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Frauen in Videospielen – nicht mehr nur Opfer und Deko?

Frauen in Videospielen – nicht mehr nur Opfer und Deko?
Foto: Jasmin Schreiber

In Videospielen waren lange Männer die Helden, Frauen nicht viel mehr als Dekoration, Beute oder Opfer. Doch das ändert sich gerade, erklärt die Journalistin Yasmina Banaszczuk. Ganz reibungslos läuft dieser Umschwung aber nicht ab. Im Interview erklärt sie warum.


Sie sind zwar vielleicht Prinzessinnen – sterben aber meistens schon recht früh und lösen dadurch Rachefeldzüge aus: Frauenfiguren in Videospielen. Immer mehr Gamer – nicht nur die Frauen unter ihnen – beklagen mittlerweile das veraltete Frauenbild in Spielen. Auch wenn sich mittlerweile einiges tut und Spielfiguren diverser werden, ist noch Luft nach oben. Die Journalistin Yasmina Banaszczuk erklärt im RND-Interview, wo es noch hakt und welchen Effekt der große Skandal um Gamergate hatte.

Frau Banaszczuk, im Film haben lange Zeit die Männer die Welt gerettet. Frauen dagegen wurden gerettet – oder durften höchstens als hübsches Beiwerk mitlaufen. Wie ist das bei Videospielen?

Video- und Computerspiele sind ja wie Filme oder Serien Teil der Popkultur. Deshalb war es dort auch lange Zeit ähnlich: Weibliche Charaktere waren oft nur „Fräuleins in Nöten“, die gerettet werden mussten. Das fängt ja schon bei „Super Mario“ an, wo sich die Spieler durch die Level kämpfen, um Prinzessin Peach zu retten. In vielen Spielen war es auch üblich, dass die Frau relativ früh zu Beginn des Spiels gestorben ist und das den Helden so wütend gemacht hat, dass er seinen Rachefeldzug beginnen konnte.

Welche Frauenklischees findet man in Spielen noch?

Die Medienwissenschaftlerin Anita Sarkeesian hat 2013 eine Reihe auf Youtube gestartet, in der sie die gängigsten Frauenstereotype analysierte. Dazu gehören zum Beispiel Frauen, die nur als Hintergrunddekoration oder als Belohnung für Spieler dienen. Doch genau diese Videos haben auch dazu beigetragen, dass sich daran inzwischen etwas geändert hat. Die feministische Medienkritik und andere Bewegungen wie Black Lives Matter haben sehr viele Diskussionen in der Spieleszene ausgelöst. Zuerst in den USA, aber da viele Spiele dort entstehen, ist das dann auch zu uns herübergeschwappt.

Was hat sich in den vergangenen fünf Jahren geändert?

Nehmen Sie zum Beispiel das Spiel „The Last of Us“, das vor sechs Jahren auf den Markt gekommen ist. Der Protagonist ist ein Mann, der zu Beginn des Spiels seine Tochter verliert. Zwanzig Jahre später soll er ein 14-jähriges Mädchen namens Ellie durch die postapokalyptische Welt schmuggeln. Man spielt also einen verbitterten, abgehärteten Helden, der schon alles gesehen hat. Das Mädchen existiert in der Geschichte nur, um sein Herz zu erweichen. Aber jetzt, im Nachfolger, wird Ellie der spielbare Hauptcharakter sein.

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Ein Einzelfall?

Nein, seit rund fünf Jahren sehen wir immer mehr solcher Beispiele. Im Spiel „Overwatch“ gibt es beispielsweise 31 spielbare Figuren – und die sind ganz divers: Männer und Frauen, Schwule und Lesben, verschiedene Nationen. Das wäre in einem derartigen Mainstreamtitel vor zehn Jahren noch nicht denkbar gewesen.

Glauben Sie, dass die Spieleindustrie wirklich langfristig diverser wird – oder sind das bloß einige Leuchtturmprojekte, mit denen sich die Studios schmücken wollen?

Das kommt sehr darauf an, wie sich die Spieleindustrie hinter den Kulissen weiterentwickeln wird. Die Menschen, die dort arbeiten, die die Spiele schreiben und designen, sind noch sehr männlich – und sehr weiß. Doch verschiedene Studios sind da unterschiedlich weit. Nintendozum Beispiel bringt 2020 einen weiteren Titel der erfolgreichen Reihe „Animal Crossing“ heraus. Dort kann man dann zum ersten Mal die Hautfarbe der Charaktere ändern. Was für viele Studios selbstverständlich ist, ist bei Nintendo also noch immer ein Novum.

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Es hängt also von den großen Studios ab?

