„Die meiste Zeit sitze ich allein zu Hause“: Charlotte berichtet von der Einsamkeit im Studium
Nach einigen Corona-Semestern ist der normale Studienalltag wieder eingekehrt. Doch viele Studierende kämpfen weiterhin mit den Auswirkungen der Pandemie, fühlen sich verloren und suchen nach Anschluss. Wie beeinflusst Einsamkeit das Leben junger Menschen?
Nächte durchfeiern, das erste Mal unabhängig sein, neue Freunde finden – für viele Studierende ist das die Traumvorstellung des Uni-Lebens. Nach zahlreichen Lockdowns und etlichen Beschränkungen ist der Drang junger Menschen groß, endlich das Leben führen zu können, das ihnen in den vergangenen Jahre verwehrt blieb. Das war auch der Wunsch von Charlotte (Name von der Redaktion geändert). Für ihr Studium zog sie 2020 aus dem Rheinland nach Hannover und startete unter Pandemiebedingungen an der Uni. „Ich habe damit gerechnet, dass es anfangs schwer werden könnte“, sagt die 23-Jährige. „Aber dass ich mich so zurückziehe, hätte ich nicht gedacht. Ich bin sonst ein sehr offener Mensch, weshalb ich diese zurückgezogene Seite von mir gar nicht kannte.“
Corona-Pandemie hat Spuren hinterlassen
Das Schicksal von Charlotte ist kein Einzelfall. Vor allem junge Menschen, die ihr Studium während des Lockdowns aufgenommen haben und anfangs nicht in Präsenz unterrichtet wurden, litten unter Einsamkeit – und tun das teilweise auch heute noch. Eva-Lotta Brakemeier ist Professorin für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Greifswald und erklärt in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“, dass besonders fehlende soziale Interaktion während der Pandemie für viele Studierende problematisch war. Daraus resultiere eine Einsamkeit, die zu Angststörungen oder Depressionen führen könne. In einer von ihr durchgeführten Umfrage unter Studierenden zeichnete sich außerdem ein Anstieg an Symptomatiken ab, die als schwer depressiv eingestuft werden können. Vor Corona habe ein Viertel der Befragten über solche Symptome geklagt, nach der Pandemie sei es bereits ein Drittel gewesen.
Ausbleibende Aktivitäten mit Freundinnen und Freunden, Kommilitonen und Kommilitoninnen setzten auch Charlotte zu. „Die meiste Zeit saß und sitze ich auch heute allein zu Hause. Anfangs ging es nicht anders, und jetzt fehlen einfach die Verbindungen, die ich zu Beginn nicht schließen konnte.“ Zwar gehe sie ab und zu mal mit anderen Studierenden ins Kino oder an den See. Die Hemmschwelle, aktiv neue Menschen anzusprechen, sei aber schlichtweg höher als vor der Pandemie. „Es ist so zur Gewohnheit geworden, sich mit sich allein zu beschäftigen, dass ich teilweise verlernt habe, mich in Gruppen zurechtzufinden“, sagt die Studentin.
Ursachen für Einsamkeit können vielseitig sein
Neben fehlenden sozialen Kontakten können auch andere Umstände dazu beitragen, sich während des Studiums allein und verloren zu fühlen. Die Anonymität an großen Universitäten und Hochschulen kann für viele zum Problem werden. Besonders dann, wenn Erstis zum Studienstart die Heimat verlassen haben und das neue Zuhause noch fremd und unbekannt ist. „Anfangs habe ich fast täglich mit meiner besten Freundin und meinen Eltern telefoniert, um mich nicht ganz allein zu fühlen“, erzählt Charlotte. „Gerade wenn man in einer Stadt studiert, die man bis dahin kaum kannte, kann es sehr herausfordernd sein.“
Auch die Finanzierung des Studiums bereitet vielen jungen Menschen Sorgen, diese Situation hat die Pandemie ebenfalls verschärft. Typische Nebenjobs in der Gastronomie fielen während des Lockdowns weg, gestiegene Mieten und mittlerweile auch hohe Strom- und Energiepreise setzen Studierenden zusätzlich zu. Charlotte hatte Glück. „Ich habe damals in einem Supermarkt gejobbt, konnte mir so auch während der Pandemie Geld dazu verdienen und habe hier und da mit Kunden geredet. Der Großteil meiner Bekannten hat jedoch nicht arbeiten können und verlor dann auch diesen zwischenmenschlichen Kontakt.“
Was kann ich gegen das Gefühl von Einsamkeit im Studium tun?
Die gute Nachricht: Es gibt Wege, gegen die Einsamkeit anzugehen. So haben viele Universitäten und Hochschulen während und nach der Corona-Pandemie auf den Anstieg von psychischen Problemen reagiert und ihre Beratungsangebote ausgebaut. Häufig finden sich auf den Websites der jeweiligen Einrichtungen Kontaktdaten, über die man an Fachkräfte gelangt, die bei Problemen unterstützen. Um neue Kontakte zu knüpfen, bietet es sich auch an, in Fachschaften oder Studierendenausschüsse einzutreten. Dabei kann man nicht nur neue Menschen kennenlernen, sondern gleichzeitig den Uni-Alltag mitgestalten.
Auch Angebote wie der Hochschulsport und Sportvereine in der Stadt können eine gute Gelegenheit sein, sich auszupowern und nebenbei Bekanntschaften zu schließen. Oft kann es auch hilfreich sein, in einer neuen Umgebung nicht direkt allein zu wohnen. Diese Erfahrung hat auch Charlotte gemacht. „Ich wüsste nicht, ob ich ohne meine Mitbewohnerinnen noch in Hannover leben würde“, sagt sie. Sie hätten Charlotte oft zum gemeinsamen Kochen oder Filmabenden überzeugt, auch wenn sie häufig lieber allein in ihrem Zimmer geblieben wäre. „In Zeiten, in denen ich mich sehr allein gefühlt habe, waren sie für mich da. Wir haben alle das gleiche Schicksal geteilt, und daraus ist mit der Zeit eine Freundschaft entstanden.“
Von Maja Göhmann
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