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Tod im Stasi-Knast – Rostocker Lehrer schreibt Buch über dunkles DDR-Kapitel

Tod im Stasi-Knast – Rostocker Lehrer schreibt Buch über dunkles DDR-Kapitel
Foto: Hartmut Klonowski

Der Pädagoge Tino Strempel aus Papendorf bei Rostock hat ein Buch über einen jungen Mann geschrieben, der 1981 im Stasi-Gefängnis Gera unter ungeklärten Umständen starb. Es ist mehr geworden als „nur“ ein weiteres protokolliertes Schicksal der DDR-Diktatur.

Matthias Domaschk (l.) trank gern Kaffee und war Raucher. Das Bild ist dem Buch „Matthias Domaschk und der Jenaer Widerstand“ von Freya Klier entnommen. Tino Strempel (r.) aus Papendorf bei Rostock hat ein Buch über den jungen Mann geschrieben.

Matthias Domaschk (l.) trank gern Kaffee und war Raucher. Das Bild ist dem Buch „Matthias Domaschk und der Jenaer Widerstand“ von Freya Klier entnommen. Tino Strempel (r.) aus Papendorf bei Rostock hat ein Buch über den jungen Mann geschrieben. Quelle: Klaus Amberger

Rostock. Der Einbruch der Wirklichkeit ist mitunter ein Effekt von Literatur. Um sogleich wieder zu fragen: Konstruiert hier das Schreiben nicht die nächste Wirklichkeit? Gerade wenn es um Leben und Tod geht?

Tino Strempel hat ein Buch geschrieben. Weil dem 52-jährigen Lehrer aus Papendorf bei Rostock ein „Vorfall“ aus dem Jahr 1981 nicht mehr aus dem Kopf ging. Damals sah er als Zwölfjähriger im Westfernsehen, dass ein junger Mann aus Jena – Tino Strempel stammt ebenfalls aus Jena und kam gerade von einem Pioniertreffen aus Dresden – in der Untersuchungshaftanstalt der Staatssicherheit in Gera erhängt aufgefunden wurde. Die Umstände sind immer noch ungeklärt. „Ich habe mich damals sofort gefragt, warum das passiert, was wirklich geschehen war, warum der friedlich aussehende 23-Jährige verhaftet wurde“, berichtet er. Der junge Mann war Matthias „Matz“ Domaschk.

Roland Jahn war mit dem Opfer befreundet

Tino Strempel hat deshalb, als er vor einiger Zeit am Historischen Institut der Uni Rostock arbeitete, recherchiert, Akten studiert, Dokumente gelesen, mit Zeitzeugen gesprochen. Unter anderem traf er die Freundin von Matz, die zum Zeitpunkt seines Todes schwanger war. Zu den Zeitzeugen gehört ebenso Roland Jahn, der letzte Leiter der Stasiunterlagenbehörde und Freund von Matz, der den Autor ermutigte, das Buch anzugehen: „Matz aus Jena. Drei Tage und ein Leben“ heißt das 280 Seiten starke Werk. Ein Versuch, wie es der Autor erläutert, darzustellen, was in diesen drei Tagen geschehen sein könnte.

Quälende Verhöre in Serie

Die letzten drei Lebenstage von Matz beginnen mit einer Fahrt zu einer Geburtstagsfeier in Berlin, wo gerade ein Parteitag der SED über die Bühne geht. Während der Fahrt werden Matz und ein Freund aus dem Zug geholt und ins Stasi-Gefängnis nach Gera gebracht, weil die ängstlichen Aufpasser Provokationen der jungen Männer in Berlin befürchteten. Die nun folgende Zeit ist eine quälend lange Serie von Verhören. „Das längste von der Stasi dokumentierte dauerte zwölf Stunden am Stück“, berichtet Autor Strempel. Der ehemalige Fußball-Leistungssportler baut allerdings geschickt Pausen zum „Luftholen“ ein. Durch Rückblicke in das Leben von Matz wird gleichsam nebenbei erzählt, wie junge Leute in der DDR lebten, welche Freiheiten sie hatten und welchem ideologischen Druck sie in Schule oder etwa im Leistungssport ausgesetzt waren.

