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Diese ersten Male haben uns verändert

Diese ersten Male haben uns verändert
Foto:  Stefan Hoch

Angst, Scham, Schock – etwas zum ersten Mal zu erleben kann ganz schön aufregend sein. Acht MADS-Autoren erzählen von prägenden Momenten.


Das erste Mal: Jemanden verlieren

Als Hendrik* starb, fühlte ich nichts. Die verweinten Gesichter meiner Eltern froren vor meinen Augen ein. Nichts von dem, was sie sagten, kam durch die Watteschicht, die meinen Kopf zu umhüllen schien. „Das kann nicht sein. Das passt überhaupt nicht zu ihm“, dachte ich und wartete, dass irgendjemand diesen kruden Scherz auflösen würde. Doch das tat niemand. 

Hendrik war schon immer ein Teil meines Lebens, unsere Eltern beste Freunde, wir wie Geschwister. Wir gingen zusammen zur Krabbelgruppe, zur Fahrschule und später dann zum Tanzkurs. Dass er vor wenigen Stunden bei einem Autounfall gestorben sein sollte, passte nicht zu der fröhlichen Sorglosigkeit, mit der wir vor wenigen Monaten unser Abi gefeiert hatten. Wir waren jung, gerade 18 Jahre alt, was sollte schon passieren? 

Wenn seine Eltern zum Kartenspielen vorbeikamen, machten wir Pizza. Unsere Familien fuhren gemeinsam in den Urlaub. Wenn wir bei Reitturnieren zwischen den Prüfungen Zeit hatten, setzten wir uns ins Gras und redeten. Hendrik war immer da. Und das war so selbstverständlich, dass wir ihm noch beim Beerdigungskaffee unwillkürlich einen Platz an unserem Tisch freihielten. Auch wenn die Beerdigung und die Gespräche mit meiner Familie halfen, blieb es unglaublich hart, zu akzeptieren, dass das nie mehr so sein würde. Als sich die Watteschicht langsam löste, machte sich lange eine alles einnehmende Traurigkeit breit. Manchmal wurde ich auch wütend. Er hatte nichts falsch gemacht auf der Autobahn, er hatte einfach Pech. Was ihm passierte, war nicht fair. Aber das war egal. Denn es änderte nichts daran, dass es nun sinnlos war, ihm einen Platz freizuhalten.*Name geändert.

Von MADS

Der erste One-Night-Stand

Fremdes Bett, fremde Tapete, fremde Bettwäsche: Ich will nach Hause, denke ich, als ich morgens aufwache. Es war spät und ich betrunken, als ich ihn in einer Bar kennenlernte. Braune Haare, Drei-Tage-Bart, gemustertes Shirt. Wir fühlten uns zueinander hingezogen, gingen zu ihm nach Hause – intensive Gespräche führten wir nicht, was auch an meinen mageren Dänisch-Kenntnissen lag. Der Sex? Leider langweilig und unpersönlich. Am Morgen erinnerte ich mich weder an seinen Namen, noch wusste ich, wo wir waren.

One-Night-Stands sind geheimnisvoll und aufregend? Nicht immer. Foto: picture alliance

Hektisch suchte ich meine Klamotten zusammen und verabschiedete mich. Bloß keinen langen Blickkontakt. Beim Rausgehen sah ich einen Typen in der Küche stehen. Mit kurzem Nicken ging ich zielstrebig zur Tür – und landete im Badezimmer. Peinlich! Er wies mir den Weg, ich bedankte mich und verschwand. Nach einer gefühlten Ewigkeit fand ich mein Fahrrad. Auf dem gesamten Heimweg fühlte ich mich eigenartig. Was ich mir vorher als das pure Abenteuer vorgestellt hatte, hatte nun doch seinen Reiz verloren.