Nein, unabhängig von den einzelnen Studios glaube ich schon, dass wir generell in Computer- und Videospielen vielfältigere Geschichten erleben werden. Genau wie wir es gewohnt sein werden, in einer vielfältigeren Gesellschaft zu leben. Das hängt ja direkt miteinander zusammen. Und wenn wir ehrlich sind: Die großen Motive in den Videospielen sind ja auch immer sehr ähnlich – die Welt retten, einen Rachezug aus Liebe oder Feindschaft beginnen. Aber die Charaktere, die diese Geschichten erleben, können ganz unterschiedlich sein. Da gibt es so viele unterschiedliche Möglichkeiten, Geschichten zu erzählen.

Viele Computer- und Videospiele sind in Fantasiewelten angesiedelt. Warum ist es denn wichtig, ob ich als Frau oder Mann gegen Zombies und Drachen kämpfe?

Bei einem Spiel steuert man – im Gegensatz zu Büchern oder Filmen – die Geschichte selbst. Das heißt, man erlebt sie auch viel näher. Deshalb ist Repräsentation in Spielen so wichtig. Wenn wir andere Sichtweisen erleben, erweitert sich unser orizont. Je mehr wir von ihnen erfahren, ihre Welt entdecken, desto besser können wir nachvollziehen, wie es anderen Menschen geht. Das ist besonders bei Jugendlichen und Kindern wichtig, aber auch für Erwachsene.

Welchen Effekt hat es, wenn man sich selbst in einem Videospiel wiedererkennt?

Für Frauen ist es zum Beispiel wichtig, zu sehen: Ich muss nicht immer das Opfer sein, ich kann auch die Person sein, die sich selbst rettet. Oder: Eine Heldin muss nicht blond und schön sein, sie kann – wie bei „Overwatch“ – auch eine 60-jährige, einäugige Mutter mit Scharfschützengewehr sein. So wird das Schubladen-Denken aufgebrochen. Das verändert die eigene Vorstellung davon, was man im Leben erreichen kann. Menschen, die in Spielen oder in Filmen immer repräsentiert sind, können sich oft nicht vorstellen, wie das ist, wenn man in der Popkultur nirgends vorkommt.

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Tragen die Gamer diese Entwicklung – hin zu mehr Diversität – alle mit? Als auf dem Cover von „Battlefield 5“ eine Frau zu sehen war, prasselte auf den Spieleentwickler EA-Games ein Sturm der Entrüstung ein.

Gamer – sowohl in Deutschland als auch in den USA – werden seit Jahren mit Vorurteilen konfrontiert. Videospielern wird zum Beispiel schnell die Schuld für Gewalttaten gegeben – wie auch zuletzt im Fall von El Paso und Dayton. Es gibt die Theorie, dass sich daraus eine Kultur im Negativen entwickelt hat.

Inwiefern negativ?

Es hat sich eine Gruppe von Gamern gebildet, die gesagt haben: „Politiker oder die Gesellschaft haben keine Ahnung von unserem Hobby“ – was oft wohl auch stimmt. In diesem Umfeld haben einige – oft junge Männer – für sich dann festgesteckt, wer ein richtiger Gamer ist und wer nicht. Wer dazugehört und wer nicht. Wenn dann plötzlich immer mehr Spiele mit Frauen auftauchen, kriegen diese jungen Männer den Eindruck: Ich, als echter Gamer, bin ja gar nicht mehr so relevant. Das sorgt für eine Verunsicherung, die im schlechtesten Fall in Hass umschlägt.

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So wie im Fall von Gamergate, der vor fünf Jahren für extremen Aufruhr sorgte. Dabei handelt es sich um eine Bewegung, die wie keine andere für den Frauenhass in der Szene steht. Können Sie erklären, was damals, im Sommer 2014, passiert ist?

Anita Sarkeesian und andere Feministinnen hatten damals schon damit begonnen, die Spieleindustrie mit ihrem Sexismus zu konfrontieren. Mitten in diesem Spannungsverhältnis verbreitete dann der Ex-Freund der Spieleentwicklerin Zoë Quinn Gerüchte über sie: Sie hätte mit Spielejournalisten geschlafen, um gute Bewertungen für ihr selbstentwickeltes Spiel zu bekommen.

War an diesen Gerüchten etwas Wahres dran?

Nein, und sie wurden auch schnell widerlegt. Aber eine Gruppe junger Männer nahm das zum Anlass, um Quinn und andere Entwicklerinnen und Journalistinnen anzugreifen. Monatelang wurden die Frauen und alle, die sie verteidigten, massiv belästigt. Es wurden Nacktfotos ins Netz gestellt, Sozialversicherungsnummern und Adressen verbreitet. Einige Männer tauchten sogar bei den Frauen zu Hause auf, fotografierten sie oder bedrohten ihre Eltern.

