Die Referendarin: Wenn man Schülerinnen und Schüler einfach nicht mag
Helena (25) ist eine von rund 30.000 Lehramtsanwärtern in Deutschland. Was passiert eigentlich hinter der sagenumwobenen Lehrerzimmertür? Wie ist es, Schülerinnen und Schüler zu unterrichten, die nur ein paar Jahre jünger sind als man selbst? Und wie kommt Helena mit dem Druck klar? Davon erzählt sie – unter Pseudonym – in ihrer MADS-Kolumne: die Referendarin.
Siebte Stunde, Bücherei-AG. Vier kleine Schülerinnen aus der fünften und sechsten Klasse sitzen mir im neuen Schuljahr gegenüber. „Stellt euch bitte mit eurem Namen, Hobbys und eurem Lieblingsbuch vor“, beginne ich und nicke dem blonden Mädchen neben mir im Stuhlkreis freundlich zu. „Ich bin Annabell, und mich kennt jeder an dieser Schule, weil ich letztes Jahr den ,Jugend forscht’-Wettbewerb gewonnen habe“, erklärt sie selbstbewusst. Kurz entgleisen meine Gesichtszüge, das Lächeln verrutscht. Dass man als Lehrkraft Schülerinnen oder Schüler nicht mag, ist ein Tabuthema – vor allem außerhalb des Lehrerzimmers. Ja, es sind noch Kinder. Ja, man weiß nie, was hinter ihrem Verhalten steckt.
Sympathien gibt es überall
Aber ich kann mich nicht gegen die Welle von Antipathie wehren, die Annabell auslöst, als sie zehn Minuten mit ihren schulischen Erfolgen prahlt und danach die gesamte Handlung ihres Lieblingsbuches wiedergibt. Mich nerven Angeber und Besserwisser. Stattdessen habe ich ein Herz für Kinder aus finanziell schwachen Familien, die trotz ihres Könnens verunsichert sind und ermutigt werden müssen. Manche Kolleginnen und Kollegen mögen freche Schülerinnen oder Schüler nicht, andere lieben sie. Interessanterweise gibt es selten Kinder, die jede Lehrkraft hasst oder liebt – zum Glück.
Jeder Mensch hat gewisse Sympathien. Niemand geht durch das Leben, ohne jemandem zu begegnen, den er oder sie nicht mag: in der Freizeit, auf Reisen oder eben am Arbeitsplatz. Auch Lehrkräfte können sich dem Spiel nicht entziehen. Zwar habe ich keine konkreten Lieblingsschülerinnen oder -schüler, aber definitiv einige, die ich in ihrer aktuellen Entwicklungsphase unsympathisch finde. Das kann ich nicht ändern. Viel wichtiger ist es zu wissen, dass ich diese Schwächen habe. So weiß ich, dass ich mich bei manchen Schülerinnen oder Schülern besonders anstrengen muss, um auch wirklich freundlich und neutral zu bleiben. Denn das gehört selbstverständlich dazu. Auch wenn mein Lächeln dann wie angeklebt wirkt. Wie bei Annabell.
Von Helena Fischer
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