K.o.-Tropfen als Spritze: „Spiking“ nimmt in britischen Clubs zu
Vorfälle von „Spiking“ häufen sich neuerdings in Großbritannien. Dabei handelt es sich um K.o.-Tropfen, die Täter ihren Opfern mithilfe einer Spritze verabreichen. Erreicht dieser gefährliche Trend auch die deutschen Clubs?
Gewalttäter in Großbritannien und Irland haben seit Kurzem eine neue Masche. Statt K.o.-Tropfen in die Getränke von Club- und Barbesucherinnen zu mischen, injizieren die Täter ihren Opfern die Drogen direkt per Spritze. Nachdem sich die Fälle des sogenannten „Spikings“ immer weiter häuften, haben zahlreiche junge Frauen für mehr Sicherheit im Nachtleben demonstriert. Die Studierendenvertretung UCC Students‘ Union an der University College Cork in Irland verfasste zudem einen offenen Brief an die Pubs und Clubs in Cork. Sie fordert mehr Sicherheitspersonal und die gezielte Schulung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, um in Fällen von „Spiking“ richtig reagieren zu können.
„Spiking“ auch in Deutschland?
Wie hoch ist die Gefahr des „Spikings“ im deutschen Nachtleben? Das weiß Jenny-Kerstin Bauer. Sie arbeitet für den Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (BFF) und kümmert sich um die Öffentlichkeitsarbeit. Zuvor war sie Beraterin in einem Frauenhaus, hat viele Frauen und Mädchen kennengelernt, die Gewalt ausgesetzt waren. Im BFF sind rund 200 Frauennotrufe und -beratungsstellen zusammengeschlossen, alle Fälle von K.o.-Tropfen werden dort gemeldet. Ein Fall von „Spiking“ wie in britischen und irischen Clubs war bisher nicht dabei. Doch auch hierzulande sind Frauen längst nicht sicher vor Gewalt. Die ehemalige Beraterin erklärt, warum Männer zu Tätern werden und wie sich Frauen schützen können.
„Die Schuld liegt immer bei der gewaltausübenden Person“, stellt Bauer klar. Niemals sei das Opfer schuld daran, dass ihr Gewalt zugefügt wurde. Egal, ob sie ihr Getränk unbeaufsichtigt stehen gelassen habe oder nicht, betont die Expertin vom BFF. Fälle von K.o.-Tropfen kommen am häufigsten in Bars und Clubs, aber auch im Privaten zu Hause vor, sagt Bauer. „In den meisten Fällen kennen die Opfer den Täter.“ Zumindest flüchtig, durch Bekannte oder ähnliches. „Die Täter gehen gezielt vor“, sagt Bauer. Die K.o.-Tropfen an sich stellten schon eine Gewalttat dar, das Ziel der Täter sei jedoch die Vergewaltigung.
Das Schwierigste in Betäubungsfällen ist die Beweislage. Denn das Betäubungsmittel kann nur wenige Stunden nach Verabreichung im Blut und im Urin nachgewiesen werden. Über einen längeren Zeitraum ist es in den Haaren zu finden. Für solch eine Untersuchung brauche es allerdings schon ein Strafverfahren, sagt Bauer. Ein weiteres Problem: „Den Betroffenen fehlt ganz oft die Erinnerung, was passiert ist.“ Deshalb sei die Dunkelziffer in solchen Fällen sehr hoch.
Gewalt an Frauen und Mädchen ist kaum erforscht
Zahlen zu Fällen mit K.o.-Tropfen und allgemein zur Gewalt gegen Frauen und Mädchen gebe es kaum, sagt Bauer. „Die Forschungslage für Gewalt gegen Frauen ist relativ dünn.“ Sie kann nur vermuten, warum Männer zu Tätern werden, und sieht das Problem schon im Ursprung, in stereotypen Rollenbildern und der Erziehung. Bauer glaubt aber, dass Männer selber etwas dazu beitragen können, nicht zu Tätern zu werden: ihr eigenes Verhalten reflektieren, über Diskriminierung und Ursachen von Gewalt sprechen. Mache ich sexistische Witze? Setze ich mich aktiv für Gleichberechtigung ein? Höre ich Frauen zu? All das seien Fragen, die sich Männer stellen sollten, sagt die Expertin.
Was können Betroffene tun?
Betroffene brauchen vor allem eine Vertrauensperson, so Bauer. Sie rät dazu, immer wachsam zu sein: Sich mit Freundinnen absprechen, zusammen nach Hause fahren und auf Warnzeichen hören. „Wenn ein Mann sagt: ,Ach, sie ist so betrunken, ich bringe sie lieber nach Hause‘, sollte man sich fragen, ob die Betroffene überhaupt Alkohol getrunken hat und wie sie normalerweise drauf ist“, rät Bauer. Niemals das Getränk unbeaufsichtigt stehen zu lassen gehört auch zum Eigenschutz. „Wenn ich mich unwohl fühle, direkt mit meinen Freundinnen darüber sprechen.“ Bei Verdachtsfällen sei es zudem wichtig, immer dem Personal Bescheid zu geben oder die Polizei zu rufen. Für Außenstehende sei ein sensibler Umgang mit den Opfern besonders wichtig – ihnen also Glauben zu schenken.
Von Chantal Moll
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