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Jugendschutz: Freie Bahn für Netflix und Amazon?

Jugendschutz: Freie Bahn für Netflix und Amazon?
Foto:  Netflix

Das klassische Fernsehen wird umfassend reguliert, aber vor den Streaming-Diensten scheint der Jugendschutz zu kapitulieren.


Im klassischen Fernsehen gibt es klare Jugendschutzregeln: Sendungen mit einer Freigabe ab 16 Jahren dürfen erst nach 22 Uhr ausgestrahlt werden, Filme ab 18 nicht vor 23 Uhr. Die Jugendschutzgesetze haben sich bei den alten Medien bewährt.

Das ist heutzutage aber nur ein schwacher Trost, denn in der neuen Medienwelt sind diese Gesetze vollkommen untauglich. Und genau hier tummelt sich die Zielgruppe, die geschützt werden soll. Bei Netflix läuft seit 7. Dezember die neue deutsche Serie „Dogs of Berlin“. Sie enthält ungewöhnlich brutale Szenen, die bei einem Kinofilm zu einer Freigabe ab 16 Jahren geführt hätten. Netflix darf die Serie rund um die Uhr anbieten.

Die Streamingdienste dürfen Altersgrenzen selbst festlegen

Mit Streamingdiensten wie Netflix oder Prime Video von Amazon, sagt Joachim von Gottberg, werde der Jugendschutz „noch absurder, als er ohnehin schon ist“. Der Geschäftsführer der vor 25 Jahren gegründeten Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF, Berlin) warnt schon geraume Zeit davor, dass der Jugendschutz seine Glaubwürdigkeit verliere, wenn das eine Medium mit aller Konsequenz, das andere dagegen quasi gar nicht kontrolliert werde.

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Diese Dienste dürfen ihre Programme, sofern es nicht bereits bestehende Altersfreigaben gibt, selbst einstufen. Es ist vor allem diese Diskrepanz, die von Gottberg beklagt: Ein Medium wie das klassische Fernsehen, das für Jugendliche kaum noch eine Rolle spiele, „ist nach wie vor hoch reguliert. Der Bereich hingegen, in dem sie sich regelmäßig aufhalten, unterliegt nur der Selbsteinschätzung.“

Laut Jugendmedienschutz-Staatsvertrag dürfen Streamingdiensteähnlich wie TV-Sender Inhalte, die für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren nicht geeignet sind, erst ab 22 Uhr anbieten. Außer, sie machen die Wahrnehmung des Angebots „durch technische oder sonstige Mittel“ unmöglich oder erschweren sie wesentlich, wie es im Gesetz heißt.

Jugendschutz wird an die Eltern zurückgespielt

Prime Video, erläutert ein Amazon-Sprecher, biete Mitgliedern die Möglichkeit an, Beschränkungen für Videoinhalte mit der Prime-Video-Kindersicherung festzulegen. Prime Video verwendet die Einstufungen der FSK als Grundlage für die Kindersicherheitseinstellungen. Für Inhalte, die ab 18 Jahren eingestuft sind, „muss den gesetzlichen Regelungen folgend vorher eine Bestätigung der Volljährigkeit des Account-Inhabers erfolgen“.

Neben gültigen Zahlungsinformationen müssen Mitglieder dazu eine Bestätigung der Daten ihres Reise- oder Personalausweises hinterlegen. Von Gottberg verweist jedoch auf einen Test mit einem 15-Jährigen, der sich problemlos anmelden konnte. Aber selbst wenn alles mit rechten Dingen zugeht: Ist ein Zugang erst mal freigeschaltet, liegt es im Ermessen der Abonnenten, wie ernst sie ihre Aufgaben als Erziehungsberechtigte nehmen.

Netflix ist Selbstkontrollen-Verband beigetreten

Bei Netflix kann der Hauptnutzer Unterkonten anlegen, zum Beispiel für seine Kinder. Wenn er diesen Konten keine eigene Identifikationsnummer (PIN) zuweist, was laut von Gottberg nicht so einfach sei, könne sich jedes Kind anmelden und alle Angebote anschauen.

Ein Netflix-Sprecher sieht das selbstverständlich ganz anders. Jugendschutz, versichert er, „spielt für Netflix eine sehr wichtige Rolle“. Aus diesem Grund sei der Anbieter im Oktober der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Dienstanbieter (FSM) beigetreten, um gemeinsam hohe Jugendschutzstandards auf der Plattform sicherzustellen: „Gemeinsam mit der FSM hat Netflix daran gearbeitet, familienfreundliche Anpassungen für den deutschen Markt vorzunehmen.“

Forderung nach dem Gesetzgeber: Er soll den Jugendschutz im Netz durchsetzen

Die Kritik des FSF-Chefs gilt allerdings ohnehin weniger den Anbietern, sondern vor allem dem Gesetzgeber, der offenbar auf dem Standpunkt stehe: Man regele alles, was regelbar sei, und finde sich damit ab, dass entsprechende Bestimmungen im Netz nicht mehr durchzusetzen seien. Wünschenswert wäre daher „ein transparentes und plausibles System“, das sich auf die Inhalte und nicht mehr auf den Zugang beziehe.

Von Gottberg plädiert dafür, den Regulierungsgrad im Internet zu erhöhen: Kommerzielle Plattformen sollten verpflichtet werden, bestehende Freigaben der FSK (Kino, DVD) oder der FSF (TV) zu beachten. Für Inhalte, die dort bislang nicht vorgelegen hätten, sollten die Anbieter eine Altersfreigabe beantragen, sofern die entsprechenden Filme und Serien für Jugendliche womöglich nicht geeignet seien. Außerdem könnte der Gesetzgeber Standards für technische Zugangsbeschränkungen festlegen, die für alle Plattformen verbindlich wären.

Von Tilmann P. Gangloff


Über den Autor/die Autorin:

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