Seite auswählen

Werbung

Lehrerin aus MV klagt an: „Hier gehen Lebenswege kaputt, bevor sie richtig beginnen“

Lehrerin aus MV klagt an: „Hier gehen Lebenswege kaputt, bevor sie richtig beginnen“
Foto: epd

Sie möchte anonym bleiben: Eine Pädagogin einer Regionalen Schule findet es ungeheuerlich, wie die Politik die Schüler vernachlässigt. Sie zeigt an zwei Beispielen, wie die jungen Leute durch den Lockdown verlieren, wie sie leiden. Und stellt konkrete Forderungen. Ein Gastbeitrag.

Sie arbeitet an einer Regionalen Schule in Mecklenburg-Vorpommern und möchte anonym (Name der Redaktion bekannt) bleiben – eine Lehrerin beobachtet mit großer Sorge, wie Schüler unter den Corona-Maßnahmen im Schulbereich leiden und verlieren. Sie hat ihre Ängste und Forderungen an die Politik in einem Gastbeitrag formuliert:

Ich bin Klassenlehrerin einer 9. Klasse. In den vergangenen Wochen habe ich gemerkt, dass es den meisten Schülern schlecht geht. Nachts liege ich oft wach und überlege, wie ich ihnen mehr helfen und ihnen das Gefühl der Ohnmacht nehmen kann. Seit einem Jahr haben meine Schüler viele nicht nur technische Schwierigkeiten (Stichwort Internet) meistern müssen. Jedoch blieben sie bei manchen Herausforderungen machtlos. Schlimm wurde es im zweiten Lockdown. So musste ich zusehen, wie junge Seelen und kluge Köpfe hilflos dem versagenden Corona-Krisenmanagement ausgeliefert waren. Viele meiner Schüler brauchten im „normalen Schulalltag“ viel Wertschätzung, Aufmerksamkeit und Bestätigung, um ein positives Selbstbild zu haben. Durch die Pandemie-Einschränkungen haben sie einen Einbruch an Aufmerksamkeit und Fürsorge erlitten.

So habe ich eine Schülerin, die in der 8. Klasse zu uns kam. Sie war an einer anderen Schule Opfer von Mobbing geworden und erkrankte so sehr, dass sie klinisch behandelt werden musste. Sie konnte kaum lächeln oder jemandem vertrauen. Mit Zuwendung und vielen Gesprächen fanden wir einen Zugang zu ihr. Sie wandelte sich von einer traumatisierten zu einer fröhlichen, normalen Schülerin.Lesen Sie auch

Fehlende soziale Kontakte

Dann kam der zweite Lockdown und ihre Seele wurde von alten Ängsten geschüttelt. Der fehlende soziale Kontakt innerhalb des geschützten Raums Schule, zu Mitschülern und Lehrern rissen alte Narben wieder auf. Heute ist sie erneut in ihrer Depression gefangen und nimmt Tabletten. Sie ist zwar immer noch sehr fleißig und erfüllt ihre Aufgaben. Aber es fällt ihr zunehmend schwerer, den Tag zu bewältigen.

Der Höhepunkt meiner Sorgen um die Schüler wurde erreicht, als ich die Ergebnisse des Lernstandstests in Deutsch sah. Die Leistungen haben im Durchschnitt um 20 Prozent abgenommen. Das bedeutet: Verschlechterung um mindestens eine Schulnote. Da nicht alle meiner Schüler den Test durchgeführt haben, telefonierte ich mit den anderen. Ein Schüler antwortete mir erst nachts und beschrieb, wie sich sein Alltag im Lockdown gestaltet: Seine Aufgaben erledigt er mit dem Handy. Das Datenvolumen reicht aber nur für die Hälfte des Monats. Am Morgen macht er für seine Geschwister Frühstück und hilft ihnen bei ihren Schulaufgaben, kocht das Mittagessen, räumt auf und hat erst abends Zeit für Schulaufgaben. Die versteht er oft nicht. Hilfe gibt es kaum. Er schläft schlecht, weil er weiß, dass er die Schule so nicht schaffen wird.

Viele Schüler drohen zu scheitern

Es gibt noch mindestens neun weitere Schüler aus meiner Klasse, die einen guten Abschluss geschafft hätten. Jetzt glaube ich, dass sie die 9. Klasse nicht packen. Die Klassenstufen 7 bis 9 (und am Gymnasium die Klassenstufen 10 und 11) sind die größten Corona-Verlierer. Wir lassen sie zu Hause „aushungern“. Hier gehen Lebenswege kaputt, bevor sie richtig beginnen.

Es war eine falsche Entscheidung, einen Unterschied zwischen Grundschulkindern und den Abschlussjahrgängen auf der einen Seite und den „übrig gebliebenen“ Klassenstufen auf der anderen Seite zu machen. Und wir haben einem Teil von ihnen die Belastung zugemutet, die nicht einmal Erwachsene ertragen können. Da klingt es wie Hohn, wenn eine Kultusministerin predigt, wie stark die Corona-Jahrgänge doch sind und dass jeder Ausbilder stolz darauf sein könne, solch einen Azubi bei sich einzustellen.

Was muss jetzt getan werden?

Gebt jedem Schüler die technische Ausstattung, die er verdient! Stattet die Räume der Schulen mit Luftfiltern aus! Stattet sie überhaupt mit Räumen aus!

Gebt Kindern Zugang zu Psychologen, Kinderärzten, Jugendämtern, Sozialpädagogen, Drogenbeauftragten, Arbeitsagenturen; und es braucht mehr Personal! Sorgt dafür, dass jeder das Recht auf eine gute, nicht auf irgendeine Bildung hat!

Unsere MADS-Partner aus dieser Region:

Über den Autor/die Autorin:

Poste einen Kommentar:

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert