„Gerade jetzt müssen wir mehr auf Jugendliche hören“
Die Online-Befragung von Sozialpädagogik-Professor Wolfgang Schröer von der Universität Hildesheim soll zeigen, welche jungen Menschen besonders unter sozialer Distanz leiden. Er fordert, dass Jugendliche in der Corona-Debatte mehr beachtet werden. MADS-Autorin Jacky hat mit ihm gesprochen.
MADS: Hallo Herr Schröer, seit mehr als einer Woche läuft die Online-Umfrage von Ihnen und der Goethe-Universität Frankfurt. Was bestimmt, wie Jugendliche ihre persönliche Situation während Corona wahrnehmen?
Wolfgang Schröer: Das sind sicherlich vor allem ihre finanziellen Möglichkeiten. Nicht jeder junge Mensch kann sich einen Laptop und eine moderne technische Ausstattung leisten. Dann wird es schwieriger, sich digital zu bilden, zu arbeiten und sich online mit anderen Menschen zu treffen. Ein unterstützendes Umfeld ist aber gerade jetzt wichtig. Wir erwarten, dass junge Menschen die Lage als wesentlich belastender empfinden, wenn sie nicht wirklich in ein soziales Netz eingebunden sind. Wir haben vor der Umfrage mit vielen Jugendlichen gesprochen, den meisten ist der Kontakt zu Freunden und Gleichaltrigen besonders wichtig.
Gibt es schon ein Zwischenergebnis?
Nein. Wir wollen einen Zwischenstand machen, aber noch nicht jetzt. Es wäre nicht gut für den Fragebogen, wenn wir jetzt schon beginnen die Ergebnisse analysieren. Das könnte dann auch weitere Teilnehmer in ihren Antworten beeinflussen.
Was erwarten Sie, welche jungen Menschen trifft die Isolation am härtesten?
Das werden eben die mit geringen Einkommen und ohne unterstützendes Umfeld sein. Deshalb haben es besonders die Menschen gerade schwer, die allein oder in einem Heim leben. Aber auch für Jugendliche, deren Leben sich gerade stark verändert, ist die Situation nicht einfach. Wichtige Lebensentscheidungen, etwa wie es nach dem Abitur oder beruflich weitergeht, sind jetzt schwieriger. Viele kommen von einem Auslandsjahr wieder und erleben nun das Kontrastprogramm zu ihrer großen Freiheit. Auf Geflüchtete müssen wir jetzt übrigens besonders achten – oft haben sie beengte Lebensverhältnisse. Leider werden wir diese Menschen kaum erreichen. Ihnen fehlt oft die Technik und die kommunikativen Möglichkeiten. Diese Gruppen dürfen wir gerade deshalb nicht aus den Augen verlieren.
Wie viele Jugendliche haben schon teilgenommen und wie viele sollen es werden?
Mehr als 2000 Teilnehmer haben wir schon. Der Fragebogen läuft noch bis Mitte Mai, damit schnell auf die Wünsche und Sorgen der Jugendlichen reagiert werden kann. Bis dahin erhoffen wir uns etwa 5000 Teilnehmer – jeder zusätzliche Teilnehmer macht die Ergebnisse aussagekräftiger.
Was wollen Sie mit Ihrer Studie bewirken?
Wir wollen zeigen, wo Jugendliche besonders unterstützt werden müssen. Konkret bedeutet das, in welchem Bundesgebiet es welchen Jugendlichen schlecht geht und was ihre größten Anliegen sind. So wollen wir ihnen eine Stimme verleihen. Auch junge Menschen haben gute Ideen, wie man den Alltag nun gestalten kann. Nicht nur Erwachsene können jetzt bestimmen – die Krise betrifft uns schließlich alle. Deshalb sollte man gemeinsam mit jungen Menschen Perspektiven für die Corona-Zeit entwickeln.
Wie stellen Sie sich das genau vor?
Homeschooling darf zum Beispiel nicht allein von Lehrern entworfen werden, sondern sollte im Austausch mit Schülern gestaltet werden. Genauso wie die digitalen Semester an den Universitäten. Wir müssen jetzt stärker in Auseinandersetzung gehen, um unsere Abläufe gemeinsam neu zu gestalten. Dann wird die Zufriedenheit bei Erwachsenen und Jugendlichen auch höher. Außerdem können Jugendliche eher Impulse für das digitale Leben geben. Für sie gehört es viel mehr zum Alltag, deshalb haben sie auch viel mehr Ideen. Wir wollen sagen: Bitte hört auf diese Ideen.
Beschreiben Sie doch mal: Wie haben Sie die Jugendlichen in Ihren Gesprächen vor der Umfrage erlebt?
Wir erleben die jungen Menschen in dieser Situation als sich wenig beschwerend, sondern viel mehr als stark anpackend. Oft bringen sie sich sozial ein: Ich habe mit vielen jungen Menschen gesprochen, die für ihre Nachbarn einkaufen und sich engagieren. In der öffentlichen Meinung gibt es ja gerade oft ein Bashing gegen Jugendliche. Viele junge Menschen hielten sich nicht an Kontaktbeschränkungen, heißt es. Das kann ich gar nicht bestätigen. Auch darauf wollen wir mit der Studie aufmerksam machen.
Sie befragen Menschen bis 30 Jahre – das sind doch genau genommen keine Jugendlichen mehr?
Wir sagen in der Forschung, dass das Jugendalter bis in die dritte Lebensdekade gehört. Das junge Erwachsenenalter ist viel entscheidender geworden, um zu sehen, wo Menschen ihren Platz in der Gesellschaft finden. Das Jugendalter hat sich mit der Zeit ausgedehnt, viel mehr Menschen gehen später in Berufsausbildungen, das ist eine ganz andere Struktur als früher. Zum Beispiel ziehen junge Menschen in Deutschland im Durchschnitt erst mit 23 Jahren aus dem Elternhaus aus. Natürlich ist das sehr unterschiedlich – je nach sozialen Umständen. Menschen, die höhere Bildungsabschlüsse anstreben, ziehen in der Regel eher aus. Wegen solcher Umstände sind wir zu dem Schluss gekommen, dass das junge Erwachsenenalter in der Umfrage mitbetrachtet werden muss und haben Menschen bis 30 Jahre befragt.
Bestimmt die Altersgruppe auch, wie junge Menschen Ihre Situation gerade wahrnehmen?
Davon gehe ich aus. Wir haben eine ganz heterogene Gruppe. Ein junger Mensch, der mit 24 Jahren alleine in einer Studierendenstadt wohnt hat andere Herausforderungen als ein 16-Jähriger, der in der 10. Klasse geht. Die Altersgruppe kann sich also stark auf die Lebenssituation auswirken – das gilt auch in Corona. Wir analysieren unsere Teilnehmer deshalb nach ihrem Alter, aber auch nach ihrer Tätigkeit und ihrer Lebensumgebung. Haben Sie zum Beispiel ein eigenes Zimmer, leben in einer WG oder bei ihren Eltern?
Von Jacqueline Hadasch
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