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Die Psychologie hinter Tiktok: Was macht den Erfolg der App aus?

Die Psychologie hinter Tiktok: Was macht den Erfolg der App aus?
Foto: Kiichiro Sato/AP/dpa

Vom Katzenvideo zum veganen Rezept bis zur viralen Challenge: Im sozialen Netzwerk Tiktok verspricht jedes Video neue, hoffentlich spannende Inhalte. Welche psychologischen Tricks wendet die immer größer werdende Plattform an, um Nutzerinnen und Nutzer in den Bann zu ziehen? MADS hat bei einer Expertin nachgefragt.


Die Videoplattform Tiktok hat seit ihrer Gründung 2016 (damals noch als musical.ly) einen rasanten Aufstieg erlebt. Mehr als eine Milliarde Nutzerinnen und Nutzer vermeldete das soziale Netzwerk des chinesischen Unternehmens ByteDance vor einigen Monaten. Vor allem bei Kindern und Jugendlichen ist die App beliebt, sie scrollen oftmals stundenlang durch die Kurzvideos.

Wieso viele Nutzerinnen und Nutzer so viel Zeit in die App investieren, weiß Jana Wagner, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni Hohenheim im Fachgebiet Medienpsychologie forscht. „Ganz offensichtliche Motive sind der Zeitvertreib und der Unterhaltungsfaktor, die von der kreativen Community Tiktoks bedient werden“, sagt sie. Außerdem helfe die App, um aus dem Alltag und vor Problemen zu flüchten – in der Psychologie wird dieses Phänomen Eskapismus genannt.

Psychologische Prozesse und Effekte während der Nutzung

Die neuen, aufregenden Informationen, die Tiktok in jedem Video bereithält, werden vom Gehirn als Belohnung angesehen. Dies wiederum schüttet Dopamin aus, das „Glückshormon“. Deswegen ist Tiktok auch ein gutes Mittel zum Prokrastinieren: Das Gehirn kann sich viel leichter einen Glücksschub holen, als wenn man erst eine mühsame Aufgabe bewältigen muss.

Jana Wagner (24) forscht als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni Hohenheim im Fachgebiet Medienpsychologie. Foto: privat

Für Nutzerinnen und Nutzer, die selbst Videos posten, kommt der Effekt der positiven Bestärkung dazu, nach der sich der Mensch auch im realen Leben sehnt. Tiktok verzichtet bewusst auf einen Dislike-Button und versucht, damit Negativität aus der App zu nehmen. Trotzdem bleibt die Möglichkeit, negatives Feedback und Hate durch Kommentare zu erhalten.

Das Erfolgsgeheimnis von Tiktok

„Tiktok hat eine Marktlücke gefüllt, nämlich das Video als zentrales Format“, sagt Wagner. „Die App ist nicht wie zum Beispiel Instagram personenzentriert, sondern contentgetrieben. Das heißt, der Algorithmus schaut genau, was uns gefällt und zeigt uns dabei auch ältere Videos an.“ Nutzerinnen und Nutzer wissen nie, welches Video als Nächstes kommt – auch das begünstigt das stundenlange Herumlungern in der App.

@jordyntereu How many of these trends do you know?! ❤️‍🔥 #fyp #dance #2022 ♬ original sound – Jean-Victor

Entscheidend sei laut Wagner der endlose Feed, den Tiktok bereitstellt. Es gibt auch auf Instagram die Möglichkeit, sich immer weiter Bilder anzuschauen, nachdem wir unseren Feed durch haben. Aber die Unterbrechung „Du hast alle neuen Beiträge der letzten x Tage gesehen“ holt uns aus dem Flow-Erlebnis wieder heraus. Ein weiterer Nebeneffekt dieses Flows ist ein fehlendes Zeitempfinden sowie ein fälschliches Gefühl von Kontrolle über die Situation. Lange Zeit konnte man auch die Uhrzeit nicht sehen, während man auf Tiktok aktiv war, das hat sich mittlerweile aber geändert. 

Ein weiterer Vorteil von Tiktok: Die App vermeidet den Choice-Overload-Effekt. Der besagt, dass eine zu große Auswahl den Konsumierenden überfordert. Genau dort greift Tiktok ein und bietet den angepassten Feed an, bei dem keinerlei Entscheidungen getroffen werden muss – anders als etwa bei Youtube und Instagram. Laut Wagner gebe es bisher noch keine Forschungen zu diesem Thema, doch sie könne sich sehr gut vorstellen, dass dieser Effekt auch eine Rolle für den Erfolg von Tiktok spiele.

@nellasauce

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♬ original sound – Noah

Schnelle Sucht

All diese Vorgänge begünstigen die Entstehung einer Sucht. Was lässt sich tun, um gar nicht erst in die psychologischen Fallen zu tappen und süchtig zu werden? „Offiziell ist die Social-Media-Sucht gar nicht anerkannt“, sagt Wagner. „Trotzdem zeigen viele Studien, dass etwa ein Prozent der Gesamtbevölkerung und 2,5 Prozent der Zwölf- bis 17-Jährigen internetsüchtig sind. Diese Sucht kann man jedoch nicht selbst bekämpfen.“ Betroffene sollten sich also professionelle Hilfe suchen. Wagner betont aber auch, dass eine hohe Nutzungszeit allein nicht zwangsläufig ein Zeichen für eine Sucht sei.

2,5 Prozent der Zwölf- bis 17-Jährigen sind internetsüchtig.
Foto: Unsplash

Mehr über Tiktok-Konsum nachdenken

Trotz dieser Gefahren werden vermutlich viele Menschen weiterhin Tiktok nutzen – was per se auch nichts Schlechtes sein muss. „Entscheidend ist es, das eigene Nutzungsverhalten zu reflektieren und zu verstehen“, sagt die Expertin. „Für manche ist der scheinbar perfekte Lebensstil gewisser Tiktok-Creator motivierend, für andere verursacht er Selbstzweifel.“

Ein stabiles soziales Umfeld, andere Interessen abseits von Social Media und eine gute Medienkompetenz könnten laut Wagner vor schädlichem Nutzungsverhalten schützen. Auch „Digital-Detox“, also der Entzug von jeglichen digitalen Medien, oder ein Blick auf die Bildschirmzeiten können schon dabei helfen, den Konsum zu rationieren.

„Entscheidend ist es, das eigene Nutzungsverhalten zu reflektieren und zu verstehen“
Foto: Unsplash/ Florian Schmetz

Wagner empfiehlt zudem, sich immer wieder das Prinzip von Angebot und Nachfrage vor Augen zu halten – etwa beim Thema Schönheitsideale oder bei der Übersexualisierung junger Mädchen. Ein junges Mädchen posiere nur lasziv in anzüglicher Kleidung, solange sie ein Publikum dafür habe. Demnach solle man bei Tiktok nur den Leuten Beachtung schenken, die man wirklich unterstützen möchte. Der Algorithmus sei schließlich schlau genug, um sich schnell den neuen Interessen und Wünschen anzupassen.

Von Tara Yakar


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Über den Autor/die Autorin:

MADS-Team

Unter diesem Namen sammeln wir Beiträge von Gastautorinnen und -autoren, Autorenkollektiven oder freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei MADS. Die Namen des jeweiligen Autors oder der jeweiligen Autorin stehen unter dem einzelnen Beitrag.

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