Wenn die Lügen schnell enttarnt waren, warum konnten die Anschuldigungen von Quinns Ex-Freund dann so eine furchtbare Dynamik entwickeln?

Das lag an der großen Verunsicherung mancher Gamer: „Bin ich hier noch richtig, haben meine Geschichten hier noch Platz?“ Man hat sich immer abgeschottet, sich gegenseitig immer beweisen müssen, dass man ja ein richtiger Gamer ist. Und dann bekommen sie von außen plötzlich feministische Kritik zu hören, die behauptet: „Was du gewohnt bist, deine Lieblingsspiele, die sind sexistisch.“ Da fällt es natürlich auf fruchtbaren Boden, wenn andere Gamer behaupten: Diese Frauen wollen euch eure ganzen Spiele madig machen. Die schlafen ja nur mit Spielejournalisten. Die holen sich Gefälligkeiten und betrügen das System.

Für wen der vermeintliche Skandal, der Gamergate, echt war, der sieht das wahrscheinlich anders.

Tatsächlich wurde im Nachhinein auch versucht, zu argumentieren, dass es bei Gamergate ja um Ethik im Spielejournalismus gegangen wäre. Aber das ist natürlich an den Haaren herbeigezogen.

Wie groß ist die Gamergate-Bewegung?

Es geht dabei nur um eine kleine Zahl von Personen. In Deutschlandkann man das wahrscheinlich an einer Hand abzählen, in den USAwaren es ein paar mehr. Aber diese Wenigen waren eben sehr laut, penetrant und aggressiv. Dazu kam, dass sie ihnen durch das Gaming bekannte Mechanismen übernommen haben. Sie haben das Ganze wie ein Spiel betrachtet, in dem sie immer wieder versucht haben, Schutzmechanismen der Betroffenen zu hintergehen. Die Frauen fertigzumachen. Das geht ja nur, wenn man vergisst, dass dahinter echte Menschen sind, deren Leben davon beschädigt werden. Nur durch diese Disassoziation kann man so rücksichtslos sein.

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Ist die Gamergate-Bewegung heute noch aktiv?

Teilweise schon. Als ich dieses Jahr einen Artikel veröffentlicht habe, in dem es auch um Gamergate ging, haben sich einige Männer dann prompt – und immer wieder – bei meinem Redakteur gemeldet. Zudem hat Zoë Quinn in ihrem Buch aufgezeigt, wie eng Gamergate und die neuen rechten Bewegungen miteinander verknüpft sind. Vieles von dem, was wir heute bei der Vereinnahmung des Gamings durch Rechte sehen, hat sie dort schon vorausgesehen. So erschienen zum Beispiel viele mit Gamergate sympathisierende Artikel auf der rechten Seite „Breitbart“.

War Gamergate auch ein Weckruf für die Industrie? Ist nicht vielleicht die Tatsache, dass wir heute viel mehr Diversität in Spielen erleben, eine Folge davon?

Nein, der Auslöser für mehr Diversität war die feministische Medienkritik. Gamergate hat im Gegenteil dazu geführt, dass sich die Studios bei dem Thema eher zurückgehalten haben, um keinen Shitstorm zu riskieren. Sie wollten sich nicht dem Vorwurf aussetzen, sie würden sich nur um eine Gruppe kümmern. Außerdem hat Gamergate dazu geführt, dass viele Journalistinnen und Spieleentwicklerinnen die Szene verlassen haben, weil sie den Hass nicht mehr ertragen haben. Das heißt, Gamergate war kein Weckruf, sondern vor allem schädlich. Umso bemerkenswerter finde ich es daher, dass die Diversität trotzdem nicht aufzuhalten ist und ihren Weg in die Spiele findet. Es zeigt den Leuten, die Gamergate vorangetrieben haben, dass sie an ihrem ultimativen Ziel gescheitert sind.

Ein wichtiger Teil der Gaming-Kultur sind Streams und Let’s Plays. Auch hier findet man vor allem Männer, woran liegt das?

Viele Kanäle sind ja deshalb so erfolgreich, weil da Freunde zusammen spielen. Die ersten berühmten Youtuber waren Männer, die dann mit anderen Männern zusammen gespielt haben. Daraus entwickelten sich Fangruppen, die sich gegenseitig hochgezogen haben.

Gibt es auch hier eine Entwicklung?

Ja, auch das bricht derzeit auf. In Deutschland ist dieser Prozess etwas langsamer als in anderen Ländern. Das liegt aber vor allem daran, dass hier die nötige Infrastruktur, sprich Breitbandinternet, nicht überall vorhanden ist. Ich finde aber auch, dass die Medien und Plattformen in die Pflicht genommen werden müssen. Sie müssen nicht nur die großen, sondern auch kleine Streamer fördern und promoten.

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Von Anna Schughart/RND


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