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„Beale Street“-Regisseur Jenkins im Interview: „Liebe ist politisch“

„Beale Street“-Regisseur Jenkins im Interview: „Liebe ist politisch“
Foto:  Annapurna Releasing / DCM

Regisseur Barry Jenkins über seinen Film „Beale Street“ (Kinostart: 7. März), Rassismus in den USA – und die verrückte „Moonlight“-Oscar-Nacht.


Mr. Jenkins, wie wichtig ist der Autor James Baldwin heute in den USA?

Sehr wichtig! Baldwin hat viel Wahres geschrieben über die Erfahrungen von Afroamerikanern. Was er vor mehr als vier Jahrzehnten beobachtet hat, scheint sich heute in den USA zu wiederholen.

Wofür steht die Beale Street im Filmtitel?

In der Beale Street in Memphis wurde der Blues geboren, die schwarze Musik, in der sich Melancholie und Schönheit des schwarzen Lebens in Amerika ausdrückt. Mein Film spielt aber in Harlem in New York, da gibt es gar keine Beale Street. Es geht hier um die Essenz dieser Straße. Sinnbildlich finden Sie die Beale Street genauso in Chicago oder in Miami, wo mein voriger Film „Moonlight“ angesiedelt ist. Gewissermaßen existiert diese Straße ebenso in London oder Paris und vermutlich auch bei Ihnen hier in Berlin.

Warum haben Sie ausgerechnet Baldwins Roman „If Beale Street Could Talk“ verfilmt?

Zwei seiner wichtigsten Sujets verbinden sich hier: Auf der einen Seite war Baldwin fasziniert von Romantik und Sinnlichkeit, auf der anderen geht es um Ungerechtigkeit und Diskriminierung. Davon erzählt er in der Geschichte dieses Paares: Eine schwarze Frau kämpft darum, allem Rassismus zum Trotz ihren Mann aus dem Gefängnis herauszubekommen, bevor ihr gemeinsames Kind auf die Welt kommt.

Handelt Ihr Film zuerst vom Hass oder von der Liebe?

Die Geschichte der Schwarzen in den USA ist geprägt von Leid und Verzweiflung, aber es gab doch immer Liebe, Hoffnung, Familie, kurz: Es gab immer eine Beale Street. Ich hoffe, dass die Leute zuerst die Liebe in dem Film erkennen – auch wenn das manche für naiv halten mögen.

Ist Liebe politisch?

Ich glaube schon, allerdings nicht auf persönlicher Ebene. Aber wenn es um die künstlerische Darstellung geht, kann Liebe politisch und auch radikal sein. Für Schwarze besteht noch gar nicht so lange die Möglichkeit, Liebe als etwas Zartes zu zeigen. Wir – und ich spreche jetzt als Schwarzer – haben lange keine Kontrolle über solche Bilder gehabt.

James Baldwin vertrat die Ansicht, dass das US-Gefängnissystem eine Art moderner Sklaverei war. Stimmen Sie zu?

Je mehr Gefängnisse in den USA auf Profit ausgerichtet sind, desto mehr trifft Baldwins Beobachtung zu. Das Sklavensystem spiegelt sich in der Ausbeutung durch Arbeit in den Gefängnissen.

Könnte sich eine Tragödie wie in Ihrem Film heute zutragen?

Auf jeden Fall! Hauptdarsteller Stephan James hat seine Rolle angelehnt an die Erlebnisse von Kalief Browder. Das war ein junger Mann, der drei Jahre ohne Anklage auf der Gefängnisinsel Rikers Island in New Yorksaß, lange in Einzelhaft. Er war fälschlicherweise beschuldigt worden, einen Rucksacks gestohlen zu haben. Er hätte eine Strafe akzeptieren können und wäre dann wohl bald nach Hause gekommen. Aber er bestand auf seiner Unschuld. Als er wieder frei war, beging er 2015 Selbstmord. So etwas kann jeden Tag passieren.

Ist das Thema Rassismus heute wieder besonders aktuell in den USA?

Schwer zu sagen. Menschen aus einer anderen Kultur wurden immer schon abqualifiziert, nicht nur in den USA. Sie sind ein leichtes Ziel: Du bist anders, also mag ich dich nicht. Wir glauben, Fortschritte gemacht zu haben, aber Rassismus ist immer noch Teil unseres Lebens.

Wie sehr hat die Präsidentschaft Donald Trumps die „Black Lives Matter“-Bewegung zurückgeworfen?

Ich würde da keine direkte Verbindung herstellen. Die Probleme gehen tiefer. Ich würde es eher umdrehen: Bei vielem, was dieser Präsident tut oder sagt, wird unglücklicherweise noch klarer, wie dringend wir „Black Lives Matter“ brauchen.

Könnten Sie sich vorstellen, einen Film mit einem weißen Helden zu drehen?

Auf jeden Fall! Als Schwarzer in Amerika bist du geradezu gezwungen, dich hineinzufühlen in die Erfahrungen von Weißen. Das Leben einer weißen Vorstadtfamilie habe ich im Fernsehen und im Kino immer wieder gezeigt gekommen. Umgekehrt dürfte es für Weiße viel schwieriger sein, sich mit dem Leben von schwarzen Familien zu identifizieren, von dem ich in „Moonlight“ erzähle.

Mit „Moonlight“ haben Sie 2017 den Oscar gewonnen – nachdem zuvor irrtümlich „La La Land“ als Siegerfilm ausgerufen worden war: Wie erinnern Sie sich an diesen Abend?

Das war alles so verrückt! Die Oscar-Academy gilt als konservative Versammlung alter weißer Männer. Durch das Durcheinander mit den Umschlägen haben sich mancher Beobachter in dieser Ansicht bestärkt gesehen. Tatsächlich aber hat die Academy just jenen Film ausgewählt, der von einem schwarzen Jungen erzählt, der mit seiner Sexualität kämpft, in einer brutalen Welt aufwächst und dessen Mutter Drogennimmt. Die Mitglieder haben es geschafft, über ihre persönlichen Lebenserfahrungen hinauszuschauen. So gesehen war das ein wunderschöner Abend.

Zur Person

Barry Jenkins, geboren 1979 in Miami in Florida, wuchs im Stadtteil Liberty City auf, einem sozialen Brennpunkt. Er kannte nach eigenen Aussagen keine Weißen, bis er aufs College kam. Schon sein Regiedebüt „Medicine For Melancholy“ (2008) wurde viel gelobt. In Liberty City spielt „Moonlight“, sein mit drei Oscars prämiertes Kinodrama (bester Film, beste Regie, bestes adaptiertes Drehbuch). Am 7. März läuft Jenkins’ neuer Film „Beale Street“ in unseren Kinos an, der gleichermaßen von Liebe und Rassismus in den USA erzählt.

Von Stefan Stosch


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