Von aro

Das erste Mal: Schluss machen

Nicht weinen! Krampfhaft versuchte ich, meine Tränen wegzuzwinkern – vergeblich. Mitten auf dem Feldweg hinter dem Haus meiner Eltern brach ich in Tränen aus. Mein Freund und ich waren fünf Jahre zusammen – quasi unsere ganze Jugend. Die letzten drei Jahre fuhr ich jedes Wochenende zwei Stunden in meinen Heimatort, um ihn zu sehen. Dabei war ich in Gedanken mehr bei der WG-Party, die ich verpasste, als bei ihm. Obwohl uns irgendwann beiden dämmerte, dass es nicht mehr klappte, konnte ich die Worte  einfach nicht aussprechen. Ich wollte ihn nicht verletzen. Schließlich nahm mein Freund es mir mit zitternder Stimme ab: „Ich kann nicht erklären, warum da nichts mehr ist.“ Das tat weh, aber es war auch erleichternd. Denn nicht die Trennung an sich machte mir Angst – sondern meinem Leben eine neue Richtung zu geben, meine Komfortzone zu verlassen. Als mir das klar wurde, wackelten meine Beine zurück zum Haus meiner Eltern nicht mehr ganz so sehr. Hier wusste ich die Richtung – und alles Weitere würde sich ergeben.

Von MADS

Das erste Mal: Etwas Verbotenes tun

Der grimmige Gesichtsausdruck meines Vaters auf der Polizeiwache zeigte mir unmissverständlich: Das! Gibt! Ärger! Dabei begann alles als Spaß: Ich war nachts mit zwei Freunden unterwegs. Als wir an einem Supermarkt vorbeikamen, fingen sie an, Böller in die Blumentöpfe zu werfen. Mir war klar, dass das eine dumme Idee war – erst recht mitten in einer Ortschaft. Trotzdem machte ich mit. 

Abgeführt: Tims erste Nacht auf der Polizeiwache war ihm eine Lehre. Foto: dpa

Irgendwann wurde mir unwohl und ich schlug vor, über Schleichwege zu gehen. Aber meine Versuche, die Situation zu entschärfen, waren vergeblich. Wir nahmen den schnellsten Weg. Nach ungefähr einer Minute bog ein Polizeiauto mit Blaulicht um die Ecke. Die Polizisten hatten die Knallerei mitbekommen. Mit den Böllern in der Tasche konnten wir uns schlecht rausreden. Wie viele Vorträge über Anstand und Moral ich mir zu Hause anhören musste, weiß ich nicht mehr. Trotzdem bereue ich meinen ersten Konflikt mit dem Gesetz nicht, denn ich habe am eigenen Leib erfahren, dass man für seine Taten Konsequenzen tragen muss. 

Von Tim Klein

Das erste Mal: Kiffen

Vorsichtig halte ich den Joint in der Hand. Es riecht süßlich, und als ich das erste Mal einen Zug nehme, strömt heiße Luft in meine Lungen. Der süßliche Geschmack breitet sich auch in meinem Mund aus. Nicht so schwer wie gedacht. Doch beim Ausatmen habe ich das Gefühl, plötzlich husten zu müssen. Verkrampft versuche ich, den Reiz zu unterdrücken – Hauptsache, nicht blamieren! Heimlich gucke ich mich um, ob jemand etwas gemerkt hat, doch alle scheinen sehr mit sich selbst beschäftigt zu sein. Ich habe bisher weder gekifft oder geraucht. Damit gehöre ich in meinem Freundeskreis in Amsterdam eindeutig zur Minderheit. Marihuana ist hier – anders als in Deutschland – legal. Deswegen gehört es genauso selbstverständlich zu Partys wie in Deutschland Alkohol. Ich fühle mich allerdings sehr viel stolzer als nach meinem ersten Bier – und auch schuldiger, als hätte ich etwas Verbotenes getan. Gemerkt habe ich von der Droge wenig. Mehr als eine angenehme Leichtigkeit über den Abend hinweg habe ich nicht gespürt. 

