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Youtuber $ick: Vom Heroin zum Grimme-Preis

Youtuber $ick: Vom Heroin zum Grimme-Preis
Foto:  Daniel Bockwoldt/dpa

Abstürze, Gefängnis, Therapie: Das war das Leben von $ick, bevor er clean wurde und anfing auf Youtube über seine Sucht zu reden. Dafür erhielt er 2015 den Grimme Online Award. Mit seinem Buch „Shore, Stein, Papier“ ist er jetzt auf Lesetour.


Irgendwann sprach er nur noch von Gift, wenn er über Heroin redete. Von der Droge weg kam der heutige Buchautor und Youtuber dennoch lange nicht. Im Interview spricht $ick über Emotionen, Heroin und über seine Tochter.

Ist irgendetwas cool daran, Heroin zu nehmen?

Es ist im Grunde nur eine Veränderung der Emotionen, egal welche Droge man nimmt. Opiate wie Heroin nehmen dich in den Arm, und alles ist gut. So jedenfalls fühlt sich das an. Natürlich macht dieses Gefühl erst mal lange Spaß – bis man anfängt zu leiden. Die meisten Drogenabhängigen tragen eine Depression oder ähnliches mit sich rum und finden im Heroin ihr Medikament. Aber Heroin ist ja auch eine Entwicklung von Bayer. Das hat unsere Pharmaindustrie hergestellt. Hat dein Kind Kopfschmerzen, gib ihm Heroin, hieß es.

Man braucht also eine bestimmte Disposition, um zu Heroin zu greifen?

Nicht um Heroin zu nehmen, sondern um ein Langzeitkonsument zu werden. Jemand, der fest im Leben steht und es mal probiert, der kann für sich feststellen: Brauch’ ich nicht. Weil der emotional gefestigt ist und seine Probleme regelt, wie sie kommen. Ich habe auch schon Leute kennengelernt, die mit Ende 40 angefangen haben. Der Sohn war an Heroin gestorben, und der Vater wollte wissen: Was hat den Jungen getrieben?

Kann man von einer freien Entscheidung sprechen, Heroin zu nehmen?

Klar, mich hat ja auch niemand gezwungen. Vielleicht spielt in dem Alter auch der Gruppenzwang eine Rolle. Und bei mir kam noch hinzu, dass der neue Freund meiner Mutter zu mir sagte: Du bist unerwünscht. Da war ich 13 und hatte ein so großes Problem wie noch nie zuvor in meinem Leben.

Wenn es eine freie Entscheidung ist, sollte man dann Mitleid mit Junkies haben?

Mitleid wollen die wenigsten Kranken. Die wollen Verständnis und Hilfe. Und es ist eine Krankheit, eine seelische meist, die braucht ein vernünftiges Angebot. Das war auch für mich die Quintessenz.

Du hast ein Vermögen für Drogen ausgegeben, bis zu 1000 Mark am Tag.

Auch mehr. Gar kein Problem. Je mehr du hast, desto großzügiger wirst du.

Wie viel Gramm am Tag hast du gebraucht?

So viel wie ging. Heroin um die fünf Gramm zu der Zeit, und wenn dann noch Kokain dazu kam, fünf bis acht Gramm am Tag. Dann warst du bei 2000 Mark. Als ich nicht mehr Klamotten geklaut habe, sondern bei Juwelieren eingebrochen bin, habe ich mir auch keine Tagesration mehr geholt, sondern 50- oder 100-Gramm-Beutel. Dann planst du, dass das jetzt für zehn Tage reicht, aber dann reicht’s doch nur für fünf, weil: scheißegal.

Du hast viel verbrannte Erde hinterlassen?

Eine Menge frustrierter Leute und eine Menge getretener Emotionen.

Wie viel deiner Junkie-Freunde sind gestorben in dieser Zeit?

Relativ wenige. Der erste war der, der damals den Stoff mitgebracht hatte. Da war er zwölf. Aber er ist keine 18 geworden.

$icks Lesetour: 21.02 Lübeck, 22.02 Hamburg, 26.02. Wiesbaden, 27.02 Dortmund, 28.02. Göttingen, 01.03. Berlin

Was sagen die alten Junkiefreunde zu dem, was du heute machst?

