Stiftung gibt Starthilfe: Diese drei jungen Frauen aus MV haben Großes vor
Sie kommen ursprünglich aus China, Polen und Syrien: Drei Schülerinnen aus MV berichten, wie es war, als sie nach Deutschland kamen. Heute sind sie Stipendiaten der Start-Stiftung und erzählen, was sie nach dem Schulabschluss vorhaben und wie sie sich für andere engagieren.
Sie sagt, ihr Arabisch sei schlechter geworden. Mittlerweile träume sie sogar schon in Deutsch. Alexandra Suleiman stammt aus Syrien. Vor sieben Jahren kam die 15-Jährige mit ihrer Familie nach Deutschland, nach Rostock. Die Schülerin sitzt vor der Kunsthalle der Hansestadt. Ihre dunklen, dichten, manchmal störrischen langen Haare fallen auf. Sie spricht schnell und hört extrem aufmerksam zu. „Arabisch ist wohl nicht mehr meine Hauptsprache“, sagt sie resümierend. Neben Deutsch und Arabisch spricht Alexandra noch Englisch. Chinesisch und Spanisch lernt sie gerade. „Ich mag Sprachen“, sagt die Schülerin einer Klasse für Hochbegabte.
Alexandra Suleiman aus Rostock Foto: Klaus Amberger
Alexandra ist seit diesem Monat Stipendiatin der Start-Stiftung. Start ist das einzige bundesweite Stipendienprogramm für Schüler mit einer Einwanderungsgeschichte, die sich zudem, und das ist ein wichtiges Auswahlkriterium, in irgendeiner Form für andere einsetzen. Über drei Jahre bekommen die Stipendiaten 1000 Euro sogenanntes Bildungsgeld pro Jahr und werden etwa in Seminaren und Workshops gefördert. In MV gehören seit diesem Monat sechs frische Stipendiaten zur Start-Crew: vier Mädchen, zwei Jungs. Deutschlandweit wurden 190 Jugendliche in den neuen Jahrgang aufgenommen. 1800 hatten sich beworben.
Dingxin stammt aus einer 5-Millionen-Stadt
Auch Dingxin Zhang ist neu im Stipendium-Programm. Sie sitzt in einem Greifswalder Café und spricht super Deutsch, obwohl die 16-Jährige erst seit drei Jahren in der Stadt am Ryck lebt. „Ich komme aus einer eher nicht so großen Stadt aus der Mitte von China“, berichtet sie. Nur fünf Millionen Einwohner hat ihre chinesische Heimatstadt. Sie lächelt. In Greifswald leben knapp 60 000 Menschen. Ihr Vater hat hier studiert. Er holte seine Familie nach, weil hier die Arbeitsplatzsituation besser ist. Auch die Schule sei hier anders. „In China hatte ich bis 21 Uhr für die Schule zu tun – das war Drill.“ Trotzdem vermisst sie China. Vor allem wegen ihrer Großeltern. Um sich mit anderen jungen Leuten in ähnlichen Lagen auszutauschen, hatte sie die Idee, sich mit anderen ausländischen Schülern regelmäßig zu treffen, um über Probleme und Erfolge zu quatschen und um gleichzeitig Deutsch zu lernen. „Corona hat diese Treffen leider beendet“, berichtet die Chinesin aus einem christlich-evangelischen Elternhaus.Lesen Sie auch
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Marta war ein ängstliches Mädchen
Die Deutsch-Polin Marta Kielpinski aus Greifswald Foto: Klaus Amberger
Marta Kielpinski zog vor zwölf Jahren aus Polen nach Deutschland und ist bereits seit zwei Jahren Stipendiatin. Die die 15-jährige Greifswalderin sitzt neben Dingxin, trinkt eine weiße Schokolade und erzählt, dass sie zum Beispiel Kinder in einem deutsch-polnischen Feriencamp betreut hat. „Ich habe versucht, Werte wie Respekt, Toleranz und Offenheit zu vermitteln. Das Schöne ist, wenn man spürt, dass sich der Einsatz dafür bei den Kindern bemerkbar macht.“ Die katholisch geprägte Marta spielt Tennis und ist Mittelfeldspielerin ihrer Fußball-Truppe. Sie wirkt sehr selbstbewusst. „Ein positiver Effekt der Förderung durch die Start-Stiftung ist die Entwicklung der Persönlichkeit: Ich war ein ängstliches Mädchen.“
Dingxin sagt, dass sie an ihrer Schule nie als ausländische Schülerin gesehen werde. Obwohl sie vor drei Jahren erst einmal kräftig Deutsch lernen musste. „Meine Deutschlehrerin hat mich immer unterstützt“, so die Gymnasiastin und Tischtennis- und Klavierspielerin. Marta war lange Zeit mit dem Vorurteil „Polen klauen“ konfrontiert. „Das hat echt genervt“, sagt sie heute noch. Ihr Traum ist es, in Oxford zu studieren, zum Beispiel Geschichte, ihr Spezialgebiet. „Aber ich würde auch gern eine Firma gründen. Ich habe Lust, erfolgreich zu sein.“ Dingxin wird wohl Medizin studieren. „Meine Eltern sind Ärzte und auch ich möchte Menschen helfen“, sagt sie zurückhaltend. „Die Welt hat mir schon so viel gegeben – ich muss etwas zurückgeben.“
Alexandra: In Deutschland ist alles anders
Es war ein Kulturschock, als die Syrerin Alexandra, die sich selbst als Atheistin bezeichnet, nach Deutschland kam. „Es war alles anders – die Sprache, die Menschen, die Architektur, die Schule. In Syrien waren die Lehrer viel strenger“, erzählt sie. Auch die Kinder würden in Deutschland anders ticken als die syrischen, die „stärker und unfreiwillig erwachsener als die deutschen Kinder sind“. Den Bürgerkrieg in Syrien habe sie zum Glück nicht hautnah erlebt, außer das mal drei Bomben vor ihrer Schule lagen, die nicht gezündet wurden. „Auf meinem Weg nach Deutschland musste ich IS-Gebiete passieren – es war surreal.“
Zurzeit versucht Alexandra, ihre „Müllsammel-Gruppe“ wieder zu aktivieren. „Wir treffen uns ab und zu, um Müll zu sammeln, beispielsweise am Strand, an der S-Bahn-Haltestelle oder in den Wallanlagen.“ Zudem engagiert sie sich bei Aktionen, die Gewalt gegen Frauen verurteilt. „Ich gehe auf Demos von Fridays for Future oder zum Christopher Street Day.“ Alexandra stören die unfairen Verhältnisse auf der Welt und sie fragt: „Wie kann man da nichts machen, wenn man so etwas sieht!?“ Was sie studieren möchte, weiß sie noch nicht genau. „Vielleicht geht’s in Richtung Politik oder Medizin.“ Sie weiß aber, was sie traurig und froh macht. „Die Nachrichten aus Syrien sind schlimm. Aber wenn es meiner Familie gut geht und ich bei meinem Gesangsunterricht Fortschritte sehe, ist alles okay.“
Von Klaus Amberger