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„Körperlich und psychisch bin ich in ein Loch gefallen“: Pauline (18) ist an ME/CFS erkrankt

„Körperlich und psychisch bin ich in ein Loch gefallen“: Pauline (18) ist an ME/CFS erkrankt
Foto: privat

Kopfschmerzen, starke Erschöpfung, hohe Geräuschempfindlichkeit: Das kennen viele von einer Erkältung oder Grippe. Für Pauline aus Bayern sind diese Symptome alltäglich und viel ausgeprägter als bei einem normalen Infekt. Sie leidet unter der Krankheit Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom, kurz ME/CFS.


Pauline hat gute und schlechte Tage. An den guten kann sie mit ihren Schmerzen besser umgehen. „Dann kann ich ganz viel machen. Ganz viel heißt bei mir, dass ich vielleicht mal für 15 Minuten spazieren gehen kann, mit einem Rollstuhl als Absicherung.“ Sie ist an Myalgischer Enzephalomyelitis/Chronischem Fatigue-Syndrom, kurz ME/CFS, erkrankt. Betroffene haben dabei mit konstanter körperlicher Schwäche zu kämpfen, auch schwere Fatigue genannt. Diese verstärkt sich oft schon bei simplen körperlichen oder geistigen Aktivitäten. „Wenn ich beim Arzt war und mich das Unterwegssein stark angestrengt hat, merke ich das am nächsten Tag und habe stärkere Schmerzen“, sagt Pauline. „Dann kann ich mich eigentlich nur ins Bett legen und muss auf Besserung warten.“

Derzeit gibt es keine Behandlung gegen ME/CFS

In Deutschland leben laut der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS derzeit rund 250.000 Menschen, denen es so geht wie Pauline. Seit 1969 ist ME/CFS von der WHO als neurologische Krankheit anerkannt – trotzdem ist sie bisher kaum erforscht. Derzeit gibt es keine Heilung oder erfolgreiche Behandlung, nur einzelne Symptome lassen sich lindern. „Das war die erste große Enttäuschung nach der Diagnose.“ Pauline muss viermal am Tag Schmerzmittel nehmen.

Foto: privat

Angefangen hat alles im April 2021. Pauline fühlte sich krank und hatte starke Kopfschmerzen. Zunächst fiel der Verdacht auf eine Corona-Infektion, die Tests waren jedoch negativ. Sie dachte zuerst an nichts Schlimmes, vielleicht einfach nur eine schwere Erkältung. „Dann wurde ich aber einfach nicht mehr gesund, die Symptome wurden eher schlimmer, und es kamen immer mehr neue hinzu.“ Pauline fühlte sich konstant erschöpft, Reize wie Licht, Lautstärke und Hitze waren kaum auszuhalten.

Holpriger Weg zur Diagnose

Bis zur Diagnose ME/CFS dauerte es eine Weile. Die erste Vermutung auf die Krankheit kam im Juni auf, die offizielle Diagnose erhielt Pauline im Juli. Unter anderem liegt das daran, dass Personen in ihrem Alter für eine ME/CFS-Diagnose über einen Zeitraum von mindestens drei Monaten Symptome aufweisen müssen. „Ich hatte noch das Glück, eine Ärztin zu haben, die sehr schnell wusste, was ich habe.“ Davor musste Pauline viele Untersuchungen über sich ergehen lassen, sogar eine Hirnhautentzündung wurde ihr fehldiagnostiziert. Durch ein MRT wurde sie auch auf einen Hirntumor untersucht. „Der Weg zur Diagnose war holprig. Danach habe ich die Krankheit gegoogelt, dadurch wurde es nur noch schlimmer“, sagt Pauline. „Ich wusste gar nicht richtig, was mir eigentlich fehlt. Ich habe lange gebraucht zu verstehen, was ich da eigentlich habe.“

