljahr. Geholfen hat bisher hauptsächlich das Bewusstsein, mit jemandem reden zu können. Trotzdem fällt es mir noch schwer, komplett offen zu sein.

Psychische Erkrankungen nehmen zu

Etwa jeder 20. Jugendliche in Deutschland hat eine behandlungsbedürftige psychische Erkrankung, so die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK). Allein 5,9 Prozent aller Jugendlichen leiden heutzutage unter depressiven Störungen, und weitere 9,8 Prozent an verschiedenen Formen von Angststörungen. Die besorgniserregende Entwicklung dahinter: Die Zahl der diagnostizierten psychischen Erkrankungen nimmt bei Kindern und Jugendlichen immer weiter zu.
So ist, laut einer Studie der Kaufmännischen Krankenkasse KKH, die Rate der Depressionen innerhalb der Altersgruppe der 13- bis 18-Jährigen innerhalb von zehn Jahren um fast 120 Prozent gestiegen. Der größte bisher verzeichnete Anstieg überhaupt.

Auch in meinem schulischen Umfeld lassen sich immer mehr Fälle psychischer Krankheiten beobachten. Die meisten meiner Bekannten sind sogar schon selbst einmal mit dem Thema konfrontiert worden. Von Angstattacken oder Essstörungen über Depressionen sind heute in den Schulen praktisch alle Ausprägungen erschreckend oft vertreten.

Ein zentraler Grund dahinter sei die große Menge an Stress, mit der Kinder und Jugendliche in ihrem Leben nahezu täglich konfrontiert werden, heißt es in der Studie der KKH. Leistungsdruck durch Schule und Eltern, zeitaufwendige Hobbys, Versagensängste und verzerrte Körperideale durch Social Media seien dabei nur einige der Gründe, die Jugendliche dazu bringen, an ihrem Leben zu verzweifeln.

Zusätzlich dazu habe ich mir während meines „Outings“ von Familie und Freunden häufig Sätze wie „Das ist nur eine Phase“ oder „Sei doch nicht so negativ“ anhören müssen. Zwar sind solche Phrasen oft gut gemeint, allerdings haben sie bei mir das Gefühl der Ausweglosigkeit und der sowieso schon großen Scham nur noch verstärkt.

Ein gewisses Maß an Empathie

Das Schlimmste, was mir jemals jemand gesagt hat, war: „Hast du schon mal daran gedacht, dass andere es viel schlechter haben?“ Nach diesem Satz wäre ich fast in Tränen ausgebrochen. Denn aus meiner Sicht wurde mir damit das Recht abgesprochen, mich überhaupt schlecht fühlen zu dürfen. Natürlich wird von keinem verlangt, die Probleme eines Kranken perfekt nachvollziehen zu können. Trotzdem wünsche ich mir ein gewisses Maß an Empathie. Denn Beistand zu erhalten und seine Probleme offen benennen zu können, ist meiner Erfahrung nach sehr viel hilfreicher als abwertende Kommentare.

Psychische Erkrankungen bei jungen Menschen: Depressionsrate steigt

Wichtig ist deshalb vor allem eins: aufmerksam zu sein. Stress kann im Leben von Kindern und Jugendlichen schnell und nahezu unbemerkt die Überhand gewinnen. Die steigende Depressionsrate ist dabei ein klares Warnsignal. Deshalb ist es gerade für Eltern besonders wichtig, darauf zu achten, dass der Druck nicht zu groß wird. Ich finde, dass man Kinder und Jugendliche generell viel mehr entlasten sollte – eventuell sogar von politischer Seite. Denn alleine die große Erwartungshaltung an mich und andere Jugendliche belastet stark – egal, wo sie herkommt. Gerade das Bildungssystem spielt dabei mit all seinen Anforderungen eine entscheidende Rolle.


Über den Autor/die Autorin:

MADS-Team

Unter diesem Namen sammeln wir Beiträge von Gastautorinnen und -autoren, Autorenkollektiven oder freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei MADS. Die Namen des jeweiligen Autors oder der jeweiligen Autorin stehen unter dem einzelnen Beitrag.

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