Diskriminierung von beiden Seiten: Eine Bisexuelle berichtet
Sie sei unentschlossen, befinde sich noch in der Orientierungsphase oder suche einfach einen Dreier: MADS-Autorin Chantal ist bisexuell und muss sich immer wieder diskriminierende Kommentare anhören. Ein Rant.
„Entweder bist du homo oder hetero, so etwas wie Bisexualität gibt es nicht. Das weißt du doch, oder?“ Das sagte mir nicht etwa ein queerfeindlicher Onkel auf der Familienfeier, sondern eine Lesbe – nachdem sie mich zwei Sekunden zuvor noch leidenschaftlich küsste. Sie war neun Jahre älter und um einiges erfahrener mit Frauen, als ich es zu dem Zeitpunkt war. Die Aussage erschütterte mich in meiner sexuellen Orientierung, der ich mir bis dato ziemlich sicher war. Doch ich konnte mich schnell wieder fangen. Es blieb leider längst nicht der einzige Kommentar, den ich mir zu meiner Bisexualität anhören musste.
Auch eine meiner besten Freundinnen hält mir immer wieder vor, dass sie meine Bisexualität nicht ernst nehmen könne, weil ich mehr Männer als Frauen in meinem Leben hatte. Oft erwischte ich mich dabei, wie ich mir die Frage stellte, ob ich nun mit extra vielen Frauen ins Bett gehen müsse, um mein „Saldo“ auszugleichen. Doch: In der sexuellen Orientierung dreht sich gar nicht alles um Sex. Für mich geht es dabei um meine Identität, darum, meine Gefühle mithilfe von Sprache nach außen tragen zu können, und um Sichtbarkeit. Wenn ein Mann erzählt, dass er heterosexuell ist und noch nie mit einer Frau geschlafen hat, dann wird seine sexuelle Orientierung ja nicht angezweifelt.
Homo oder hetero? Ich bin bisexuell, ich liebe Männer, Frauen, trans* und nonbinäre Menschen. Und nein, ich will nicht nach einem Dreier gefragt werden. Ich bin auch nicht unentschlossen, weil ich mich nicht auf eins der Geschlechter festlegen will und ich befinde mich auch nicht in der „Orientierungsphase“. Ich habe recht früh meine sexuelle Orientierung entdeckt, direkt offen kommuniziert und bin dankbar dafür, dass ich sie ausleben kann.
Bisexuelle sind kaum sichtbar
Meiner Erfahrung nach ist Bisexualität eine eher unsichtbare Orientierung. Sieht man zwei sich küssende Frauen auf der Straße – lesbisch. Es betrifft aber nicht nur die Bisexuellen, sondern auch viele andere queere Identitäten. So erzählte mir eine trans* Frau, sie bekomme Sprüche wie „Hast du dich wieder um entschieden?“, wenn sie eine Hose statt eines Rocks trage. Ich dagegen, als cis Frau und auch so gelesen, sehe mich nicht gezwungen, meine Weiblichkeit zu verteidigen, wenn ich Jeans trage.
Queerfeindliche verbale und non-verbale Gewalt ist leider noch immer präsent. Wirklich verrückt finde ich aber, dass ich mich auch vor queeren Menschen unter Beweis stellen muss, weil mein Verhalten in ihren Augen „nicht queer genug“ sein könnte. Dabei möchte ich doch nur das, was alle queeren Menschen wollen und was heterosexuellen cis Menschen automatisch vergönnt ist: in der eigenen Sexualität und Identität ernst genommen werden.
Von Chantal Moll
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