Blick auch ins normale DDR-Leben

Dem Autor gelingt hier zweierlei: Zum einen trifft er den seinerzeit latent unverschämten, übergriffigen und autoritär-verächtlichen atmosphärischen Grundton, der so gut wie alle Beschäftigten bei den „Sicherheitsorganen“ der DDR auszeichneten. Hier kann der Leser ihn atmosphärisch spüren – das Unwohlsein ist dann eine natürliche Reaktion auf den pathologischen Kontrollwahn des Unrechtsstaates DDR, dessen Amts- und Verhörstuben meist nach Linoleum und Bohnerwachs rochen. Zum anderen zeigt Strempel durch die Exkurse in das Leben von Matz, wie in der DDR gelebt wurde: Es gab Feiern, Streit, Liebe, Wanderungen in die Natur, Eltern, Grundwehrdienst, Denunzianten, Freunde, es gab Diskussionen, Zigaretten, Bücher und es wurden Briefe geschrieben. Dazu reicherte er Matzes Leben zusätzlich mit eigenem Erlebten an oder mit anderen verbürgten Situationen junger Leute in der DDR. „Matz war ja kein Dissident, sondern jemand, der immer im Zweifel war, nachdachte und darüber reden wollte“, sagt Strempel. Ein ziemlich normaler junger Mann. Doch das reichte mitunter schon, um in die Hände der Häscher zu gelangen.

Geschichte mit Strahlkraft fürs Heute

Der 17-jährige Schüler August Jaeger aus Rostock, der das Buch im Rahmen eines Projektes gelesen hat, meint: „Ich bin ja kein großer Leser, aber diese Geschichte ist so spannend, dass ich oft noch mehr Seiten gelesen habe, als ich ursprünglich wollte.“ Unberührt blieb er nicht. „Ich musste manchmal tief durchatmen, gerade nach den Verhörszenen, und habe dann gedacht: Was gebe ich mir da gerade?“ Für ihn sei das Buch auch für heute bedeutsam: Man müsse stets aufpassen, dass solch Zustände nicht wiederkommen. „Ich merke, wie gut ich es habe: Ich kann beispielsweise auf Demos gehen, ohne befürchten zu müssen, für meine Meinung eingesperrt zu werden oder von der Schule zu fliegen.“

In Jena gibt es die Matthias-Domaschk-Straße.

In Jena gibt es die Matthias-Domaschk-Straße. Quelle: dpa

Das Verdienst von Tino Strempel ist, dass das Buch tatsächlich spannend ist. Obwohl das Ende von Anfang an feststeht. Die Geschichte von Matz reiht sich nicht ein in die gewohnten Betrachtungen von DDR-Schicksalen und Analysen der Stasi (die fraglos auch wichtig sind). Wohltuend wirkt Strempels Schreibweise dahingehend, dass sich die Geschichte selbst kommentiert. Es bedarf keines Hinweises, wie abstoßend ausweglos Matz den später beförderten Stasi-Vernehmern ausgeliefert war. Literarisch hat das Strempel gekonnt hingelegt.

Wie war das mit der Konstruktion von Wirklichkeit? Tino Strempel sagt: Es ist „eine ausgedachte, eine reale Geschichte. Beides. Das Ausgedachte berührt stets die Wirklichkeit. Eine Wirklichkeit.“ Oder um es mit den Worten der Freundin von Matz, Renate Ellmenreich zu sagen, die im Nachwort anmerkt: „Nein, so war es nicht. Aber es ist trotzdem alles wahr.“

Info: „Matz aus Jena“ kann im Buchhandel bestellt werden, wird aber „on demand“, also erst nach der Bestellung, in etwa drei Tagen gedruckt. 280 Seiten, 12,99 Euro

Von Klaus Amberger

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Über den Autor/die Autorin:

1 Kommentar

  1. Karl-Heinz Wilke

    Ich war 1985 selbst sechs Monate im Stasiknast Rostock inhaftiert .Danach ging es nach Naumburg in den Vollzug .Ich habe heute noch Probleme die von der Inhaftierung herrühren. Es ist eine Zeit die ich niemals in meinem Leben vergessen werde. Noch dazu ,das der Staatsanwalt SCHÄDRICH nach der Wende sein eigenes Rechtsanwaltsbüro aufgemacht hat und ein schönes Leben hat während Ich und viele andere heute noch leiden. Er ist für viele Zuchthausstrafen an unchuldige Bürger verantwortlich. Ich hoffe,daß er irgendwann noch seine gerechte Strafe bekommt. Denn es waren in der Überzahl Leute die nichts verbrochen hatten.

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