Beglückwünschen mich, freuen sich, nehmen sich ein Beispiel daran. Meine italienischen Schwestern sind schon doppelt und dreifach so lange clean wie ich. Der Ägypter ist gerade wieder aus dem Knast gekommen, das achte Mal, und wird wahrscheinlich wieder rückfällig werden. Patatas erholt sich gerade wieder und wird bei meinem Programm auch auf der Leinwand zu sehen sein.

Deine Tochter ist 15, da warst du schon auf Heroin.

Zu dem Zeitpunkt wäre ich vielleicht noch zu retten gewesen, wenn es jemand bemerkt und richtig gehandelt hätte. Ich rede mit meiner Tochter ganz offen über Drogen. Sie weiß auch, dass ich Gras rauche. Sie geht raus, wenn ich es tue. Sie mag das nicht. Aber sie kennt das von mir. Und natürlich vom Schulhof.

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Wie verbreitet sind Drogen unter Jugendlichen heute?

Sehr verbreitet. Das Angebot ist ja auch gewaltig groß geworden. Vor allem haben die Kids bei vielen Drogen nicht das Gefühl, sie würden illegale Substanzen konsumieren. Etwa bei diesem codeinhaltigen Hustensaft. Ich sage immer: Guck doch mal genau hin – Codein, Heroin, es kommt aus der gleichen Familie, Mann! Das macht schwerst abhängig, psychisch und körperlich. Mit 18, 20 sind die noch so naiv, dass es fast schon weh tut. Trotzdem wird dieses Zeug in den Rapper-Videos groß gefeiert.

Das heißt, Deutschland hat ein Drogenproblem und weiß gar nicht, wie groß es ist?

Genauso wie ich früher. Ich habe die ersten acht Monate gedacht: Shore ist Shore, bevor mir ein anderer Junkie sagte: Das ist Heroin! Ich hab’s später nur noch Gift genannt, weil es genau das ist.

Wie leicht ist es heute, an Heroin ranzukommen?

So einfach wie damals, wahrscheinlich noch leichter. Wobei der prozentuale Anteil von Heroinkonsumenten ja immer etwa gleich bleibt.

Du warst insgesamt sieben Jahre im Gefängnis. Wie leicht kommt man da an Drogen?

Genauso leicht wie draußen. Du musst es nur bezahlen können. Wenn du ein geschickter Organisator bist, kannst du eigentlich jeden Tag konsumieren. In Groß Hesepe im Emsland sitzen fast nur Süchtige ein. Da gibt es einen Spritzen-Tauschautomaten im Hof, weil sie es einfach nicht in den Griff kriegen. Im Jugendvollzug war Standard, dass Mütter Heroin für ihre süchtigen Söhne mitbringen. Ganz normal.

Du bist für die Freigabe von Drogen?

Bei Schwerstabhängigen auf jeden Fall. Da ist synthetisch hergestelltes reines Heroin das Einzige, was wirklich Sinn macht. Bei Einsteigern würde ich versuchen, sie langfristig wieder clean zu kriegen.

Du hast selbst erst nach vielen Entzügen den Ausstieg geschafft.

Ich bin immer entlassen worden und zack mit dem Taxi zur Szene – nach Hause. Aber 2012 hat alles gepasst. Mit einem funktionierenden Team, einer Aufgabe, einem Freundeskreis, auch wenn der eigentlich immer da war. Für viele Süchtige ist es ja ein Wahnsinn, sich im nüchternen Leben zurechtzufinden. Du unterhältst dich über ganz normale Dinge, die dich 30 Jahre nicht interessiert haben. Ich hab’ gedacht, das würde nie funktionieren. Die Probleme fangen ja nach der Entgiftung eigentlich erst an.

Wie war das nach dem letzten Entzug 2012?

Da haben mich meine Mutter und meine Tochter abgeholt und mit nach Bayern genommen. Meine Mutter wollte eine Woche lang wissen: Was machst du denn jetzt? Ich hatte keine Antwort. Und dann kam der Anruf vom Geschäftsführer von „16bars, einem Online-Magazin. Mit dem hatte ich angefangen zu rappen, und der fragte: Willst du die Geschichten nicht vor der Kamera erzählen? Daraus sind dann vier Jahre Dreharbeiten, 380 Folgen und der Grimme-Preis geworden.

Bist du heute noch rückfallgefährdet?

Im Moment überhaupt nicht. Ich habe zwar manchmal innere Unruhe, aber dann rauche ich Gras, und das war’s. Das fühlt sich nicht mehr nach Suchtdruck an.

Von Peter Intelmann


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