Von Emma Schell

Das erste Mal: Die Gastfamilie wechseln

„Heute zeigt dir dein Gastvater, wie man die Tür leise zumacht, wenn man nachts auf Toilette geht.“ Schade. Ich hatte gehofft, der zweite Tag in meiner neuseeländischen Gastfamilie würde mit einem netteren „Guten Morgen“ starten. Schon am ersten Tag hatte mir das ältere Paar, bei dem ich lebte, ein Einführungsseminar für die Hausregeln gegeben.

Wenn die erste große Reise zum Albtraum wird: Konstantin wechselte seine Gastfamilie. Foto: Unsplash

Mit Belehrungen ging es auch weiter: Dass zwei Gläser Milch zum Frühstück mindestens eins zu viel seien, hielten sie mir vor – und dass ich das privilegierte Leben in meiner Gastfamilie nicht zu schätzen wisse. Das machte mich sauer, bald nagten Selbstzweifel an mir. Es lief nämlich gar nicht nur blöd: Regelmäßig tauschten wir uns über unseren Tag aus und lachten auch gelegentlich miteinander. Als ich mich endlich traute, mit meinen Gasteltern über meine Pro­bleme zu sprechen, stempelten sie meine Unsicherheit als psychische Macke ab – damit stand der Familienwechsel für mich fest. Noch nie hatte ich Menschen so verabscheut wie nach diesen sechs Wochen. 

Von Konstantin Klenke

Das erste Mal: Alleine Autofahren

Schon beim Öffnen der Fahrertür pochte mein Herz schneller. Ich hatte Angst. Angst, eine Situation falsch einzuschätzen oder hinterm Steuer meines Skodas einen Fehler zu machen: den Motor abzuwürgen, eine Vorfahrtsregel zu missachten oder nicht schnell genug zu reagieren. Alles schon vorgekommen. Meine praktische Prüfung musste ich wiederholen. 

Doch trotz aller Anspannung freute ich mich auf meine erste Solotour – und über das Gefühl der Unabhängigkeit, des Erwachsenseins. An einem sonnigen Nachmittag im Mai fuhr ich durch Dörfer zu einem Fußballspiel. Das Beste: Ich konnte Musik hören, ohne dass meine Eltern die Lautstärke runterdrehen. Mir passierte kein einziger Fehler. Als Letzte in meinem Freundeskreis durfte ich endlich auch alleine los. In den ersten Tagen mit Führerschein wollte ich aus Reflex noch meine Eltern um Fahrservice bitten. Es heißt, mit der Zeit gewöhnt man sich ans Autofahren. Aber auch nach Monaten gibt es Tage, an denen ich mich ans Steuer setze und mich so auf das Fahren freue wie beim ersten Mal. 

Von Louisa Vietmeyer

Das erste Mal: Zum Bewerbungsgespräch

​Ich sitze in der Bahn und spüre blanke Angst. Meine Hände zittern, Hunderte Male spule ich ab, was ich sagen will. Hoffentlich stellen sie die richtigen Fragen, hoffentlich werde ich nicht rot, hoffentlich erzähle ich keinen Mist. Ich bin auf dem Weg zu meinem ersten Bewerbungsgespräch – für ein duales Studium bei einer Bank. Mit wackligen Knien passiere ich die Drehtür und nehme den Fahrstuhl in den zwölften Stock. Dass im Zug Latte macchiato auf meine schwarze Hose gelaufen war, hatte ich nicht einmal bemerkt. Vielleicht besser so.

Als ich den Raum betrete, kommt der Schock: Ich werde herzlich begrüßt. Keine Spur der Verhör-Atmosphäre, von der ich so oft geträumt hatte. Auch die zwei Mitarbeiter mir gegenüber wollen von ihrer Bank überzeugen. Klar bin ich auf manche Fragen nicht vorbereitet: Warum ich nach drei Jahren in der Matheklasse doch ein Sprachenabitur gemacht habe. Oder was ich jemandem sagen würde, der bei mir ein Konto eröffnet. Aber meine Nervosität ist weg, ich kann alles beantworten – und gehe zufrieden aus dem Gespräch. 

Von Jacqueline Hadasch


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