Seit Beginn der Symptome hat Pauline konstant starke Kopfschmerzen. Dazu kommen Erkältungssymptome wie Glieder-, Hals- und Ohrenschmerzen. „Ich habe oft das Gefühl, dass meine Augen schlechter werden. Es ist eine breite Vielfalt an Schmerzen, bei Belastung kommen Kreislaufprobleme dazu.“

Jeder Tag bringt Ungewissheit

An einen Schulalltag ist nicht zu denken. Pauline wollte dieses Jahr ihr Abitur machen, nach der Diagnose musste sie dieses Vorhaben und weitere Zukunftspläne jedoch erst mal auf Eis legen. Das zu akzeptieren ist ihr schwer gefallen. „Ich habe lange gebraucht, damit klarzukommen, nicht zu wissen, wie der nächste Tag aussehen wird. Oder auch nur die nächsten Stunden. Das ist ein Riesenproblem dieser Krankheit. Es hat gedauert, bis ich meinen neuen Alltag akzeptieren konnte.“

Vor der Krankheit hat Pauline viel Sport getrieben. „Ich habe sechsmal die Woche Tischtennis gespielt. Während des Lockdowns habe ich für einen Marathon trainiert, Hobbys verfolgt und bin mit meinem Hund spazieren gegangen. Belastung war für mich nie ein Problem, mit der Krankheit kam dann ein massiver Cut“, erzählt sie. Am Anfang konnte sie nur in einem abgedunkelten Zimmer liegen, schon Nachrichten auf dem Handy lesen war zu viel. „Körperlich und psychisch bin ich in ein Loch gefallen, es hat gedauert, bis sich das gebessert hat. Körperlich durch die Erschöpfung, psychisch durch den Abbruch des Abiturs.“

Pauline vor der Erkrankung. Foto: privat

Momentan bekommt sie dreimal pro Woche Hausunterricht. „Die Lehrer kommen für 90 Minuten vorbei, dann mache ich noch Hausaufgaben, mehr geht nicht. An Sport ist nicht zu denken.“ Nur ein paar Stabilisationsübungen mit Physiotherapeutin sind möglich – zwei Wochen vor der Erkrankung ist Pauline noch einen Halbmarathon gelaufen.

Was genau die Krankheit ausgelöst hat, konnten Ärztinnen und Ärzte nicht feststellten. ME/CFS kann eine Spätfolge von Covid-19-Infektionen sein, die Tests fielen jedoch negativ aus. „Da schwingt dann doch immer eine Unsicherheit mit.“ In dieser unsicheren Zeit hat es Pauline geholfen, ihre Situation zu akzeptieren. „Das habe ich mit der Hilfe meine Familie gut geschafft. Ich musste mir sagen: Okay, das ist jetzt so. Was sind Sachen, für die ich vor der Erkrankung keine Zeit hatte?“ Dabei muss sie aber immer aufpassen, ihre Grenzen nicht zu überschreiten. „Ich musste erst mal herausfinden, was meine Grenzen überhaupt sind. Meine Ärzte haben mir deutlich klargemacht, dass es gefährlich werden kann, wenn ich diese überschreite.“

ME/CFS: Pauline will Verständnis für Betroffene schaffen

Derzeit ist es Pauline wichtig, auf die Krankheit aufmerksam zu machen. „Ich muss das nach außen kommunizieren. Leute haben nicht verstanden, warum ich plötzlich nicht mehr in der Schule war.“ Vor allem Kommentare von außen haben Pauline zugesetzt. Sprüche wie „Trink doch mal ein Red Bull, hab dich doch nicht so“ musste sie sich oft anhören. Deshalb hat Pauline einen Youtube-Kanal erstellt, auf dem sie über die Krankheit und auch aktuelle Themen spricht. „Früher wollte ich Nachrichtensprecherin werden, deshalb nehme ich für dieses Vorhaben gerne die Erschöpfung inkauf.“

Aufgeben kommt für Pauline trotz allem nicht in Frage: Nächstes Jahr möchte sie versuchen, ihr Abitur nachzuholen.

Von Tim Klein



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